Ein krimineller Haufen beim Landgericht

371559_web_R_K_B_by_Dieter Schütz_pixelio.deEine Gruppe von rund 30 Personen hatte sich zusammen gefunden, um eine wirtschaftlich recht lukrative Geschäftsidee umzusetzen. Die Ermittlungsbehörden wurden darauf aufmerksam und machten ihren Job. Der Gegenstand der Geschäfte verstieß nach Ansicht der Ermittler gegen eine ganze Batterie von Vorschriften.

Die Sache entwickelte sich und im Laufe dreier Jahre füllte sich ein kompletter Raum in der Größe eines mittelständischen Wohn-Eß-Zimmers mit Ermittlungsakten.

Irgendwann war es dann aber soweit, die Staatsanwaltschaft schloß die Ermittlungen ab (§ 169a StPO). Und nun beginnt die eigentliche Geschichte.

Etwa die Hälfte der Beschuldigten wurden im Schnelldurchgang (teils per Strafbefehl nach §§ 407 StPO) „abgearbeitet“. Es verblieben dann noch 17 Leute, gegen die Anklage erhoben wurde. Aber nicht eine, sondern drei:

  • Gegen 8 Personen begann der erste Prozeß im Frühjahr und ist noch nicht beendet.
  • Es folgte ein zweites Verfahren gegen weitere 4 Personen, von denen 3 kürzlich verurteilt wurden. Ein Angeklagter ist krank geworden.
  • Ein drittes Verfahren gegen die 5 letzten Gruppenmitglieder wird nach Plan „A“ Anfang Dezember beginnen.

Diese Aufteilung war vermutlich dem erheblichen Umfang der Sache mit einer knappen Viertelmillion Blatt Akten geschuldet. Vielleicht auch, weil die Staatsanwälte mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln überfordert waren.

Daraus entwickelten sich jetzt ein paar Probleme, die man unter dem Stichwort „Vorbefaßtheit“ in der Rechtsprechung und in der juristischen Literatur zum Thema Befangenheit findet und z.B. im Zusammenhang mit §§ 22 Nr. 4, 23, 148a Abs. 2 Satz 1 StPO diskutiert. Denn alle drei Verfahren werden vor derselben Wirtschaftsstrafkammer unter Vorsitz desselben Richters geführt.

Aber nun zur Überschrift dieses Beitrags.

In der mündlichen Begründung des Urteils des 2. Verfahrens bezog sich der Richter den Angaben von Prozeßbeteiligten zufolge teilweise auf Ergebnisse der Beweisaufnahme im 1. Verfahren und begründete damit die Entscheidung der Kammer im 2. Verfahren. Ja klar, bei dem Umfang kann man ja schonmal was durcheinander bringen, nicht wahr?

In Medien-Berichten (Lisa Steger auf rbb-Online und Marion Kaufmann in der MAZ) über den Ausgang dieses 2. Verfahrens wird der der Richter mit dem knackigen Satz „Es war ein krimineller Haufen, der Geld verdienen wollte.“ zitiert, mit dem er den Charakter zumindest der soeben Verurteilten umschrieb.

Da muß man jetzt mal schauen, wie der Richter das gemeint hat. Beziehungsweise wen er sonst noch damit gemeint haben könnte.

Übrigens:
Den Begriff „Haufen“, mit dem eine Ansammlung von Menschen beschrieben wurde, fand der Gesetzgeber bereits Anfang 1998 unappetitlich (6. StrRG v. 26.1.1998, BGBl. I 164). Seit dem 1. April 1998 spricht das Gesetz daher politisch korrekt von „Gruppe“. Es gibt weitere Begriffe für dieses Phänomen: Gruppierung, Bande, Vereinigung, die alle nicht so ekelig klingen, wie diese – in Hinblick auf die noch nicht verurteilten Angeklagten zweideutige – Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters einer Wirtschaftsstrafkammer.

Es könnte sein, daß Plan „B“ eine gewisse Bedeutung bekommen könnte.
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Bild: Dieter Schütz / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Potsdam, Prozeßbericht (www.prozessbericht.de), Richter veröffentlicht.

13 Antworten auf Ein krimineller Haufen beim Landgericht

  1. 1
    Anonym says:

    Wollte der Richter vielleicht damit den Ausdruck „krimninelle Vereinigung“ umgehen? Denn genau deswegen wurde ja nicht verurteilt. Wäre ja schliesslich sehr verwundernd wenn er die Angeklagten als kriminelle Vereinigung bezeichnet aber im Urteil dann sagt dass es eben keine ist.

    Ich denke nicht, dass er mit „Haufen“ die Angeklagten heruntersetzen wollte.

  2. 2
    yuggoth says:

    Vielleicht hatte der Richter auch nur eine ältere Bedeutung des Wortes „Haufen“ im Sinn…
    http://de.wikipedia.org/wiki/Heerhaufen

  3. 3
    Thorsten says:

    „Haufen“ ist ganz klar abfällig.

    Wie würde eine Strafkammer reagieren, wenn der Angeklagte etwas sagen würde wie: „Was sind Sie denn für ein Haufen?“

  4. 4
    Hannes says:

    Angesichts der außerordentlich milden Urteile im ersten Verfahren wäre eine Befangenheitsablehnung bestimmt eine richtig gute Idee.

  5. 5
    IANAL says:

    @youggoth – dazu fällt mir eine Stelle aus einem für die Erforschung der deutschen Sprache nicht unwesentlichen, inzwischen leider nicht mehr durchgängig aktuellen Werk ein:

    „ARMEE, f. it. armata, sp. armada, ein mit dem feind überall vorgedrungnes, völlig entbehrliches wort, das unsere sprache längst mit heer und haufen (!) hätte zurückschlagen sollen.“

    http://www.woerterbuchnetz.de/DWB?lemma=armee

  6. 6
    K75 S says:

    Vielleicht sollte man nicht jeden Satz, den die Medien so „zitieren“ für bare Münze nehmen.

    Obwohl – wenn´s den Beschuldigten hilft …

  7. 7
    Opernfreund says:

    Hörversehen des Journalisten! Es war nicht von einem kriminellen Haufen die Rede, sondern der Richter sagte:

    „Mit Krimhild HOFFTEN sie Geld zu verdienen.“

    Das war lediglich eine Anspielung auf die gescheiterte „Nibelungen“-Inszenierung der Angeklagten.

  8. 8
    Verlobte vom Opernfreund says:

    Das stimmt.
    Es gab sogar sechs Komponisten in Russland, die sich „ein mächtiges Häuflein“ nannten.
    Germanistikkenner sehen hier das Oxynom:
    Mächtig steht für Größe und Häuflein für klein.
    Es bedeutete, dass die Musik und das Theater auch ohne Waffen die Obrigkeit verärgern können.
    Siehe Weinert: Kunst ist Waffe.

  9. 9
    alter Jakob says:

    Ich vermute die Empfindlichkeit bezüglich des nicht unbedingt netten aber dennoch nicht ehrenrührigen Begriffs „Haufen“ kommt daher, dass man als Verteidiger halt jedes noch so kleine Indiz für einen möglichen Befangenheitsantrag zusammenklauben will.

    Im Duden ist der Begriff vollkommen neutral beschrieben, auch wenn der Duden natürlich nicht jede Sprachnuance nennt.

    http://www.duden.de/rechtschreibung/Haufen

  10. 10
    sekino says:

    es erinnert mich an den Latein-Unterricht in meiner Schulzeit:

    Latein: …Caesaris milites totam silcam compleverunt et unusquisque stetit apud cohortem suam…
    Deutsch: …Caesars Soldaten machten den ganzen Wald voll und jeder stand bei seinem Haufen…

    (es war nicht abfällig gemeint ;-) )

  11. 11
    Anonym says:

    @Thorsten:
    Wenn man die Strafkammer als kriminelle Vereinigung bezeichnen würde, wären die wohl auch nicht grad happy.

    Ob das Urteil so milde war sei mal dahingestellt. Klar bei Bewährung kann man nicht meckern, aber 3 Jahre und 3 Monate (damit gerade mal 3 Monate unter Forderung der StA, obwohl kriminelle Vereinigung und Bandenbetrug weggefallen sind) finde ich für einen reinen Webmaster, der nie einen Mittäter gesehen und vermutlich auch nie Ware in der Hand hatte, nicht allzu milde. Zumal andere Webmaster mit ähnlichem Verdienst Aussicht auf Bewährung haben.

  12. 12

    Jeder hat sein spezifisches Problem. Klassisch für einen dem Landrecht verhafteten Richter etwa die kriminelle Bande, die plündernd durch das Land zieht ( „Haufen“ , auch militärisch zu sehen).

    Berliner Fußgänger halten Haufen angesichts der Kassenlage automatisch für etwas, das illegal auf der Straße herumliegt.

  13. 13

    […] vergangenen Montag habe ich über einen Vorsitzenden Richter berichtet, der sein Urteil nicht nur mit ungewöhnlich deutlichen Worten begründet hat, sondern auch mit den […]