Fehler machen wir alle. Aber manchmal ist echt der Wurm drin. In dieser Sache allerding hat der Wurm den Durchmesser einer Röhre des Gotthard-Strassentunnels.
Am 15.11.2011 hat mein Kollege Tobias Glienke vor dem Amtsgericht Zossen eine Bußgeldsache verteidigt. Seinem Mandanten wurde eine Geschwindigkeitsüberschreitung vorgeworfen, die er 2 Jahre und 3 Wochen vorher begangen haben sollte. Das Verfahren hatte sich ein wenig in die Länge gezogen und war irgendwie dem Blickfeld des Richters entschwunden. Jedenfalls stand am Terminstag fest: Die Tat ist verjährt (§ 33 Abs. 3 Satz 2 OWiG). Das mündlich ergangene Urteil lautete also auf Einstellung wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung. Party war also angesagt.
Nun kam das schriftliche Urteil:
Zum Inhalt dieses Urteils ist folgendes festzuhalten:
Seite 1:
- Verteidiger ist nicht Rechtsanwalt Hoenig, sondern Rechtsanwalt Glienke.
- Teilgenommen hat nicht nur der Richter allein, sondern eben auch besagter Verteidiger.
- Der Richter am Amtsgericht in einer Bußgeldsache ist kein „Vorsitzender“.
Seite 2:
- Der Tenor lautete nicht: „Gegen den Betroffenen wird … eine Geldbuße … festgesetzt“, sondern: „Das Verfahren wird wegen Eintritts der Verfolgungsverjährung eingestellt.“
- Es hat keine Beweisaufnahme stattgefunden.
- Demzufolge war auch kein Gutachten Gegenstand der Beweisaufnahme.
- Daß Verjährung vorliegt, ergibt sich aus den Daten auf der ersten Seite.
Seite 3:
- Gegen das Urteil gibt es für den Betroffenen kein Rechtsmittel.
- Das Urteil ist kein Beschluß.
Jetzt fehlt nur noch, daß morgen die Polizei auf der Matte des Mandanten steht und den Führerschein beschlagnahmen will.
Ohne jede weiterer Diskusssion Strafanzeige wegen der ganzen Palette der Straftaten im Amte gegen die ganze daran beteiligte Truppe sowie die freundliche Anregung an den Dienstherrn den ungemein qualifizierten Richter umgehend aus dem Dienst zu entfernen und zukünftig – wenn es sich nicht vermeiden läßt – ausschließlich mit solchen Angelegenheiten zu betrauen, die rechtsmittelfähig sind.
Ob da eine Verwechslung vorliegt? Vielleicht freut sich ein mündlich verurteilter Betroffener nun auf eine schriftliche Einstellung seines Verfahrens?
Es gilt das mündlich verkündete Urteil? Was macht man mit diesem Wisch jetzt als Anwalt? Rechtsmittel, einfache Berichtigung oder in den Mülleimer?
Da wurde wohl versehentlich das bereits zuvor (vor der richterlichen Erkenntnis der Verjährung) entworfene Urteil ausgefertigt…
fraglich ist hier wohl eher, ist die Entscheidung falsch oder die Ausfertigung?
Aber das versteht hier sowieso keiner….
Das nennt man wohl einen juristischen Grand-Slam.
Egal , irgeneiner verdient doch immer !
Da freut sich wieder einer.
DDR-Recht?
Hey Hey, das erinnert mich an meine Zeit als Gerichtsreporter an den Ag/LGs in Chemnitz und Leipzig. Schon damals hatte sich die Creme de la Creme des Richterstandes mit Bußgeldverfahren zu befassen und schon damals hat so mancher Richter zwar davon geträumt, einmal ein richtiger, nämlich Vorsitzender Richter an einer Kammer zu werden, darüber aber vergessen, seine Hausaufgaben richtig zu machen…bzw. es nicht gekonnt, weshalb die entsprechenden RiInAGs auch gemeinhin als Altlast oder Sonder…last bekannt waren.
Entsprechend der falschen Rechtbehelfsbelehrung sofortige Beschwerde einlegen, die damit eröffnet wurde.
Da ist wohl schlicht ein Versehen vorgekommen, nämlich so wie immer verfahren worden. Tücke aber auch …
Rechtlich gesehen ist natürlich nur die in der Verhandlung verlesene Urteilsformel relevant. Die in der Ausfertigung niedergeschriebene Formel existiert de jure gar nicht, da sie nicht verkündet wurde (vgl. BGHSt 34, 11, 12; BGH NStZ-RR 2002, 100).
Gleichwohl dürfte hier die Frage interessant sein, was man tut. Ich würde einen Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde erwägen, Vielleicht kann man die falsche Rechtsmittelbelehrung ggf. als Zulassung der Rechtsbeschwerde werten? Vielleicht hilft aber auch einfach ein Anruf bei dem RiAG (als Abteilungs-Vorsitzendem)?
Lassen Sie uns doch mal wissen, wie Sie hier vorgehen?
Das ist wirklich der Knüller. Interessant finde ich in der Tat folgende Fragen:
1. War das böse Absicht oder ein Versehen? Könnte es passieren, dass der Richter nun behauptet, dass das Urteil so verkündet wurde?
2. Deshalb: Was steht im Protokoll als verkündetes Urteil? Die Einstellung?
Und – wesentlich spannender – wie geht man vor?
1. Antragsfrist für die Zulassung der RB dürfte durch sein. Es müsste dann allenfalls über die Wiedereinsetzung probiert werden. M.E. aber nicht der richtige Weg, denn das Urteil wurde ja „korrekt“ verkündet, somit sollte die RB erfolglos sein, da die Entscheidung IM ERGEBNIS ja richtig ist. Falls es klappt, könnte man über das rechtliche Gehör gehen.
2. Berichtigungsantrag wegen offensichtlichem Fassungsversehen? Kann einem ganzen Urteil ein Fassungsversehen zugrunde liegen? Ich finde schon.. Aber der Richter auch?
3. Antrag auf einen feststellenden Beschluss, dass die verkündete Entscheidung gilt? Aber dogmatisch dürfte das eher fernliegend sein.
Ich überlege grade, was ich machen würde..
Vermutlich:
1. Antrag auf Berichtigung des Urteils wegen offenkundigem Fassungsversehen.
2. Hilfsantrag auf Feststellung, dass das in der Hauptverhandlung verkündete Urteil nach § 268 II 1 StPO, § 46 I OWiG gültig ist.
Wäre sehr schön, wenn wir hier über den Fortgang informiert würden!
btw:
@Andreas: Die RB kann nur durch das OLG zugelassen werden, nicht durch das AG. Der Weg über die RB kann, wenn überhaupt, eigl. nur über das rechtliche Gehör gehen, da sonst keine Zulassungsgründe gegeben sind (Stichwort: keine Einzelfallgerechtigkeit).
Kurzer Nachtrag:
Was natürlich auch eine Erwägung wert wäre:
Antrag auf Zulassung der RB und dann das OLG ersuchen, das Verfahren einzustellen. Das geht nach hM und Rspr nämlich schon VOR der Zulassung der RB in jedem Verfahrensstadium. Das OLG kann nach § 47 II einstellen, weil eine Ahndung nicht geboten erscheint, sobald die Sache bei ihm anhängig ist.
Ach ist das ein Mist. Wie gesagt, wir warten auf Bericht über den Fortgang :)
@ Ingo
Ich gebe Dir Recht, dass die Revision (bzw. hier Rechtsbeschwerde) dogmatisch insoweit problematisch ist, da eigentlich ein korrektes Urteil vorliegt.
Gleichwohl hält die ganz h.M. eine Revision (Rechtsbeschwerde), die sich auf ein Abweichen von verkündeter und geschriebener Urteilsformel stützt für begründet, da insoweit ein Verstoß gegen § 260 StPO vorliegt (vgl. KK-Engelhardt, StPO, 6. Aufl. 2008, § 268 Rn. 16 mit Verweis auf RGSt 3, 131). Soweit ich mich erinnere empfiehlt dies auch Russack so in seinem Lehrbuch zur Revision. (Eine Fundstelle kann ich leider nicht liefern, da ich das Werk nach den Klausuren in Kisten im Keller verstaut habe…)
Stimmt, die Zulassung kann nur durch das OLG erfolgen. Sie ist hier natürlich auch problematisch, da streng genommen keine Verletzung rechtlichen Gehörs vorliegt, sondern ein schlichtes – wenn auch grobes – „Redaktionsversehen“ des Gerichts. Ich würde hier allerdings – auch im Lichte der zu beachtenden Grundrechtspositionen – zu einer weiten Auslegung tendieren. Anderenfalls dürfte nämlich auch die Anhörungsrüge scheitern und nur noch die Verfassungsbeschwerde greifen.
Ohne das Ganze ausführlich recherchiert zu haben, wäre meine vorläufige Einschätzung, einen Antrag auf Zulassung der RB zu stellen und zugleich rein vorsorglich VB zu erheben.
Mal als Außenstehender ein paar Fragen dazu:
1. Welche rechtliche Wirkung hat die Ausfertigung des Urteils, wenn sie vom verkündeten Urteil abweicht? Die Begründung muss ja gar nicht angefochten werden, da das verkündete Urteil akzeptiert wird.
2. An wen wurde die Ausfertigung adressiert? An den Anwalt als Empfangsbevollmächtigten? Es ist ja nicht nur der falsche Anwalt, sondern sogar einer, der konsequent seine Vollmacht dem Gericht nicht vorlegt, damit er eben nicht empfangsbevollmächtigt ist. Insofern hätte das Gericht die Ausfertigung auch *irgendwem* zustellen können und bezogen auf das Verfahren hat es das ja auch getan.
In diesem Fall wäre meine Frage: Wenn das Gericht die Ausfertigung des Urteils z.B. mir statt dem Ex-Beschuldigten zustellt – fangen dann überhaupt für irgendwen irgendwelche Fristen an?
Mal angenommen, die zuständige Geschäftsstelle hat nicht nur einen kapitalen Bock geschossen, indem sie 2 Verfahren fix gemixt hat, sondern wird auch nicht mehr gelesen, was getippt wird? Da sollte auffallen, das Urteil und Protokoll nicht zusammenpassen…. Jedenfalls entschuldigt dies niemals den Richter, dem der Vorgang zur Unterschrift vorlag und alles abnickte. Tolles Team…
Bin schon gespannt, wie es weitergeht!
@Andreas:
Das Problem bei der Rechtsbeschwerde sind aber zusätzlich die Zulassungshürden. Auch schwere und evidente Rechtsfehler führen nur zur Zulassung der RB, wenn sie über den Einzelfall hinaus bedeutsam sind (keine Einzelfallgerechtigkeit), zumal wir hier in der ganz verschärften Variante des § 80 II OWiG sind. Da ist die ZUlassung wegen Verfahrensfehler eigentlich gar nicht möglich.
Man könnte hier erwägen, das Recht derart fortzubilden, dass das OLG eine neue – ungeschriebene – Zulassungsvoraussetzung schafft.
Ich vermute fast, im Zweifel ist es richtiger, das Protokoll anzufordern, das Gericht schriftlich auf den Fehler hinzuweisen und Berichtigung oder Feststellung der Wirksamkeit des mündlich verkündeten Urteils zu beantragen.
Dann stellt man den KFA, wartet ab und falls es eine Vollstreckung gibt, wehrt man sich gegen diese mit den ordentlichen Rechtsbehelfen..
@ Ingo
Ich stimme zu. Wahrscheinlich ist Abwarten und Tee trinken hier in der Tat der beste Ansatz. Sind ja nur EUR 70,- um die es hier geht, und da die schriftliche Ausfertigung praktisch ein Nicht-Urteil ist kann man sich ja immer noch gegen alles wehren
Möglicherweise etwas optimistisch, aber hat sich in der Sache schon etwas getan?
[…] ist übrigens die korrigierte Variante des grottenfalschen Urteils vom 15.11.2011, das Rechtsanwalt Tobias Glienke „erstritten“ (s.o.) […]
@Esther: Ja, siehe http://www.kanzlei-hoenig.de/2012/die-muehlen-der-justiz/ (ich liebe es, auf Offensichtliches hinzuweisen)