Gisela Friedrichsen kritisiert Verteidiger

In einem Zwischenruf auf der Legal Tribune Online kommentierte Gisela Friedrichsen bereits am 12.05.2010 die Entwicklung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, insbesondere die des 1. Senats, der u.a. für die erstinstanzlichen Urteile der bayerischen Landgerichte zuständig ist.

Die Gerichtsreporterin berichtete über einen Fall, der ganz gut in die derzeit aktuelle Stimmung paßt, die das – ebenfalls in Bayern „spielende“ – Verfahren gegen Herrn Mollath erzeugt hat. Zutreffend stellte Frau Friedrichsen fest, daß es nicht allein die Richter in Bayern und am Bundesgerichtshof in Karlsruhe sind, die für diese nun schon länger andauernde Entwicklung verantwortlich zu machen sind. Sie nahm auch die Verteidiger in die Verantwortung:

Mir fällt auch auf, wie ungeniert Richter mittlerweile der Verteidigung Fristen setzen zur Stellung von Beweisanträgen, wie sie Druck ausüben. War das nicht einmal anders? Ertönt nur das Wort „Verschleppungsabsicht“, das auch von den Medien mit Wonne aufgenommen wird – so mancher Verteidiger knickt eingeschüchtert ein. Warum wird nicht rebelliert? Was ist mit den Standesorganisationen? Hat, wer aufmuckt, schon von vornherein verloren?

Verteidiger fühlen sich diszipliniert und an die Leine gelegt. Sie erleben immer öfter, wie offensichtliche Rechtsfehler mit einem Einzeiler und dem unseligen „o.u.“ – offensichtlich unbegründet – erledigt werden, wenn sich der Senat nur einig ist. Sie erleben, wie Angeklagte in abstruse Absprachen hineingezwungen werden, zu denen es keine Alternative mehr gibt, weil die Hoffnung auf eine Revision des Urteils weggeschmolzen ist wie Schnee von gestern. Soll das die Zukunft sein?

Vielleicht ist es an der Zeit, einfach mal „Nein!“ zu sagen. Denn seit Mai 2010 hat es – eben auch wie der Fall Mollath beispielhaft illustriert – keine Richtungsänderung in dieser vor zweieinhalb Jahren bereits skizzierten Entwicklung gegeben. Diese schmutzigen Deals, von denen Frau Friedrichsen schrieb, sind nicht weniger geworden.

Wir hatten hier einen Fall, in dem unserem Mandanten gegen ein Geständnis 4 Jahre angeboten wurden. Nachdem er dieses Angebot nicht angenommen hatte und sich im weiteren Verlauf der Beweisaufnahme der Großteil der Tatvorwürfe als unhaltbar herausstellte, wurde er zu 5 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Durch geschicktes Taktieren der Staatsanwaltschaft in einem parallel laufenden Haftbeschwerdeverfahren wurde der Mandant veranlaßt, seine Revision zurück zu nehmen.

Nicht in Bayern, hier in Berlin. Das kann nicht gutgehen!

Bild: Petra Bork / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Gericht veröffentlicht.

8 Antworten auf Gisela Friedrichsen kritisiert Verteidiger

  1. 1

    Die „erzieherischen“ Versuche von Richtern nehmen auch in Zivilsachen zu. Derzeit gern: „Man möge doch sachlich bleiben“. Der Versuch de Domestizierung von Anwälten. Es ist unsere Pflicht als Anwälte/Anwältinnen , dem entschieden Einhalt zu gebieten.

  2. 2
    Schalice Warzer says:

    Das war bestimmt ein böser Vergewaltiger, dem man nur nicht genug nachweisen konnte. Alle wussten er war es und deswegen wurde er ordentlich verknackt.

    Hätte er gestanden und gedealt, dann wäre ihm das nicht widerfahren. Wer einsichtig ist, der kommt billiger davon. So ist das nunmal: wer nicht gesteht, bekommt den „Ich-deal-nicht-Malus“ und wird extra hart bestraft. Auch die Unschuldigen sind immer irgendwie schuldig! Auch die sollten lieber gestehen!

  3. 3
    alfred says:

    Das ist ökonomisch. Die Richter haben, wie in jeder anderen Verwaltung (und wesentlich anders habe ich es in meiner Referendarszeit am AG und LG nicht empfunden) werden auch dort Stellen gestrichen. Der Geschäftsführer meines Arbeitgebers entgegnete auf die Klagen der Dezernate, dass eine rechtl. Prüfung doch ein wenig länger dauert als die vorgesehenen 100 Minuten: „Sie sollen nur die Qualität anbieten, die wir bezahlen können. Da muss man eben mal nicht mehr so genau hingucken“. Der Niedergang der Rechtspflege.

  4. 4
    Björn says:

    Hihi, der (vor)letzte Absatz klingt mir sehr nach „Waffengleichheit“. Finde ich schön.

  5. 5
    Spormann says:

    Frau Friedrichsen, deren Kommentare ich durchaus nicht immer schätze, hat bei der Beschreibung des Problems „dealen oder nicht?“ ganz sicher Recht. Aber dürfen wir als Awälte die Verteidigung der Strafrechtskultur auf dem Rücken unserer Mandanten austragen? Es kommt doch nicht darauf an, dass wir uns gefallen, stolz Haltung zeigen, unsittlichen Angeboten eines Strafkammervorsitzenden mannhaft widerstehen, uns dabei toll vorkommen, vielmehr sollen und dürfen wir nicht gegen das Intesse des Mandanten am besterreichbaren Ergebnis in seiner Strafsache handeln. Welcher Angeklagte hört schon gern von seinem Vereidiger nach einem Urteil: „Na ja, jetzt sind zu zwei Jahren mehr verurteilt worden als uns bei einem deal angeboten wurde, aber war es nicht ein Genuss, mich plädieren zu hören?“ – Ich setze auf die immer währende Anprangerung der unseliegen „deal – Nötigungspraxis“ in allen dazu geeigneten Foren und auf die Einsicht von Richtern, die sich jedenfalls mehrheitlich in ihrer Haut wohl fühlen und tatsächlich und unverfälscht „Recht sprechen“ wollen. Und ich setze auf die Obergerichte, die den Auswüchsen einer an sich gut gemeinten Reform des Verfahrensrechts Einhalt gebieten werden. Aber nochmal: Lassen wir nicht unsere Mandanten leiden, denn für gewissenloses richterliches Handeln lönnen sie nun wirklich nichts.

  6. 6
    Ein Laie says:

    @Spormann

    Sehr gute Überlegung, wie ich finde! Die große Frage ist, ob der jeweilig angebotene Deal für die Mandantschaft ein augenscheinlich “guter Deal” ist. Auch wenn das oftmals etwas mit “in die Glaskugel schauen” zu tun hat, müssen sich Verteidiger und Mandant(in) damit auseinandersetzen.

    Das Problem ist nicht die Verteidigung, sie hat kein brauchbares Mittel, sich gegen so ein Verhalten zu wehren. Es dürfte sich dabei um ein strukturelles Problem handeln.

    Es geht hier wohl nicht um die Frage, wie sich die Gerichte ohne die Gesetzesgrundlage nach § 257c StPO verhalten würden. Würde eine Kammer, wenn es diese im Jahre 2009 eingeführte gesetzliche Grundlage nicht gäbe, eine schärferes Urteil gegen einen Angeklagten fällen, wenn dieser nicht gesteht, als es das bei einem geständigen Angeklagten tun würde? Wie auch immer, der Terminus „geständig und hat Reue gezeigt“ wird wohl weiter zu lesen und die Basis für eine Bewertung im Sinne des Schuldgrundsatzes sein.

    Das Problem ist meiner bescheidenen und laienhaften Auffassung hier ganz eindeutig die gesetzliche Regelung zum § 257c StPO aufgrund ihrer psychologischen Komponente. Es wird sehr konkret gedroht. Richter und auch der Angeklagte (+Verteidigung) handeln nicht mehr nach den Regeln.

    Sobald ein Richter oder eine Kammer die Sach- und Rechtslage bewertet hat, kommt sie gegebenenfalls zu dem Ergebnis, dass ein Deal vorgeschlagen werden sollte (Prozessökonomie, schwierige Sachlage, schwierige Verteidiger, was auch immer). Wie professionell dieses manchmal überbelastete Gericht nun auch agieren mag, die Ablehnung des Vorschlages wird von ihm nicht gerade mit Wohlwollen beantwortet werden, denn es hat sich ein erstes „Urteil“ erlaubt, das auf seine Erwartungshaltung oder zumindest das Klima im Verfahren zwangsweise einwirken wird. Es bleibt im Hinterkopf. Und dann kostet das Verfahren noch mehr Zeit und Nerven, als es ihm notwendig erscheint.

    Nun sitzt da ein Angeklagter mit einem oder mehreren Verteidigern. Die wissen das auch. Lehnen sie das Angebot ab, und es sieht aufgrund der Sach- und Rechtslage (zu dem Zeitpunkt) eher schlecht oder auch nur “fifty-fifty” aus, gehen sie ein hohes prozessuales Risiko ein. Geht es im Rahmen des besprochenen Deals sogar um eine noch zur Bewährung aussetzungsfähige Freiheitsstrafe, ist man also quasi nahe der Kante, wird sich ein Angeklagter nach anwaltlicher Beratung sechsmal überlegen, ob er diese Verständigung nicht eingeht. Sein Leben und alles, was es ausmacht, hängt entscheidend davon ab. Nur wenige sind bereit, damit Vabaque zu spielen

    Eine Kostenfrage ist es ohnehin. Je länger ein Verfahren dauert, desto teurer wird es.

    Meiner bescheidenen Ansicht nach konterkariert dieser Deal, den das zuständige Gericht vorschlägt – was vielleicht mal zu überdenken wäre – in elementarer Weise die Selbstbelastungsfreiheit eines jeden Angeklagten. Unterlaufen werden das Recht auf ein faires Verfahren und in manchen Fällen auch die Tat- und Schuldangemessenheit der Strafe, weil eine Sanktionsschere aufgemacht wird. Hier wird ein unzulässiger Druck aufgebaut.

    Ein Gericht darf nur verurteilen, wenn es sich von der Schuld des Angeklagten überzeugt hat. Die teilweise praktizierte Akzeptanz eines pauschalen Geständnisses öffnet Falschgeständnissen Tür und Tor. Anders herum betrachtet kann ein Angeklagter im Rahmen eines qualifizierten Geständnisses oftmals nur schwer etwas gestehen, was er nicht getan hat – rein technisch, denn er hat kein Täterwissen. Nach Aktenlage ist es möglicherweise so eine Sache. Wird ihm das dann ebenfalls angekreidet, wenn er nicht gesteht, weil er es nicht kann? Auch das muss man im Hinterkopf behalten.

    Etwas wäre da noch. Gisela Friedrichsen hat es in ihrem Nachruf, äh, Zwischenruf auf die Justiz sehr schön beschrieben: Ohne Eingeständnis oder Reuhe wird es sehr schwierig, schnellstmöglich wieder aus dem Hotel mit den schwedischen Gardinen herauszukommen. Wäre ja schon blöd, wenn da einer nen Deal gemacht hat, hinterher aber sagt: Das war doch nur ein Deal! Ich bin doch eigentlich unschuldig und habe nur nach der strafprozessualen Situation gehandelt! Bei öffentlichkeitswirksamen Verfahren wird es auch der Presse egal sein. Der Malus bleibt dann, das sollte man wissen.

    Schauen wir mal, welche Grenze das Bundesverfassungsgericht ziehen wird.

    Ist jedenfalls ein spannendes Thema.

    In dem Zusammenhang lesenswert:

    http://www.zeit.de/feuilleton/kursbuch_166/prantl/seite-2

    “Dieser neue Strafprozess ist ein klassischer Tauschprozess: Das Geständnis erleichtert dem Richter die Arbeit; die milde Strafe erleichtert dem Angeklagten das Leben. So hat, wenn es so läuft, jeder etwas vom Deal. Nur die Gerechtigkeit steht womöglich etwas dumm da; aber die ist eh nicht Verfahrensbeteiligte.” (Heribert Prantl, a.a.O.)

    Ein Laie.

  7. 7
    meine5cent says:

    Leider geht an Frau Friederichsen bei allem journalistischen Engagement vieles vorbei. Die Idee mit der Fristsetzung kam erstmals dem 5. Senat. Und vor dem Bundesverfassungsgericht hatte die Fristenrechtsprechung jedenfalls stand gehalten.

    Mit dem 1. Senat kämpfen seit einiger Zeit nicht nur die in BW und Bayern auftretenden Verteidiger, sondern alle, die in Steuerstrafsachen verteidigen.

    Andererseits: wenn man liest, was so an Beweisanträgen und Revisionsrügen z.B. im gestern veröffentlichten 1 StR 407/12 aufgeführt ist, oder aber zu der Klamaukverteidigung in 1 StR 544/09 hat Friederichsens Kritik an (manchen) Verteidigern offenbar einen berechtigten Hintergrund, aber wohl anders als Frau Friederichsen das gemeint hat.

    Die Kritik am Deal: Zustimmung. Die Gerichte sollen ihre Arbeit machen. Konsequenterweise sollte dann auch das berühmte „taktische“ Geständnis nach Schluss der Beweisaufnahme auch nicht mehr wie bisher als strafmildernd berücksichtigt werden.

  8. 8