Verteidigung durch Schweigen

Beate Zschäpe schweigt. Sie verweigert nicht die Aussage. Sondern sie verteidigt sich durch Schweigen. Sie nimmt ein Recht in Anspruch, das ihr in einem rechtsstaatlichen Verfahren zu Verfügung gestellt wird, werden muß. Auch dann, wenn sie sich gegen diesen Rechtsstaat gewandt hat, vielleicht um ihn abzuschaffen. Gerade dann, gerade deswegen.

Sie wird verdächtigt des Mordes, der Beihilfe zum Mord und der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. Aus dem Bundesinnenministerium ist jedoch zu vernehmen, daß der Verdachtsgrad für eine Anklage nicht ausreiche. Weil die Beweise fehlen.

Nachweisbar ist wohl, daß Beate Zschäpe sich jahrelang gemeinsam mit Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos „im Untergrund“ (wo das auch immer sein mag) aufgehalten haben soll. Das Aufhalten im Untergrund ist für sich genommen jedoch keine Straftat.

Wenn den Ermittlungsbehörden der Nachweis nicht gelingt, daß die Frau positive Kenntnis von den mutmaßlichen Morden hatte oder gar daran beteiligt war, dann gibt es eben auch keine „terroristische Vereinigung“. Denn § 129a StGB verlangt mindestens drei Vereinsmitglieder, sonst ist es eben kein Verein.

Die unbekannte Größe ist noch das Verteidigungsverhalten der anderen vier Inhaftierten. Verteidigen diese sich ebenfalls mit dem „nemo-tenetur“-Grundsatz, sieht das wohl so aus, daß dann am Ende „nur“ die Verurteilung wegen Brandstiftung und ein paar Kleinigkeiten auf dem Niveau von Strauchdiebstahl bleibt.

Ja, dann muß es eben dabei bleiben. Um des Rechtsstaats Willen, der weder durch das widerwärtige rechte Pack abgeschafft werden darf, noch durch die Verletzung von grundlegenden Verfahrensvorschriften, durch Bruch des formellen Rechts.

Verteidigung durch Schweigen basiert auf dem Grundsatz: Nemo tenetur se ipsum accusare – niemand ist verpflichtet, sich selbst zu belasten. Dieser Grundsatz ist ein grundrechtsgleiches Recht mit Verfassungsrang. Für Beschuldigte ist er normiert in in § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO. Aufgehängt wird er aber ganz oben – in Art. 14 Abs. 3 Lit. gIPbpR (Hier ist der englische Original-Vertragstext).

Ich mag diese Nazis nicht. Aber ich wehre mich auch dagegen, daß es ihnen gelingt, den Rechtsstaat quasi über die Bande (im doppelten Sinne) abzuschaffen.

Dieser Beitrag wurde unter Strafrecht veröffentlicht.

13 Antworten auf Verteidigung durch Schweigen

  1. 1
    Matthias says:

    Das ist doch der große Irrtum.
    Den Rechtsstaat schaff(t)en nicht die Nazis, Bin Ladens oder die RAF ab.
    Es waren immer die (die Schilys, Mayrhofers, Schäubles mitt freundlicher Zuarbeit der Vogels, Zypries und Konsorten), die grade an der Macht waren.
    Und gab es nicht schon einen Verfassungsgerichtsrichterkandigdaten, der die Folter als adäquates Mitteld es Rechtsstaats bezeichnete.
    Wir haben die Erpressung (Verständigung genannt) im Strafprozeß. Das sagt alles über unseren Rechtsstaat

  2. 2
    Fabian Stam says:

    Die Selbstbelastungsfreiheit wird sogar noch weiter oben aufgehängt, nämlich an Art. 1 Abs. 1 GG, denn mit der Würde des Menschen wäre es unvereinbar, wenn der Beschuldigte gezwungen würde, als Beweismittel gegen sich selbst zu fungieren.

    An Art. 14 IPbpR kann „nemo tenetur…“ nicht wirklich aufgehängt werden, weil es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag handelt, bei dem der einzelne Bürger mediatisiert ist, sich auf dieses Recht vor nationalen Gerichten also nicht berufen kann.

    Ansonsten stimme ich Ihnen zu!

  3. 3
  4. 4
    Scrat says:

    Ein engagiertes Plädoyer für eine von niemandem infrage gestellte Selbstverständlichkeit. Oder hatte schon jemand Daumenschrauben und Waterboarding für Frau Zschäpe gefordert?

    • Sie glauben an das Gute im Menschen. Das ist erfreulich (ernst gemeint!).

      Ich habe als Strafverteidiger leider andere Erfahrungen gemacht. Über eine solche habe ich vor ein paar Tagen im law blog geschrieben. Irgend ein Kommentator stellte die rhetorische Frage nach „weißer Folter“.

      Die Nazibraut braucht Nerven wie Lokomotivenabschleppseile, um dem Druck, den die Ermittler machen werden, widerstehen zu können. Und dieser „Druck“ lastet – wenn er denn einmal gesellschaftlich akzeptiert wurde – dann die nächsten 200 Jahre auf dem deutschen Strafprozeß. Sagt Ihnen der Name „Wolfgang Daschner“ noch etwas?

  5. 5
    ui-ui-ui says:

    Warum beruft man die Zschäpe nicht einfach in den Zeugenstand?

    (Achtung, Ironie!)

    • Ich verstehe die Ironie nicht. Deswegen eine ernsthafte Antwort:
      Als Zeugin hätte sie dann ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO, das dieselbe (Verfassungs-)Basis hat, wie das Recht zu Schweigen. crh
  6. 6
    Das Ich says:

    Ist es denn überhaupt schon erwiesen, dass sie ein „Nazi“ ist? Denn dann müsste sie sehr alt sein. Wahrscheinlich meint der Medienmob, dass sie eine Neonazi sei. Aber das ist ja nicht so wichtig, hauptsache die 3 sind für alles verantwortlich was in den letzten Jahren passiert ist und lenkt schön vom aktuellen Politzirkus ab.

    • Was bezwecken Sie mit der Differenzierung zwischen den Nazis aus den Jahren 1933-1945 und den Nazis heutiger Provenienz? crh
  7. 7
    NichtDasIch says:

    Im Glaube an das Gute im Menschen (s.o.) könnte man vermuten, dass „DasIch“ den Neonazis nicht die zweifelhafte Ehre zugestehen will, auf einer Stufe mit den 1933-1945-Nazis zu stehen (im Sinne von: Neonazis sind nur Möchtegerns und Nachahmer, wenn auch nicht minder gefährlich).

  8. 8
    Matthias says:

    „Wolfgang Daschner“?
    Ist das nicht der Polizist aus Frankfurt, der, würde die Selbstbelastungsfreiheit und das Folterverbot in diesem Land etwas zählen, jetzt nach 2/3 der verbüssten Strafe aus dem Gefängnis entlassen werden würde.
    Oder erhielt er etwa, wie in einem *staat eine Geldstrafe, die unter den Taschengeldparagrafen für bis zu siebenjährige fällt, auch noch auf Bewährung – damit der EGMR die Entschädigung für den der Folter unterworfenen nicht zu hoch ansetzen würde, und wurde befördert.

    [unbegreiflich], dass einige noch immer von Rechtsstaat sprechen.

    • „[ ]“ editiert. crh
  9. 9
    ui-ui-ui says:

    @crh,

    im kontinentaleuropäischen Recht, aber nicht im angelsächsischen. Dort kann sich ein Beschuldigter sogar zusätzlich des Meineides schuldig machen, wenn er im Zeugenstand lügt.

  10. 10
    Heiner says:

    Ich gehe mal schwer davon aus, dass man den Strafrahmen von Paragraph § 306b StGB aufs äußerste ausreizen wird, wenn man ihr sonst nix nachweisen kann. Auf die Begründung bin ich schon jetzt gespannt ;-)

  11. 11
    JLloyd says:

    Lt. Süddeutscher Zeitung vom 24./25./26.12. brennt in ihrer Zelle 24h das Licht & brummt ein Trafo. Ich halte eine solche Praxis unseres Rechtsstaates für unwürdig.

  12. 12

    […] Gerade an solchen Extrem-Fällen zeigt sich, von welcher Qualität der Rechtsstaat ist […]

  13. 13
    Matze says:

    Das Thema „Daschner vs. Gäfgen“ ist m. E. komplizierter…

    Da gibt’s ja nicht nur die Strafverfolgung, also den Versuch, ein Geständnis zu erreichen – da ist die Androhung von Schmerzen völlig eindeutig eine Ungeheuerlichkeit, für die die ausgesprochene Strafe deutlich zu niedrig ausgefallen wäre.

    Aber es ging eben auch darum, das Leben des entführten Kindes zu retten. Der war zum Zeitpunkt der Androhung leider bereits tot, aber das konnte ja niemand wissen (außer dem Täter selbst). Dass Herr Gäfgen die Entführung begangen hat, war doch WIMRE zu diesem Zeitpunkt gar nicht mehr fraglich.

    Dass eine Folterandrohung ein extremer Grundrechtseingriff ist, ist völlig klar und deshalb musste die kontroverse Diskussion des Vorgangs und eine gerichtliche Aufarbeitung auch unbedingt sein.

    Aber ich stelle mir dabei das Szenario vor, dass der Junge tatsächlich noch gelebt hätte, Herr Gäfgen *nicht* unter Druck gesetzt worden wäre und der Junge während der folgenden „gemütlichen“ mehrtägigen Verhörphase in seinem Versteck gestorben wäre. Die Boulevardpresse hätte getitelt „Kind tot: unfähige Samthandschuh-Justiz“ und alle hätten mitgeheult; Ja, so ein Skandal, wie kann es denn sein, dass der Täter wieder mal mehr Rechte hat als das unschuldige Opfer, uswusf.

    Hinterher hat’s jeder immer vorher gewusst…