In den vergangenen Wochen machte eine Entscheidung des BGH vom 31. Mai 2012 – 2 StR 610/11 – die Runde in den juristischen Blogs. Ich habe dazu eine Randerscheinung – über den Haftrichter auf Probe – beschrieben, nachdem schon Rechtsanwalt Andreas Jede auf das Problem der Kompetenzen eines Proberichters aufmerksam machte. Auf weitere Diskutanten, die sich der „Aussageerpressung“ durch einen Proberichter angenommen hatten, verlinkt Prof. Dr. Henning Ernst Müller im Beck Blog.
Nun findet sich unter meinem Beitrag ein bitterböser Kommentar eines Richters am Landgericht, der internes Spektakuläres berichtet:
Der Fall ist wirklich „spektakulär“, wie von Herrn Hoenig zutreffend bezeichnet, aber aus einer Menge an anderen Gründen, die dem BGH nicht mitgeteilt wurden, da dieser nur ein Urteil des Kammervorsitzenden aus Kassel bekam, der sich wie ein Oberstaatsanwalt der „alten Sorte“ benahm. Gut, dass diese Feststellungen aufgehoben wurden, denn sie waren gespickt mit unsachlichen „Feindseligkeiten“, die einer Strafkammer unwürdig erscheinen.
Der Vorwurf selbst kam übrigens erst nach 2 Monaten nach der Verhandlung durch ein Kaffeerundengerücht der Staatsanwaltschaft zum Vorschein, dass auf ein „Wegsperren über eine halbe Stunde zwecks Geständniserpressung“ lautete, worauf der Landgerichtspräsident den Proberichter durch eine bewusst vernichtende Beurteilung aus dem Dienst drängen wollte, was dieser aber nicht akzeptieren wollte, da die Vorwürfe aus seiner Sicht unzutreffend gewesen seien. Man soll dem Proberichter damit gedroht haben, dass man ein Verfahren einleiten werde, wenn er die Beurteilung nicht unterschreibt. Der Proberichter wandte sich infolge des existenzvernichtenden Druckes ans Justizministrium, dem das Ganze nicht nur seltsam, sondern gefakt vorkam. Der Proberichter wurde in einen anderen Landgerichtsbezirk versetzt und leistete dort guten Dienst. Durch die Zurwehrsetzung herausgefordert trat die Staatsanwaltschaft nach und ermittelte ohne den Proberichter überhaupt anzuhören. Es fehlten plötzlich wichtige entlastende Unterlagen und es kam zum Exzess. Über 10 Monate versuchte man den Proberichter vorzuführen und mit zum Teil offenkundig an den Haaren herbeigezogenen „Indizien“ zu belasten. Am Ende gab es einen widerwilligen Freispruch, den der BGH nicht so recht akzeptieren wollte, da die Widersprüche zu offensichtlich waren…
Übrigens wurde die zweite dienstliche Beurteilung, die zunächst ausgesprochen gut bewertet wurde, dann plötzlich „nach Prüfung im Ministerium“ ins negative Gegenteil verkehrt. Es darf nicht sein, was nicht sein soll!Das, was dort in Kassel abgelaufen ist, stellt einen Justizskandal erster Güte dar, den nur keiner so recht aufdecken will, weil es nur einen kleinen Anfängerrichter betrifft, dessen Karriere ohnehin schon beendet ist. Wer den Hintergrund kennt und weiß, dass dieser „einfältige“ Proberichter sich erlaubt hat, eine Oberstaatsanwältin (die gern Behördernleiterin werden möchte) zu kritisieren, der weiß, warum dieser Prozess so „bizarr“ ist. Es handelt sich nicht nur um die staatsanwaltliche Disziplinierung eines jungen engagierten (und entlassenen) Proberichters, sondern um eine staatsanwaltschaftliche Exekution und Machtdemonstration gegenüber der (Probe)Richterschaft.
Es bleibt abzuwarten, ob die neue Kammer wieder versuchen wird, die Staatsanwaltschaft zu schützen oder ob man diesmal die vielen Widersprüche in der Ermittlung aufklären will.
Die Richter machen hier eine Erfahrung (und tun sie hier kund), mit denen Strafverteidiger eigentlich ganz gut vertraut sind. Wenn das, was der „RiLG-Kommentar“ beinhaltet, wirklich zutreffen sollte, dann ist das Bashing von Staatsanwälten in den Lawblogs doch eigentlich gar nicht so unberechtigt. Oder?
Hier gibt es noch ein wenig weiterführende Literatur (S. 19 bis 27!) zu diesem Schauspiel im Besonderen und zu Proberichtern im Allgemeinen (Danke an Alfred für diesen Hinweis).
Zum Proberichter-Bashing:
Meine Prozesserfahrung ist eher gering und beruht maßgeblich auf dem Referendariat und ein paar kleineren anderen Schlachten. Ich habe aber mehrfach mit Proberichtern zu tun gehabt und meine Erfahrung war grundsätzlich positiv und ich habe mich sogar gefreut, wenn ich unter der ersten Verfahrensverfügung lediglich dass Wort „Richter“ anstatt „Richter am Amtsgericht“ lesen konnte.
Meiner bescheidenen Erfahrung nach nehmen Proberichter ihren Job zumindest ernst, stehen Argumenten der Parteien aufgeschlossen gegenüber und sind im Rahmen ihrer Möglichkeiten bereit, Wünschen der Parteien (z.B. Terminierung) entgegen zu kommen.
Jedes Mal wenn ich mit einem Proberichter zu tun hatte, hatte ich das Gefühl, dass der Prozess äußerst fair war und der Proberichter sich große Mühe gab, das Recht – unter Beachtung der von den Parteien geäußerten Ansichten – richtig anzuwenden.
Mein sicherlich nicht repräsentativer Eindruck ist auch, dass es insbesondere im Strafrecht von Vorteil sein kann einen Proberichter zu haben. Proberichter geben sich hier m.E. i.d.R. mehr Mühe die Tat aufzuklären und sind wesentlich offener für Zweifel hinsichtlich der Täterschaft. Problematisch fand ich eher das Verhalten einiger – nicht aller und auch nicht der Mehrheit – älterer Richter, die das Gefühl hatten, tun und lassen zu können, was sie wollten.
@ crh
Vielleicht können Sie uns hier einmal schildern, wie Ihr Eindruck mit Proberichtern ist. Mich würde sehr interessieren, ob sich die Erfahrung deckt und es allgemein eher vorzugswürdig ist, einen eher jungen Richter zu haben.
Vielen Dank @Andreas. So sehe ich das grundsätzlich auch. Natürlich gibt es Problemfälle – wie in jedem Job. Die sind aus meiner Sicht in der Proberichterschaft weniger vertreten als bei den Alteingesessenen.
Zum StAbashing: die vom LG Kollegen berichtete Geschichte wundert mich nicht. Komisch nur, dass sie bei Gericht spielt und nicht bei der StA, wo derartige Verwerfungen leider (leider leider) nicht ganz ungewöhnlich sind.
Mir kommen gleich die Tränen – da will die Justiz einen armen Proberichter loswerden, bloß weil sich dessen Prozessleitung im Grenzbereich zur strafbaren Aussageerpressung bewegte.
Kann mir mal einer sagen, was verantwortungsvolle Personalauswahl denn sonst bedeuten soll? Kann mir mal einer sagen, wozu die Probezeit denn sonst dient, wenn nicht dazu, solche Leute auszusortieren, bevor sie eine Lebenszeitstellung erlangt haben? Wieso legitimiert es das Staatsanwälte-Bashing der Strafverteidiger-Blogs, wenn die Jungs hier gemacht haben, was ihres Amtes ist?
Nicht einzusehen ist auch, was das mit dem möglicherweise existierenden Problem der Überforderung von Proberichtern zu tun haben soll – es geht doch nicht darum, dass der Mann im Stress eine Formvorschrift übersehen haben soll oder sowas.
@ Gerd: Zitat: „…wenn die Jungs hier gemacht haben, was ihres Amtes ist?“
Ein objektiver Staatsanwalt, der sein Amt ernst nimmt, hätte, noch in der laufenden Verhandlung gegen das Vorgehen des Richters zu intervenieren gehabt und wenn das nichts nützt, den Richter auf der Stelle wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Ach ja bevor ich es vergesse: Natürlich hätte ein objektiver Staatsanwalt spätestens im Anschluss an das obige Vorgehen beantragt, dem Angeklagten einen Pflichtverteidiger zu beizuordnen, um ein faires Verfahren sicherzustellen.
Was haben die „Jungs“ statt dessen gemacht: 2 Monate später aufgrund eines Gerüchts ein Verfahren gegen einen missliebigen Richter eingeleitet.
Solche Spielchen müssen verhindert werden: Entweder es gibt ein ernstes Problem, dann hat die StA sofort einzuschreiten oder es gibt kein ernstes Problem, dann darf die Sache aber auch nicht als Erpressungsmaterial benutzt werden.
Keiner wird das Vorgehen des Proberichters rechtfertigen wollen. Er hat unbestreitbar „Mist gebaut“. Die Frage ist nur, ob die Umstände soweit die Schuld mildern, dass es zumindest nicht zu den äußersten Sanktionen kommt.
Witzig an dieser Sache ist eigentlich, dass alle über diese BGH-Entscheidung reden und sie noch keiner gelesen hat, oder?
Mir erschließt sich aber ehrlich nicht, warum eine StA einen Proberichter würde „absägen“ wollen, weil er eine OStAin kritisiert hat. Ehrlich gesagt klingt das paranoid.
Richtig ist, dass der Sitzungsstaatsanwalt dem Richter das in der offensichtlich unterbrochenen Sitzung nicht hätte durchgehen lassen sollen.
Wenn es nun aber später bekannt wird, dann kann die StA ja wohl nicht die Augen verschließen und so tun, als ob nichts gewesen sei.
@RA Neldner: Vielleicht war ein unerfahrener Probe-Sta oder ein Referendar Sitzungsvertreter? Wir mutmaßen beide.
Die Verschwörungstheorie unter Verweis auf die NRV, die weitgehend textgleich bei beck und bei Herrn Burhoff kolportiert wird, ist mE etwas albern. Auch wenn die dienstlichen Beurteilungen etwas wild durcheinander gehen: In der Sache war das Verhalten des Richters grob daneben. Ob es die Schwelle zur Strafbarkeit erreicht hat, ist eine andere Frage.‘
Und Herr Fischer vom BGH würde sich vermutlich (ja, ja, ich weiß, ich vermute nur) dagegen verwahren, wie in einigen blogs geschehen, mit dem Ex-Kollegen nur wegen der Beurteilungswirren in einen Topf geworfen zu werden.
Typisch für Staatsanwälte oder typisch für Kassel? Ein Kasseler Staatsanwalt rief mich an und teilte mir mit, daß er die Strafanzeige meines Mandanten für unbegründet halte und das Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten einstellen wolle. Auf meine Frage, weshalb er deswegen anrufe, antwortete er: „Es sei denn, Sie sagen, daß Sie mit einem meiner Dienstvorgesetzten bekannt sind und sich dort beschweren werden, dann werde ich es mir noch einmal überlegen.“
Ich bin mit keinem seiner Dienstvorgesetzten bekannt, hätte eine solche Bekanntschaft (im Gegensatz zu anderen?) aber auch nicht in diesem Sinne ausgenutzt. Das war jedenfalls mit Abstand der sonderbarste Anruf, den ich jemals von einem Staatsanwalt erhalten habe.
Wird das etwa immer besser? Ein Proberichter, ein Probe-Staatsanwalt. Kann man denn auch als Angeklagter mal zur Probe bei Gericht erscheinen?
Sehr seltsam.
@ Karl: Denken Sie, man wird mit 50 Jahren und 25 Jahren Berufserfahrung geboren?
Natürlich werden Richter und StA zuerst nur auf Probe eingestellt, bevor sie „lebenslang“ in ihrem Job bekommen. Alles andere wäre doch Wahnsinn.
Und Sie können gerne auf Probe vor Gericht erscheinen – stellen Sie irgendeinen Kleinkram zum ersten Mal an, und schon wird spätestens in der Verhandlung gegen Auflage eingestellt.
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