Der Tatvorwurf: Sechs Schwarzfahrten mit der U-Bahn. Anklage. Hauptverhandlung vor dem Strafrichter. Kein Verteidiger.
Aus dem Sitzungsprotokoll in 2008:
Ja, es war so, meine Personalien wurden auch festgestellt.
Ich mußte mich entscheiden, entweder Geld für die Fahrten zu zahlen oder das Geld für die Medikamente. Ich habe nicht genug Geld. Ich habe HIV, Aids im Endstadium. Ich war dreimal fast tot in diesem Jahr.
Bekomme meine Medikamente für die Schmerzmittel nicht mehr bezahlt. Bei zwei Fahrten war ich auf dem Weg zum Krankenhaus.
Die Staatsanwaltschaft hat sechs Monate Gesamtfreiheitsstrafe beantragt.
Aus dem Urteil:
Bei der Strafzumessung war zu Gunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass dieser in vollem Umfange geständig war. Strafschärfend fielen hingegen die zahlreichen, auch einschlägigen Vorstrafen des Angeklagten ins Gewicht. Nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände erachtete das Gericht für jede der sechs Taten jeweils eine Freiheitsstrafe von einem Monat für schuldangemessen und hat aus diesen sechs Einzelstrafen nach erneuter Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände die schuldangemessene Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten gebildet. Aufgrund der intensiven Vorstrafensituation des Angeklagten kam eine Bewährungsaussetzung nicht mehr in Betracht.
So sieht das eben aus.
To be continued …
cool, dann zahlt der Steuerzahler eben die teuren Medikamente (2000€/Monat sind da gar nix) statt der AOK. In Sachsen kam eine Mörderin auf freien Fuß wegen Gebärmutterhalskrebs im Endstadium, DORT war der Justiz das Kostenrisiko zu hoch…. Es geht ihr wieder besser und sie ist jetzt in der OVA – hat ja nur noch 9 Jahre Haft vor sich…
Muss der überhaupt in den Knast? Wenn der Aids hat, kann er da nicht haftunfähig sein?
Mir ist es noch nie passiert, daß die Kosten für erforderliche Medikamente nicht von der Kasse übernommen werden. Worum handelt es sich denn in solchen Fällen? Ich höre immer einmal davon, daß wichtige Medikation verweigert worden sein soll, kann mir das aber kaum vorstellen…
Es ist auch möglich, dass der Mann aus irgendeinem Grund überhaupt keine Krankenversicherung hat. Viele Leute haben aufgrund der Hartz 4 Reformen den Versicherungsschutz verloren. Auch wer illegal im Land lebt, hat in den meisten Fällen keine Krankenversicherung.
@R_Tape: Haftunfähig ist Mann/Frau nur wenn die Justiz denkt der Gefangene stirbt in den nächsten 3 Tagen. Es wurde mal ein Mann für Hafttauglich erklärt der schon 3 Herzinfarkte hatte mit der Begründung, daß diese nicht von seinem Aufenthalt in der JVA herrühren würden….
Alter und Krankheit schützen nicht vor dem Knast.
http://www.stuttgarter-zeitung.de/stz/page/2066349_0_1104_-frauenmoerder-heinrich-pommerenke-kein-deutscher-sitzt-laenger-im-gefaengnis-als-er.html
3 Monate sind nunmal die kleinste rechtlich überhaupt mögliche Freiheitstrafe. Weniger geht nicht. Und dass er für eine Bewährung, die sonst im Regelfall für solche Vergehen einzig allein in Frage käme, nicht mehr in Frage kommt, muss er sich seiner Straftatengeschichte zurechnen lassen.
Der Zusammenhang „kein Geld wegen teurer Medikamente“ und „Schwarzfahren“ existiert nicht. Für Nichtversicherte zahlt notfalls das Sozialamt (bis er wieder versichert ist); selbst bei Privatversicherten, die keine Beiträge mehr zahlen, muss die private Krankenversicherung lebensnotwendige Medikamente bezahlen. Das gilt auch bei den gesetzlichen Krankenkassen.
Dass das natürlich alles sehr verwaltungsintensiv ist, ist leider so. Notfalls kann man sich dann im Rahmen eines einstweiligen Rechtsschutzverfahren beim hiesigen Sozialgericht einfinden, falls das Sozialamt blockiert und verzögert.
@ egal:
Nein, kleinstmögliche Freiheitsstrafe sind in diesem Fall ein Monat eine Woche.
Im Übrigen bin ich immer sehr skeptisch, wenn ich solche todtraurigen bis selbstmitleidigen Leidensgeschichten höre. Irgendwie muss ich dabei immer an den jungen Herrn denken, bei dem in der Hauptverhandlung vor der Großen Strafkammer ein über zehn Jahre altes Urteil verlesen wurde, in dem stand, dass (damals) zu Gunsten des Angeklagten zu sehen sei, dass er aufgrund der seinen Krankheiten (AIDS, Hepatitis A-C etc.) geschuldeten nur noch geringen Lebenserwartung, die eher in Monaten als in Jahren zu rechnen sei, besonders haftempfindlich wäre.
Generell stellt sich die Frage, ob Schwarzfahren mit der U-Bahn über das Strafrecht sanktioniert werden sollte. Das ist allerdings eine rechtspolitische Frage – die Rechtslage ist ziemlich eindeutig.
Bezogen auf die einzelnen Fälle handelt es sich um Lappalien. Dazu kommt, dass die Strafen für vergleichbare Taten eine gewaltige Spanne aufweisen können, je nachdem wie sich der Täter, (so ausnahmsweise vorhanden)der Verteidiger und vor allem der Richter verhalten.
@RA Nelder:
Ist das Ihr Ernst?
Wenn statt dem § 265a StGB nur noch das erhöhte Beförderungsentgelt i.H.v. €40,00 übrig bliebe, so würde die Zahl der Nicht-Schwarzfahrer wohl auf ein unerträglich geringes Maß sinken.
Wer einmal im Monat erwischt wird, wäre dann schon billiger weggekommen als beim Kauf einer Monatskarte.
http://www.bahninfo-forum.de/read.php?9,254317,page=2
Nur 30% der Nahverkehrskosten kommen durch die Fahrpreise wieder rein.
Senator Nußbaum forderte letztes Jahr eine Verringerung der hohen Vorstandsgehälter.
Nußbaum ließ offen, wie hoch der Landeszuschuss für die mit 700 Millionen Euro verschuldete BVG sein könnte. Er kritisierte auch die Gehälter im Management der BVG, sie seien teilweise inakzeptabel und müssten überprüft werden.
http://www.tagesspiegel.de/berlin/finanzsenator-will-bvg-tarife-erhoehen/1551276.html?pageNumber=2&commentSort=debate
Und bei Ihnen wäre er dann freigesprochen worden? Oder wollen Sie damit sagen, daß Sie auch bei einem Multi-Kriminellen noch Bewährung rausholen?
@Scharnold Warzenegger
Der Eine ist kurz vorm Krepieren und muss fürs Schwarzfahren rund 3 Monate in den Knast. Der Andere hinterzieht (knapp) eine Million Euro an Steuern, bekommt Bewährung und sitzt im Schloss am See.
Oder man kann es auch von der menschlichen Seite sehen. Ist es wirklich vertretbar einen Menschen mit Aids im Endstadium wegen Schwarzfahren in den Knast zu schicken? Was hätte es den Ri gekostet hier Bewährung einzuschenken und vielleicht ein paar Hilfen raus zu suchen und ein wenig zu telefonieren, damit dem Angeklagten geholfen wird?
@Kampfschmuser
Offenkundig hatte der Betroffene zahlreiche Vorstrafen. Der war nicht nur ein paar mal „schwarz“ gefahren. Wenn man ohne Rücksicht auf die Vorgeschichte immer wieder Bewährung gibt, dann ist das ein Freifahrtschein (passende Formulierung :-) für Serienstraftäter. Geht also nicht.
Da wir nicht wissen, was der Mann auf dem Kerbholz hatte, können wir es letztlich nicht beurteilen.
Aids ist IMHO auch kein Freifahrtschein für Straftaten.
Im übrigen halte ich es auch für falsch, daß Schwarzfahren strafrechtlich belangt wird. Ein erhöhtes Beförderungsentgelt von z.B. 200 Euro würde durchaus Sinn machen.
@Scharnold Warzenegger
Obwohl sie es für falsch halten, dass jemand fürs Schwarzfahren strafrechtlich verfolgt wird, halten sie es für richtig, dass jemand zum Sterben für dieses Vergehen in den Knast geschickt wird.
Grundsätzlich gehe ich da mit, das man bei Wiederholungstätern auch den Sack dann mal zu machen muss.
Aber, und ich gehe jetzt mal davon aus, dass der Angeklagte wirklich auf den letzten Metern seines Lebens ist, die Geschichte mit den Medikamenten Hand und Fuß hat, er Reue und Verständnis zeigt, ist es vom Ri völlig vermessen hier Knast zu verhängen. Das hilft niemanden, am wenigsten dem Angeklagten und ist menschlich unterste Latte.
Genau hier könnte ein Ri viel kreativer sein, mit dem Angeklagten einen Weg finden und ihm im Nachhinein noch unter die Arme zu greifen. Es gibt wohl kaum bessere Möglichkeiten im Beruf des Richters menschlich zu sein und auch mal zu helfen.
Aber das wäre ja mit Arbeit verbunden. Und man muss sich auch noch intensiver mit dem Fall beschäftigen. Nein, da wird einfach drüber gebügelt.
Vielleicht bin ich in dem Fall (trotz konservativer Grundeinstellung) zu sozial, mag sein, aber geholfen hätte es schon und niemanden geschadet.
Ich habe einen Fall kennengelernt, wo ein Totschläger nach Jahren Dachau, mit einer Strafverschonung entlassen wurde, nur, weil seine Zirrhosebehandlung von der Vollstreckungskammer nicht getragen werden wollte. Endstadium war das sowieso. So kam der in den Gasthof „SONNE“ in Bamberg, wo er sich ja dann auch totgesoffen hat. Es ging halt nur schneller und billiger als die teure Behandlung. Die Zirrhose hat er sich in der JVA geholt, als die was-weis-ich gesoffen haben.
jakob schrieb „Es ist auch möglich, dass der Mann aus irgendeinem Grund überhaupt keine Krankenversicherung hat“
Das ist nicht mehr möglich, seit 2009 hat jeder eine KV zu haben. Die Kassen wurden alle verpflichtet, die „Ausgestoßenen“ wieder aufzunehmen. Es kann allenfalls sein, dass die Kasse nicht leisten muss, weil er momentan keine Beiträge zahlt. Denn mittlerweile darf eben wegen Nichtzahlung der Beiträge nicht mehr gekündigt werden.
@16/R.Tape
T + A
Theorie und Anwendung.
#k.
Dass „Hobo“ oben ausgerechnet diesen Spitznamen gewählt hat, das hat schon eine ganz besondere Note.
Wirklich krass! Mit einem derartigen Urteil hätte ich auch nicht gerechnet. Andererseits weiss man ja auch nicht, wohin die anderen Fahrten gingen…