Soeben hat das die 8. Große Strafkammer des Landgericht Hamburg nach 29 Verhandlungstagen das Urteil in dem ersten Verfahren gegen die Betreiber einer sogenannten „Abo-Falle“ verkündet.
Mißlungenes Ergebnis
Der Hauptangeklagte wurde zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monaten verurteilt. Der gegen ihn am 6.2.2011 vollstreckte Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt. Im übrigen gab es Freiheitsstrafen, die zur Bewährung ausgesetzt wurden, Geldstrafen und eine Verfahrens-Einstellung nach § 153a StPO.
Versuchte Verständigung
Das Ergebnis entsprach im Wesentlichen dem Vorschlag des Gerichts, der den Angeklagten bereits am 9. November 2011, im 3. Verhandlungstermin, unterbreitet wurde. Das frühe Angebot des Gerichts beruhte auf einer Anklageschrift, die in den Hauptpunkten durch verbotene Vernehmungsmethoden zustande gekommen ist (siehe dazu meine Triologie eines Kochvorgangs).
Falsche Vorwürfe
Im Laufe einer Beweisaufnahme hat sich herausgestellt, daß der Vorwurf, es seien Kostenhinweise zeitweise ausgeblendet worden, nicht zutrifft. Falsch ist auch die Behauptung der Staatsanwaltschaft, der Kostenhinweis sei durch „pseudo-lateinischen Text“ ersetzt worden. Als nicht zutreffend hat sich der Vorwurf erwiesen, die Angeklagten hätten „geklaute“ Daten in ihr System eingespeist und Rechnungen an Nutzer versandt, die die Seiten gar nicht besucht hätten.
Gelobter Verräter
Die Aussagen des Kronzeugen der Staatsanwaltschaft haben sich als nicht belastbar erwiesen; sie waren in den entscheidenden Punkten falsch. Der Kronzeuge selbst sei aber glaubwürdig, er habe ohne Belastungstendenz vorgetragen und seine Aussage sei glaubhaft. So faßte die Staatsanwaltschaft das Fertiggericht zusammen.
Handwerkliche Fehler
Nicht nur die Verbraucher, sondern auch die Angeklagten wie auch Beschuldigte, die in anderen Verfahren – z.B. in Frankfurt – auf ihre Verfahren „warten“, werden von diesem Urteil enttäuscht sein. Das Gericht hat die Chance vertan, eine juristisch saubere Aufarbeitung des rechtlich umstrittenen Themas zu leisten. Statt einer wegweisenden Pilotentscheidung liegt nun ein angreifbares Urteil vor, das niemandem nützen wird. Schlechte handwerkliche Arbeit ist nicht übertragbar auf andere Fälle.
Unerfahrene Richter
Die Kammer war besetzt durch unerfahrene Richter. Der Berichterstatter ist Richter auf Probe, die Vorsitzende Richterin und die Beisitzende Richterin waren bis kurz vor Eröffnung des Verfahren noch Richterinnen am Amtsgericht. Sie wurden „befördert“, nachdem sich im Zwischenverfahren ein Richterkarussell zu drehen begann.
Inkompetenter Sachverständiger
Der von der Staatsanwaltschaft beauftragte Sachverständige war nicht imstande, die sichergestellten Backups der Server zu re-installieren. Seine gutachterlichen Stellungnahmen im Prozeß beruhten teilweise, aber in weitem Ausmaß auf Veröffentlichungen in Boulevard-Medien, statt auf eigenen, belastbaren Recherchen.
Vergeßliche Polizeizeugen
Die beiden Polizeibeamten, die als Zeugen vernommen wurden, konnten sich an wesentliche Teile der Ermittlungen nicht erinnern; vergessen hatten sie vor allem ihre Beteiligung an dem „Kochstudio“ (s.o.).
Hilfreiche Programmierer
Dann gab es (nur) noch den Programmierer und den Layouter der Angebotsseiten; beide widerlegten die „sachverständigen“ Ausführungen dieses Gutachters.
Teure Vergleiche
Die Hauptangeklagten haben sich mit Adobe und Mozilla verglichen; beide Unternehmen hatte sich dem Verfahren als Nebenkläger angeschlossen und Adhäsionsklage erhoben. Adobe kann nun 581.294,69 € nebst Zinsen bekommen, Mozilla 100.000,00 €, aus den Geldern, die im Ermittlungsverfahren beschlagnahmt wurden.
Bedeutungslose Entscheidungen
Die Strafkammer war zu keiner Zeit bereit, sich von dem bereits zu Prozeßbeginn deutlich erkennbaren Verurteilungswillen abbringen zu lassen. Allein die Verteidigung des Hauptangeklagten hatte über 25 Beweisanträge gestellt, die allesamt abgelehnt wurden, weil sie „für die Entscheidung des Gerichts ohne Bedeutung waren“ (§ 244 III 2 StPO).
Mangelhafter Aufklärungswille
Sachverständigengutachten von Wissenschaftlern, ehemaligen Richtern und kompetenten Strafverteidigern wurden nicht in das Verfahren eingeführt, kein einziger der 68.000 Kunden („Zahler“) wurde als Zeuge geladen, auch kein Werbepartner, kein Buchalter, kein Call Center Agent, kein Banker, kein Berater, kein niemand. Eine Inaugenscheinnahme der Angebotsseiten im Original hat genauso wenig stattgefunden wie die der Werbung für die Angebote; die Buchhaltungsunterlagen der Unternehmen wurden nicht ausgewertet. Dutzende Entscheidungen nach § 170 II StPO von Staatsanwaltschaften in parallel und gleich gelagerten Fällen ignorierte die Kammer.
Ordnungsgemäße Rechtsmittelbelehrung
Die Angeklagten wurden darüber belehrt, daß sie binnen einer Woche ein Rechtsmittel – die Revision zum Bundesgerichtshof – einlegen können. Sie werden sich mit ihren Verteidigern beraten, ob sie davon Gebrauch machen werden.
Das Positive,
über das ich berichten kann, war die stressfreie Atmosphäre, in der verhandelt wurde. Aber das ist kein Qualitätskriterium.
Wenn Provinzjuristen mal glauben, sie könnten auch mal ne große oder wichtige Entscheidung treffen, dann reagieren sie ähnlich wie Zahnärzte, denen ein Steuersparmodell angeboten wird: SIe schalten das Hirn aus.
Es gibt schlimmere Fehlurteile. Wenigstens trifft es hier nicht die Falschen. Wenn auch die Art der Entscheidungsfindung sicherlich nicht sonderlich begrüßenswert ist.
Nunja, zumindest der Hauptangeklagte wird sich vmtl. zum BGH wagen, dann sehen wir ja, wie gut das Urteil am Ende wirklich ist…
Bei einer derartigen Menge an aufgezeigten Verfahrensfehlern müßte entweder jeder normale Angeklagte zum BGH toben – oder die Lage ist nicht ganz so wie hier dargestellt.
Trotzdem kann ich eine persönliche Freude am ergangenen Urteil (unabhängig davon, wie es zustande gekommen sein mag) nicht verhehlen.
Wo genau ist nun das Problem, dass im Verfahren rausgekommen ist, dass man Vorwürfe falsch seien? Dafür ist ein Gerichtsverfahren doch gerade da?
Wobei „die Vorwürfe falsch“ ja eigentlich nur bedeutet „sie sind nicht beweisbar“. Jeder hat ja die Seiten schon gesehen und auch die Tricks die dabei verwendet werden.
„Sachverständigengutachten von Wissenschaftlern, ehemaligen Richtern und kompetenten Strafverteidigern wurden nicht in das Verfahren eingeführt“.
Ähm: waren das Rechtsgutachten (bzw. welche EDV-technischen Kompetenzen haben kompetente Strafverteidiger und ehemalige Richter? Dann müssen sie auch nicht in das Verfahren eingeführt werden. Rechtsfragen hat das Gericht selbst zu beantworten, bestellte Rechtsgutachten kann man im Plädoyer, „opening statement“ ,.nach 257 StPO oder im Befangenheitsantrag oder im Beweisantrag referieren….
Und wieso „Verräter“? Es gab doch keine Straftaten, die er verraten konnte? Verleumder wäre daher passender, wenn man schon Zeugenbashing betreiben will….
[…] Kommentar vor der Kanzlei Hoenig Besuchen Sie den PatchworkMarkt von […]
Das Urteil, wenn man selber den Sachverhalt bewertet, scheint mehr als richtig; nicht nur im moralischen, sondern auch im rechtlichem Sinne.
Der Text liesst sich wie der eines schlechten Verlierers, der jetzt zwanghaft einzelne Haare in der Suppe sucht.
Heise meint unter Berufung auf die dpa:
„Die sieben Männer hatten gestanden. (…) Der 28-Jährige ist bereits einschlägig vorbestraft. In dem bereits seit Ende Oktober laufenden Prozess hatte es eine Absprache über den Strafrahmen gegeben.“
@Thomas J, haben Sie etwa am Tag der Verkündung schon die Urteilsausfertigung vorliegen?
Der Beitrag liest sich zwar nett, ist aber ungewöhnlich tendenziös. So ein Text würde besser in den Law Blog passen.
Nur ein Beispiel:
„Die Strafkammer war zu keiner Zeit bereit, sich von dem bereits zu Prozeßbeginn deutlich erkennbaren Verurteilungswillen abbringen zu lassen. Allein die Verteidigung des Hauptangeklagten hatte über 25 Beweisanträge gestellt, die allesamt abgelehnt wurden, weil sie „für die Entscheidung des Gerichts ohne Bedeutung waren“ (§ 244 III 2 StPO).“
Die beiden Sätze haben doch gar keinen zwingenden Zusammenhang. Weder belegen die vielen Beweisanträge einen „Verurteilungswillen“ des Gerichts, noch dass es sich hiervon nicht hat abbringen lassen. Und die Tatsache, dass so viele Beweisanträge in prozessual zulässiger Weise abgelehnt wurden, könnte auch darin begründet liegen, dass sie tatsächlich ohne Bedeutung waren.
Warten wir mal ab, was der BGH zu der Sache sagt. Der Bericht spricht ja durchaus dafür, dass die – freilich nicht niedrigen – Hürden der Revision genommen werden können…
Mein Mitleid hält sich in Grenzen. Wie gut das Urteil tatsächlich ist, wird sich in Karlsruhe zeigen…
Schließe mich den Vorrednern an. Rügen Sie mal mit zwei Minuten Arbeit die Verletzung materiellen Rechts. Wenns dem BGH ingesamt nicht passt, findet der schon was.
Auch wenn ich nur zum Teil in Medien vom dem Verfahren etwas mitbekommen habe:
Für mich klingt eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 9 Monate für das Belügen von anderen Personen ziemlich hart.
Das hilft doch niemandem diese Person so lange in das Gefägnis zu stecken.
Ich erwarte eher, dass man allen Geschädigten ihr Geld zurückzahlt und den Hautpangeklagten seine Schuld abarbeiten lässt.
„Nur“ weil jemand andere Leute verarscht muss man ihn doch nicht gleich ins Gefägnis stecken…
Das Gericht hat halt erkannt, dass es darauf wie eine Preisangabe positioniert war nicht ankommt, da ohnehin nur die Sorglosen abgegriffen werden sollten. Da ist schnurz, ob die erste Version der STA „keine Preisangabe“ oder kleine/mittlere/dicke Preise zutrifft weil es immer auf die Unaufmerksamen zielt.
Spannend wäre ein Beweisantrag gewesen drei zufriedene Kunden zu befragen. Aber woher sollen die kommen, auch der beste Zauberer kann aus Brot nicht mehr als Brot zaubern.
Ich bin verwundert, das an Adobe und Mozilla, für kostenpflichtige Downloads von Gratis Software,
Geld geht
Die Geschädigten sind doch die ursprünglichen Geldüberweiser….. das hat Geschmäckle…
ein ratloser Vergesslicher
Ein Verbrecher wurde verurteilt. Und der Verteidiger ist damit nicht glücklich. Also eigentlich alles so wie immer…
[…] dem Blog der Kanzlei Hoenig finden wir folgenden Wortlaut Im Laufe einer Beweisaufnahme hat sich herausgestellt, daß der […]
Huch, sehr ärgerlich! Da läuft einem doch die Mandantschaft weg wenn man nicht mal diese kleinen Betrüger raushauen kann! Die „großen Fische“ suchen sich nun jemand anderes. Hätten se mal nur richtig betrogen wären sie schon längst ehrbare Geschäftsleute mit Präsidentenkontakt, Maschi hats doch auch geschafft! Naja, aber ich finde auch die Betrüger sollten aus den richtigen Gründen richtig verurteilt werden. … was solls… übers Wetter reg ich mich ja auch oft auf …
Immerhin gibt es 68.000 Gründe, einen Wiederaufnahmeantrag zu stellen, da ja reichlich „neue Beweise“ übrig geblieben sind.
Verurteilungswillen finde ich klasse!!
vox populi – vox rindvieh
Ich muss sie enttäuschen Herr Strafverteidiger, da kompetente Richter und Gutachter – wie sie selbst wohl am Besten wissen – von einer Strafbarkeit in derartigen Fällen ausgehen:
Prof. Dr. Viola Schmid / Stefan Ilie, OLG Frankfurt: Az 1 Ws 29/09
Naja, man muss auch mal in die Abgründe der Gesellschaft schauen und sehen was Kollegen machen, die es nicht so gut im Leben getroffen haben ;-)
Nicht verzagen, Herr Hönig. Immerhin wird durch die Veruteilung ein gutes Signal an die wirklichen, echten Abzock-Seiten-Betreiber gesandt.
[…] das Urteil im Hamburger Abo-Fallen-Prozess, […]
…und? Wurde nun Revision vor dem BGH eingelegt?