Freispruch für den Neonazi

Über die Schwierigkeiten der Rechtsanwältin Tina Gröbmayr und ihres Ausbilders Rechtsanwalt Ulf Köpcke, die einen Neonazi in Freiburg verteidigen, hatte ich berichtet. Es ging in meinem Blogbeitrag um die Frage, ob es einer links-alternativen Anwältin gestattet ist, eine rechtsradikale Dumpfbacke zu verteidigen. Dabei habe ich die Ansicht vertreten, daß auch Dumpfbacken effektiv verteidigt werden müssen.

Eine andere Ansicht vertreten (vertraten?) die Parteifreunde der Verteidigerin, die in einer Gegenrede zu meiner Kritik Stellung genommen haben.

Heute nun berichtet Heinz Siebold in der taz, daß die Verteidigung der beiden Kollegen zu einem erstinstanzlichen Freispruch geführt hat:

Das Landgericht Freiburg hat den Kopf der Neonazigruppe „Freie Kräfte Ortenau“ und erfolglosen NPD-Landtagskandidaten Florian S. vom Vorwurf des versuchten Totschlags freigesprochen.

Dem taz-Bericht ist zu entnehmen, daß das Gericht davon ausging, der Angeklagte hätte zum einen keinen Tötungsvorsatz gehabt. Aber selbst eine gefährliche Körperverletzung sei nicht gegeben, weil der Neonazi in Notwehr – also um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich abzuwenden, § 32 StGB – gehandelt habe. (Ob die Tat nun „gerechtfertigt“ oder wegen eines Exzesses „entschuldigt“ gewesen sein soll, läßt sich aus dem taz-Bericht nicht sauber herleiten; dies ist für das Ergebnis – Freispruch – aber auch egal.)

Die Staatsanwaltschaft prüft nun, ob sie gegen das Urteil Revision zum Bundesgerichtshof einlegen wird. Die Vertreter der Nebenklage sind sich spontan sicher, daß sie für ihre Mandanten ins Rechtsmittel gehen werden.

Der Journalist zitiert die Vorsitzende Richterin:

Der Grundsatz „in dubio pro reo“ gelte aber auch für Neonazis.

Die Nazis hätten ihre Ziele erreicht, wenn das nicht so wäre. Ich freue mich als Verteidiger jedenfalls für die junge Kollegin und ihren Erfolg. Wenngleich ich als Mensch den Nazi auch lieber von der Straße geholt gesehen hätte.

Die Konsequenz aus dieser Entscheidung, die einige der Zuhörer und die Nebenklage nun befürchten, muß der Rechtsstaat ertragen. Ich auch.

Update:
Kommentar zum Neonazi-Urteil: „Rechtsstaat tut weh„, auch von Heinz Siebold, nun in der Stuttgarter Zeitung

Dieser Beitrag wurde unter Strafverteidiger veröffentlicht.

19 Antworten auf Freispruch für den Neonazi

  1. 1

    Zu Ihrem Satz „Wenngleich ich als Mensch den Nazi auch lieber von der Straße geholt gesehen hätte.“ frage ich mich: Warum?

    Wenn er doch unschuldig/freigesrochen ist, wieso soll er dann „von der Straße geholt“ werden? Wegen seiner politischen Ansichten, wegen seiner Meinung?
    Das ist kein Grund. Wir müssen uns mit Nazis und deren Meinungen auseinandersetzen, aber das hat sich auf Argumente, Kritik und gerne auch humorvolle Häme zu beschränken. Niemand muß im politischen Meinungsstreit „von der Straße geholt“ werden.

  2. 2
    Ingo says:

    Sie fragen sich nicht ganz zu Unrecht, Herr Moser!

  3. 3
    Tapir says:

    „Wir müssen uns mit Nazis und deren Meinungen auseinandersetzen, aber das hat sich auf Argumente, Kritik und gerne auch humorvolle Häme zu beschränken.“

    Ihr Rezept klingt vielversprechend. Ich bin mal so frei zu vermuten, dass die Anklage den Vorwurf des versuchten Totschlags nicht aus Spaß aus dem Hut gezaubert hat. Aber bitte, begegnen wir solchen Subjekten mit Argumenten und Häme; der tut schon nichts, der will doch nur spielen …
    Immerhin täten wir dann schon mehr als der Verfassungsschutz. Lol!

  4. 4
    T.H., RiAG says:

    Die Stuttgarter Zeitung hat auf ihrer Website hierzu einen passenden Kommentar unter der treffenden Überschrift „Rechtsstaat tut weh“ veröffentlicht. Sollten sich auch diejenigen mal durchlesen, die sich für Superdemokraten halten und sich dabei anmaßen, Beschuldigte nach den Kategorien „verteidigungswert“ und „verteidigungsunwert“ zu selektieren. Rechtsstaat und Demokratie kann man nicht schützen, indem man ihre Prinzipien aufgibt, auch wenn einem das Ergebnis nicht immer gefällt.

    • Danke für den Hinweis auf den Kommentar; ich habe den Link hier und den Kommentar in meinem Beitrag oben hinzugefügt. crh
  5. 5
    Fronck says:

    @3 Tapir:

    Genau DAS ist das Argumentationsmuster des stereotypen Bildlesers: „Die Staatsanwaltschaft wird schon recht gehabt haben… der Freispruch ist nur ergaunert… eigentlich ist der doch schuldig. Scheiß Rechtsstaat, der die Bösen nie kriegt. Mehr Härte; früher hätte es das nicht gegeben!“ Ganz große Wissenschaft, Herr Kollege, Sie haben einiges verstanden.

  6. 6
    Tapir says:

    Ich lese weder die Bild, noch habe ich gesagt, dass der Freispruch ergaunert ist oder gar, dass der Rechtsstaat scheiße ist … Ihr Kollege bin ich mit Sicherheit nicht – weder in der Anwalts- noch in der Slangwelt. Das öffentliche Pöbeln hätten Sie sich sparen können.
    Zurück zum Thema. Vielleicht bemühen Sie sich mal, das Urteil bzw. die Meldung des Gerichts zu lesen. Da steht u.a. geschrieben, dass der Täter die Option hatte, einfach weg zu fahren, statt auf die Menschengruppe drauf zu halten plus im Vorfeld via Facebook Gewalt gegen politisch linksorientierte angekündigt hatte.
    Einzig die Tatsache, dass das Gericht nicht ausschließen konnte, dass der Täter unter Panik stand und aufgrund dieses Umstandes die ungefährliche Wahlmöglichkeit ausließ (§ 33 StGB), führte dazu, dass der Täter in dubio pro reo freizusprechen war.
    Und jetzt überlegen Sie nochmal, ob die Anklage der Staatsanwaltschaft nicht mehr als angemessen war. Das Urteil des Gerichts ist m.E. ebenfalls konsequent, damit wir uns richtig verstehen, die Anklage war es jedoch auch – oder hätten Sie die Einschätzung lieber der Verkehrspolizei überlassen?
    Jenseits der juristischen Grenzen war/ist(?) der Mann ein überzeugter Nazi, der „von der Straße geholt werden“ muss(te) – u.a. durch regelmäßige Besuchen von Sozialarbeitern und Aussteigerhelfern und ggf. mithilfe Überwachungsmaßnahmen durch die zuständigen Behörden … Nazis wollen nämlich nicht nur spielen und wenn, dann tun sie das wie unter Adolf Nazi.

  7. 7

    Mir scheint das Problem beginnt bereits da, wo ein Neonazi vor Gericht steht, weil er einen Totschlag versucht haben soll. Wozu diese Wertung? Ist ein Toter schlimmer tot, wenn er von einem Neonazi erschlagen wurde als wenn ihn ein Autonomer platt gemacht hat? Letztlich sollte es vor einem Strafgericht nicht um die Gesinnung gehen, sondern darum, ob jemandem die Tat, die ihm zur Last gelegt wird, auch nachgewiesen werden kann. Dabei spielt es keine Rolle, ob derjenige ein Neonazi oder ein Autonomer ist. Und wenn diese Argumentation richtig ist, dann sollten sich Juristen gegen die Einführung von „Hassverbrechen“ in das StGB langsam einmal zur Wehr setzen.

  8. 8
    meine5cent says:

    @Michael Klein:
    Derartige Motivationen (Ausländerhass, Vernichten eines politischen Gegners etc) können sehr wohl eine Rolle spielen, wenn es um das Mordmerkmal „niedere Beweggründe“ geht bzw. solange man im Bereich Totschlag bleibt, ohne dass die Schwelle zum niederen Beweggrund erreicht ist, dürften diese Motive ein Strafzumessungskriterium sein.

  9. 9
    @Michael Klein says:

    Als Ergänzung zu #8 noch der Hinweis darauf, dass hierzulande Autonome im Gegensatz zu Nazis selten jemanden „plattmachen“. Zweitere hingegen haben in den letzten Jahren in Deutschland hunderte Menschen getötet. Darauf hatte ich Sie auch schon unter einem älteren Beitrag aufmerksam gemacht.
    Links- und Rechtsextremismus gleichzusetzen obliegt der Bildzeitung und dem Verfassungsschutz, zwei Institutionen, die sich selten mit Ruhm oder bahnbrechenden wissenschaftlichen Erkenntnissen bekleckern bzw. bekleiden.
    Da stehen Sie drüber …

  10. 10
    Joerg says:

    Mit Verlaub Herr Klein, aber dann haben Sie das auch nicht verstanden. Gewalt ob links ob rechts ist nicht – in keiner Weise – zu rechtfertigen. Die Argumentation „Das Rechte richte sich gegen Menschen“ greift im Kern nicht durch, da es eine Argumentationsgrundlage von solchen Menschen ist, die den linken Gedanken von Freiheit des Einzelnen nicht verstanden habe. Und nicht nur die NSU auch die RAF als „linke Gruppierung“ haben Menschen getötet, weil sie nicht so waren, wie es in deren Weltbild passte: „Wir sagen der Polizist er ist kein Mensch, er ist ein Schwein… und natürlich darf geschossen werden!“. Ich verachte deswegen jede Art von politischer Gewalt ob von links und rechts. Politische Gewalt von links (und sei es Autos anzünden – ach dis waren ja gar keine Linken) ist genauso inakzeptbel wie Ausländerklatschen in der Nationalbefreiten Zone. Wir – die Demokraten dieses Landes – wir haben uns dagegen zu wehren. Ich will meine Freiheit, die Freiheit wählen zu können ob ich für Greenpeace, einen internationalen Konzern oder eine Behörde arbeiten darf. Das soll mir keiner vorschreiben. Soll sie ALLE die volle Härte unseres Rechtsstaates treffen, aber nur solange dies auch gerechtfertigt ist.

  11. 11
    Deutsche Gabbana says:

    Ich hab das Urteil nicht gelesen. Aber wenn die einzige Begründung für die Straffreiheit die ist, dass beim Angeklagten nicht ausgeschlossen werden könne, dass er aus Affekt (§ 33 StGB) gehandelt habe, so finde ich das hanebüchen. Muss man nicht positiv diese Feststellung treffen, damit Straffreiheit eintritt? Bei einem Rechtfertigungsgrund (z.B. § 32 StGB) genügt es doch auch nicht, dass man nicht ausschließen kann, dass er in Notwehr gehandelt habe. Das ist doch Quatsch. Wenn kein Rechtfertigungsgrund eintritt, bleibt es bei der Tatbestandsmäßigkeit, die die Rechtswidrigkeit INDIZIERT (modernere Finalitätslehre, ganz überwiegende Meinung: http://de.wikipedia.org/wiki/Rechtswidrigkeit).

    Die Rechtswidrigkeit muss also widerlegt werden und wird nicht vermutet.

  12. 12
  13. 13
    erwin says:

    Was gibt es da zu Diskutieren…
    Gleiches Recht für alle oder?

  14. 14
    Engywuck says:

    @Deutsche Gabbana: laut Badischer Zeitung ist einer der „Linken“ sogar noch auf’s Auto gesprungen, um es zum abbremsen zu bewegen – obwohl er hätte ausweichen können.

    Zudem die Gegenfrage: nehmen wir an, Sie hätten (aus welchen Gründen auch immer) mit einer anderen Gruppe so Streit, dass handgreifliche Auseinandersetzungen stattfinden oder zu erwarten sind. Von dieser Gruppe kommen nun drei Personen, teilweise vermummt, mit einer Sprühdose Tränengas (und was sonst noch) auf ihr Auto zu. Also *mein* erster Reflex wäre da (vermutlich) „Gang rein und Gas geben“. Lenken wäre in diesem Fall eher eine Sekundärleistung, wenn da nicht grad eine Mauer direkt vor mir wäre. Zumal wenn die (vermuteten) „Angreifer“ noch ausweichen können. Wie sieht es bei ihnen aus?
    (Dass man es idealerweise gar nicht zu so einer Situation kommen lassen sollte sei mal dahingestellt)
    Und wie hätten Sie geurteilt, wenn dies drei „Rocker“ und eine Frau im Auto gewesen wäre? 8beliebige andere Kombination einsetzen).

  15. 15
    @#14 says:

    Statt hier rumzuschwafeln hätten Sie den Sachverhalt lesen sollen. Der Mann hätte ausweichen können. Einzig der Umstand, dass NICHT AUSZUSCHLIEßEN war, dass er aufgrund von Panik FALSCH reagiert hat, führte zum Freispruch in dubio pro reo. Fahren Sie Auto? Menschen weichen sogar Wild aus und verenden deshalb an Bäumen …
    Vorliegender Fahrer hatte via Facebook verkündet, dass er nur zu gerne einmal einen Anlass kriegen würde, linksorientierten nicht nur verbal die Meinung zu geigen und ist einschlägig vorbestraft – glaub wegen Körperverletzungsdelikten …

  16. 16

    @Deutsche Gabana: natürlich gilt „in dubio pro reo“ auch bei den tatsächlichen Voraussetzungen von § 32 StGB. Dieser „ganz überwiegenden Meinung“ gehört jedenfalls weder der BGH (z.B. BGH, 26.08.2004 – 4 StR 236/04, 11. Absatz ) noch der Fischer (57. Aufl., § 32 Rn 3) an.

  17. 17
    engywuck says:

    @#15: ja, der Fahrer hätte laut Presseberichten ausweichen können. Ebenso hätte es aber anscheinend auch der Angefahrene können. Beim Fahrer kann eine Panikreaktion nicht ausgeschlossen werden, der Angefahrene soll angeblich sogar Richtung Auto gesprungen sein. Was ist (so diese Aussage stimmt) blöder?
    Zudem kennen wir die genauen Umstände und den Wortlaut der Aussagen des Fahrers im Vorfeld nicht. Stand da wirklich was in der Richtung „wenn ich die mal sehe niete ich die um“ oder stand da was von „ich seh schon kommen: irgendwann werd ich noch einen von denen anfahren“. Kennen SIE die Original-Zitate? Wenn ja zeigen Sie mir bitte die Fundstelle *mit* Umfeld zur Einordnung, ich konnte sie bisher nicht finden.
    Daher gehe ich in dubio pro reo ;-) einfach mal davon aus, dass die Richter sich das alles anz genau angesehen haben und wohlinformiert ihr Urteil fällten. Wir beide können das nicht, da wir weder bei der Verhandlung dabei waren noch alle Unterlagen kennen. Alles was ich bisher gelesen habe schließt aber eine Provokation durch die späteren Opfer (evtl. auch schon im Vorfeld) und eine Panikreaktion des Fahrers nicht aus – die Hauptreaktion im Netz läuft aber letztlich auf „der ist Nazi, ALSO schuldig“ hinaus. Vor 15 Jahren hätte ich das vermutlich auch so gesehen, aber inzwischen bin ich keine 20 mehr und weiß, dass die Welt nicht sooo einfach in schwarz und weiß zu teilen ist – und Radikale jeder Couleur schei… sind. Rechte vielleicht eher, aber auch die „Linken“ Radikalen sind zu einem gewissen Teil verblendete Idioten mit Gewaltphantasien.
    Wie gesagt: wir waren alle miteinander nicht dabei , und ich warte auf die Veröffentlichung der schriftlichen Urteilsbegründung (+evtl höhere Instanzen)

  18. 18
    @#17 says:

    Am Ende des Tages bleibt, losgelöst von vorliegendem Einzelfall, das Fazit, dass in Deutschland Jahr für Jahr viele Menschen – die letzten 10 Jahre waren es weit über 100 – durch Nazis ermordet werden, diese politisch motivierten Tötungsdelikte vom Verfassungsschutz (Kriminalstatistik) wiederholt nicht beachtet wurden, während linksextremistischen Straftaten – und sei es ein vereinzelter Steinwurf – jedes Mal eine riesige politische und mediale Aufmerksamkeit gewidmet wird.
    Niemand würde auf die Idee kommen, Kinderschänder und Taschendiebe in einen Hut zu werfen. Ich bin gegen Extremismus in jeglicher Form, rechter und linker sind jedoch nicht vergleichbar und zwei verschiedene Paar Schuhe. Es ist bezeichnend, dass ausgerechnet der Verfassungsschutz, der den NSU jahrelang ungestört morden ließ, ein vehementer Verteidiger der absurden politischen Skala ist, bei der rechte und linke Strömungen von der „neutralen“ Mitte gleich weit entfernt sind.

  19. 19
    Kein Jurist :-) says:

    Als Laie stelle ich mir bei der ganzen Geschichte die Frage nach der strafrechtlichen Würdigung des Angriffs auf den Neo Nazi.
    Nach den Berichten, die mir bekannt sind, haben die Drei z.T. vermummt mit Reizgas bewaffnet, den Beschuldigten angegriffen.
    Jetzt mal von der Frage abgesehen, ob es sich bei dem Neo Nazi um eine berechtigte Notwehrhandlung gehandelt hat oder nicht, wie sieht es mit dem auslösenden Angriff aus? Rechtswidrig war doch auch dieser, oder ?