Mahnläufe sind mittlerweile nicht mehr ganz so en vogue. Vor ein paar Jahren noch starteten sie vieltausendfach mit einer Rechnung, dann zwei Mahnungen, danach dann ein oder zwei Schreiben eines Inkassounternehmens, bevor schließlich ein Rechtsanwalt die allerallerallerletzte Mahnung schrieb. Die Drohkulisse war – wirtschaftlich betrachtet – in einer großen Vielzahl erfolgreich. Und das, obwohl einige Zivilgerichte der Ansicht waren, schon die Rechnung hätte nicht geschrieben werden dürfen, weil die Forderung nicht begründet sei.
Etwas Vergleichbares ist mir nun (wieder einmal) in einem schlichten Bußgeldverfahren untergekommen.
Wenn auch nicht mit 140 km/h, sondern nur mit 40 km/h: Es ist wohl eher davon auszugehen, daß der mit diesem Fahndungsaufruf gesuchte Fahrer keine damenbarttragende Frau ist. Wenn also der Mann keine Frau ist, die Adressatin des unten abgebildeten Schreibens aber kein Mann, kann doch ein gewissenhaft arbeitender Sachbearbeiter beim Polizeipräsidenten nicht ernsthaft den Tatvorwurf aufrecht erhalten.
Macht er aber trotzdem:
Es bleibt dem Bußgeldverfolger natürlich unbelassen, bei dieser Sachlage ein Bußgeldverfahren einzuleiten. Wenn aber – jedenfalls für einen durchschnittlich intelligenten Menschen ohne Sehbehinderung – deutlich erkennbar ist, daß Frauen keine Männer sind, müßte das Verfahren ungefähr eine juristische Sekunde später doch wieder eingestellt werden.
Also droht der Polizeipräsident – wenn auch in quasi-konjunktivischen Klausulierungen versteckt – hier mit einem Übel, um die Angeschriebene zu einer Handlung zu bestimmen, zu der sie nicht verpflichtet ist?
In diesem Verfahren ist so einiges schief gelaufen:
- Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte unter Mißachtung der Vorschrift, die besagt: Nicht unmittelbar hinter dem Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung „blitzen“.
- Keine Belehrung über die Beschuldigten- und/oder Zeugenrechte.
- Unberechtigte Androhung der Geltendmachung von Verfahrenskosten.
Nun, es geht hier nur um 15 Euro Verwarnungsgeld. Das könnte die Halterin zahlen und sich anschließend vom Fahrer zum Essen einladen lassen. Aber wenn bereits schon in solchen kleinen Sachen Verfahrensrechte mißachtet werden, wie sieht es dann in den großen Sachen aus?
Ich jedenfalls vertraue behördlichen Schreiben grundsätzlich erst einmal nicht, weil ich nicht mehr davon überzeugt bin, daß der Staat nicht so dreist sein kann, mich über den Tisch zu ziehen.
Diejenigen, die sich ähnliche Gedanken über den Rechtsstaat im Straßenverkehr machen, können sich hier kostenlos über sinnvolles künftiges Verhalten informieren.
Die Leute rennen jetzt schon wegen eines 15-€-Knöllchens zum Anwalt? Wissen denn alle nichts Besseres anzufangen mit ihrer Zeit?
Wer allerdings bei Auftragserteilung unseren leckeren italienischen Caffè probieren möchte, muß schon vorbeikommen; so modern, daß wir unseren Cappuccino per eMail verschicken können, sind wir noch nicht.
Und beim Sparen von 15 Euro auch noch einen Caffè serviert zu bekommen, gibt es auch nicht überall. Was Besseres kann man eigentlich nicht mit seiner Zeit anfangen. crh
Hier ist der Rechtsstaat aber massiv in Gefahr, es sollte zu öffentlichen Kundgebungen auf dem Tahir-Platz oder einem vergleichbaren Ort aufgerufen werden. Insbesondere der Hinweis auf Kostenfolgen eines Bußgeldverfahrens muss mindestens als Nötigung geahndet werden. Ansonsten wäre der Behörde zu einer Fahrtenbuchauflage zu raten – das hilft.
Es ist ähnlich wie in der Privatwirtschaft. Ersteinmal im Mahnlauf gelandet, kommt man da schwer wieder raus – und das kann ganz fürchterlich auf den Keks gehen. Das weiß ein durchschnittlich informierter Verbraucher, weshalb er gerne seine Rechnungen zahlt, anstatt sich zu beschweren. Wenigstens in Deutschland.
Die meisten Firmen und Behörden finden automatisierte Mahnläufe nicht nur deshalb total klasse, auch darüber hinaus sind sie nämlich Gelddruckmaschinen. Steckt man irgendwas halbwegs (kaum?) sinnvolles rein, kommt in den meisten Fällen Geld raus. Wer braucht da schon noch ne goldene Gans? Drucker mit vernünftigem Ausstoss sind die eierlegenden Wollmilchsäue unserer Zeit.
Als wesentliches Kriterium im vorliegenden Fall sehen die Jungs und Mädels vom zuständigen Referat wohl (vielleicht, ich habe keine Ahnung) das lesbare Kennzeichen an. Bei Vertriebsgesellschaften von Zeitschriftenabos soll das gerüchteweise „ähnlich“ sein, da geht es um die Rechnungsanschrift.
Und wenn der Papagei der Oma die Karre gefahren hat – die Wahrscheinlichkeit,dass jemand zahlt, ist hoch.
Die Polizei schreibt doch!
Und darauf kommt es an.
Bertrand Russell wird folgendes Zitat zugeschrieben:
„Die moderne Menschheit hat zwei Arten von Moral: eine, die sie predigt, aber nicht anwendet, und eine andere, die sie anwendet, aber nicht predigt.“
Polizisten sind Menschen.
Es geht noch besser: Im Mai wurde ich im Auto eines Freundes aus Hamburg, der zu dieser Zeit im Ausland weilte, mit 15 km/h zuviel geblitzt. Anhörungsbogen und „Bettelbrief, siehe oben“ wurden ignoriert. Im Bußgeldbescheid hieß es, der Fahrer = Halter des Autos sei durch einen Lichtbildvergleich identifiziert worden. Nur das mein Freund seit langer Zeit Barträger ist, so auch auf dem Lichtbild im Perso, ich aber keinen Bart trage, somit kaum eine Ähnlichkeit zwischen dem Blitzerfoto und dem Persofoto bestehen dürfte, von anderen Äußerlichkeiten mal ganz abgesehen. Erst der Hinweis auf den Auslandsaufenthalt mit Nachweis durch die Flugtickets führte zur Verfahrenseinstellung. Bis dahin waren die 3 Monate Verjährungsfrist zur Vefolgung des tatsächlichen Fahrers natürlich abgelaufen. Es fragt sich also wie die Behörde auf die Identifikation des Halters als Fahrer kommt und ob der Halter bei Einschaltung eines Anwalts seine Kosten ersetzt bekommen hätte. Ich habe den Eindruck, daß die Behörde alle Geblitze erst einmal abzukassieren versucht, ohne zu prüfen ob der Tatvorwurf substanzhaltig ist oder nicht. Zumal der Aufwand sich zu wehren den Geblitzten bei Verwarnungsgeldern von max. 40 € wohl vielfach zu hoch sein dürfte.
Ach ja! Alle, die jetzt beunruhigt sind, sollten es gar nicht sein. Denn der Staat ignoriert ja vielleicht doch manchmal die wirtschaftliche Betrachtungsweise seines Handelns, weshalb die Kohle auch sehr einfach zurück in die Privatwirtschaft abfließt.
Wer so einfach Kohle „drucken“ kann (okay, etwas doppeldeutig), der haut sie auch gerne wieder raus.
Denkt in dem Zusammenhang einfach an Homer Simpsons, der in einer Folge der Serie, als er „Müllinspektor“ wurde, folgenden Satz sagte:
„Marge, ich durfte Schecks mit einem Stempel unterzeichnen, mit nem Stempel!“
Alles kein Problem.
„?Die Geschwindigkeitsmessung erfolgte unter Mißachtung der Vorschrift, die besagt: Nicht unmittelbar hinter dem Schild mit der Geschwindigkeitsbegrenzung „blitzen“.“
Eine solche Vorschrift gibt es nicht, die Begrenzung gilt ab dem Schild – ohne wenn und aber.
In diesem offensuichtlichen Fall müsste man aber mal prüfen, ob hier nicht $ 344 StGB anwendbar ist. Ich würde die Strafanzeige jedenfalls schreiben.
@Miraculix:
Da die Messung mitsamt Foto „von vorne“ erfolgt, wird eine Meßstelle direkt hinter dem Schild an einem Punkt vor dem Schild messen, an welchem die Begrenzung aber noch nicht gilt.
Die genaue Messlinie steht im Protokoll,
so leicht hebelt man die Wegelagerer leider
nicht aus.
@Miraculix:
Das ist eine Poliscan-Messung. Da gibt es keine genaue Messlinie, die in ein Protokoll eingetragen werden könnte. Allenfalls der Standort des Messfahrzeugs und des Geschwindigkeitsschildes dürfte vermerkt sein. Die Messung selbst erfolgt über min. 10 m innerhalb von 50 bis 20 m vor dem Messgerät (heißt es).
Die Sache mit den fünfzehn Euro und dem Kaffee habe ich noch gar nicht so gesehen. Das rechnet sich auf jeden Fall. Bekannte von mir waren in diesem Sommer in Rom bzw. Venedig, wo man für einen Kaffee mehr als zwanzig Euro bezahlen durfte. Sie haben richtig gelesen. Ohne etwas zu essen.
Den Blick auf Vatikanstadt oder Markusplatz hat man eben mitbezahlt.
So gesehen – ob der Anwalt dann noch eine Erstberatungsgebühr verlangt oder nicht, das geht uns nichts an.
Aber wenn der Mandant Tee trinken möchte, ein Babyfläschchen aufwärmen will, den kleinen Brüllaffen umwindeln will und andere Kinder in den Kanzleiräumen Indianer, Fangen und Verstecken spielen, dann wird es interessant.
Fachanwältinnen für Familienrecht und Mitarbeiter/innen von Jugendämtern sind so etwas übrigens gewöhnt.
Ich würde in dieser schicken Kanzlei sofort Kaffee trinken, aber ich bin mit mit dem Fahrrad unterwegs. Das wird nicht geblitzt und nicht abgeschleppt.
So ein Pech für den Anwalt und das Kanzleikonto.