Fiat iustitia, et pereat mundus

Wilhelm Brause wurde beim Klauen erwischt. Aus dem Polizeibericht:

Vor Ort eingetroffen erwartete der Ladendetektiv, Herr BULLMANN, uns bereits und schilderte folgenden Sachverhalt:

Gegen 21.30 Uhr habe er den Tatverdächtigen Herrn BRAUSE dabei beobachtet, wie er in den Verkaufsräumen des dortigen Rewe eine Packung Käse öffnete und in die Jackentasche steckte.

Nachdem der Tatverdächtige den Kassenbereich passierte ohne zu zahlen, wollte Herr BULLMANN ihn ansprechen, hierbei versuchte Herr BRAUSE kurz wegzulaufen, dies gelang ihm jedoch nicht, da Herr BULLMANN ihn festhalten konnte.

Es geht also um den einfachen (versuchten) Diebstahl eines Stücks Käse. Im Wert von 2,22 Euro. Und ab geht das wilde Ermittlungsverfahren.

Da Herr Brause in leicht lösbaren Wohnverhältnissen lebt, war es nicht ganz so trivial, ihm die Anklageschrift schlicht durch die Post zuzustellen. Drei oder vier Versuche scheiterten. Es wurde also – aus Sicht des Strafrichters – ein „besonderer Wachtmeister“ erforderlich, der mit Hausermittlungen beauftragt wurde. Nachfolgend dessen Bericht:

Käsedieb

Es liegt auf der Hand: Es wäre der Untergang des Abendlandes, wenn man solche Leute wie diesen gemeinen Käsedieb Wilhelm Brause einfach laufen lassen würde. Wo kämen wir da hin, wenn das jeder machen würde!

Nur vorsorglich: Nein, bei der Berliner Strafjustiz arbeiten keine Pferdehändler des 16. Jahrhunderts und es heißt dort auch niemand Michael Kohlhaas.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

20 Antworten auf Fiat iustitia, et pereat mundus

  1. 1
    Thomas R. says:

    Aber mal im Ernst:
    Wo kämen wir denn hin, wenn das tatsächlich jeder machen würde?

    Die Strafen für solche Diebstähle sind ja nun nicht gerade drakonisch. Aber ist es nicht wichtig, dass grundsätzlich die Prozessmühle angeworfen wird?

    Würde man bei kleinen Diebstählen eine Strafverfolgung garnicht mehr beginnen, das wäre doch wohl ein sehr fragwürdiges Verhalten gegenüber denjenigen, die aufgrund ihres Berufes häufig Opfer kleinerer Diebstähle sind.

  2. 2
    barn says:

    W. B.! Das ist ja wirklich Wilhelm Brause! ;)

    Mal im Ernst, frag mal den Shopblogger Björn! Der wird dir die andere Seite des Ladendiebstahls erzählen können.

    • Ich habe Deinen Hinweis mit einem Link auf den Shopblogger unterlegt. Mal sehen, was sich daraus ergibt. crh
  3. 3

    Ich habe einfach mal das Wort „Diebstahl“ in die Suche eingegeben. Mein Gott, die Menschen sind kreativ.

  4. 4
    IANAL says:

    Tun se mal dem guten Kohlhaas kein Unrecht! Der hat keinen armen Käsedieb verfolgt, sondern mutig gegen Willkürherrschaft und Vetternwirtschaft gekämpft. Man hatte ihm nämlich tatsächlich erhebliches Unrecht getan, was aber ungesühnt blieb, da die Verantworltichen sich bester Beziehungen zu den Mächtigen erfreuten. Dann ist Kohlhaas ausgetickt.

  5. 5
    Marco says:

    Ein bloß versuchter Diebstahl liegt hier m.E. nicht vor, mit Einstecken in die Jackentasche dürfte der Diebstahl vollendet gewesen sein.

    Je nachdem, wie dann das „versuchte kurz wegzulaufen“ aussah, sprich, wenn er auch mal versucht hat, sich mit Gewalt loszureißen, sind wir ganz schnell im räuberischen Diebstahl, immerhin ein Verbrechen — wenn auch vorliegend wohl eher im minder schweren Fall, der aber immer noch mit einer Mindestfreiheitsstrafe von 6 Monaten belegt ist.

  6. 6
    BV says:

    Offenbar wollte der Rewe die Strafverfolgung und hat Strafantrag gestellt (was wohl Standard sein dürfte). Aber auch die Staatsanwaltschaft hat nicht nach § 153 StPO eingestellt, was wohl ebenso Standard gewesen wäre, wenn es nicht erhebliche Vorerkenntnisse gäbe, von denen ich einfach mal ausgehe. Wenn dann Anklage erhoben (und noch nicht einmal ein Strafbefehl beantragt) wird und das Gericht sie zulässt, läuft die Maschinerie. An dieser Stelle fände ich es auch etwas komisch, die Sache sofort tot zu machen, nur weil die Anklageschrift nicht zugestellt werden kann. Nach dem Schreiben hätte man ja drüber nachdenken können. Aber anscheinend hat es jetzt ja mit der Zustellung geklappt, nachdem das Schreiben schon gut über ein Jahr alt ist und der Angeklagte offenbar einen bloggenden Verteidiger hat.

  7. 7
    Bilbo Beutlin says:

    Ladendiebstahl ist ein Delikt, was gern als geringfügig angesehen wird. Das mag für den einzelnen Täter auch zutreffen. Für die Bestohlenen, denen das in einer Vielzahl von Fällen passiert, ist das gar nicht geringfügig. Da kommen Summen zusammen, die bei manchen Ketten im 7-stelligen Bereich liegen.

    Wollte man Ladendiebstahl einfach dulden, dann wäre das ein nicht hinnehmbarer Dammbruch zu Lasten der ehrlichen Kunden. Denn eines ist doch klar: die Händler müssen die Verluste auf den Preis umlegen.

    Kurz: Strafe muß sein. Auch für 2,22 Euros.

  8. 8
    raddi says:

    [quote]Wollte man Ladendiebstahl einfach dulden, dann wäre das ein nicht hinnehmbarer Dammbruch zu Lasten der ehrlichen Kunden.[/quote]

    Jaein…
    Es gab vor vielen Jahre in der Nähe von Stralsund mal eine Tankstelle, bei der die Zu- und Ausfahrt per Schranke und einseitiger Fahrzeugsperre gesichert war. Man tankte, bekam beim bezahlen einen Chip und mit diesem konnte man die Ausfahrt entsperren. Ein Jahr später sah die Tankstelle aus wie alle anderen auch. Das Gespräch mit dem Pächter ergab, dass die Tankstellenkette die Absicherung nicht wollte, sondern lieber die Verluste trug.
    Und falls es jemandem schon aufgefallen sein sollte – es gab mal in Supermärkten ähnliche „Einbahnstraßen“ für den Kundenverkehr. Man konnte nur an bestimmten Stellen rein, aber nicht raus. Auch die sind inzwischen fast überall abgebaut worden!
    Aus diesen Geschichten kann man durchaus Schlußfolgerungen ziehen: ja, auch die „Geschädigten“ sehen das offensichtlich als dermaßen geringfügig an, dass eigene Anstrengungen zur Diebstahlsvermeidung zurückgefahren werden.

  9. 9
    Thomas R. says:

    @raddi
    Hier im Ruhrgebiet hat die überwältigende Mehrheit der Supermärkte noch immer genau diese „Einbahnstraßen-Eingänge“. Aus dem Kopf fällt mir keine einzige Filiale ein, wo es anders ist.

    Die Tankstelle mit Schranke ist eine andere Geschichte. Die Konkurrenz ist groß und die Unterschiede sind gering auf dem Tankstellenmarkt. Hätte eine einzelne Tankstelle eine solche Schranke, würde ich einfach 50 Meter weiter zur nächsten fahren, wo es weniger umständlich ist.

    Die Geschädigten sehen den Schaden vermutlich nicht „als dermaßen geringfügig an, dass eigene Anstrengungen zur Diebstahlsvermeidung zurückgefahren werden“, sondern müssen sich unternehmerischen Überlegungen beugen. Der Kunde akzeptiert nicht jede Maßnahme. Mit der gerichtlichtlichen Verfolgung von Ladendieben hat der Kunde aber vermutlich kein Problem.

  10. 10
    Jo says:

    Meine Vermutung ist, dass hier eben nicht nur ein Diebstahl im Raum steht, sondern der Mandant vorher schon nicht sehr brav war und daher hier nun die harte Nummer gefahren wird. Normalerweise geschieht nämlich nichts bei Ladendiebstahl.

  11. 11
    raddi says:

    @Thomas R.
    Ok – in deiner Gegend war ich schon verdammt lange nicht mehr einkaufen… ;-)
    Hier in Berlin ist es aber tatsächlich umgekehrt. Ich kenne kaum noch einen größeren Laden, der keine „offenen“ Kassenbereiche mehr hat.

    [zitat] Mit der gerichtlichtlichen Verfolgung von Ladendieben hat der Kunde aber vermutlich kein Problem.[/zitat]
    Das ist doch – mit Verlaub – völlig Wurscht! Ich hatte hier inzwischen schon mehrmals Tatverdächtige, die sich damit verteidigten, dass sie es „gar nicht bis zur Kasse geschafft“ hätten. Dies beweiskräftig zu widerlegen ist fast unmöglich (sofern der TV die notwendige Summe Geld mitführt ), da der Kunde nicht mehr gezwungen ist, das Geschäft durch den Kassenbereich verlassen zu müssen. Der Ladendetektiv kann dort inzwischen also sozusagen erst beweissicher einschreiten, wenn der TV die Tür (wenn es in Passagen eine solche überhaupt noch gibt) durchschritten hat.
    Und da bleibe ich bei meiner Schlussfolgerung, dass die Geschädigten eine gerichtliche Verfolgung der Tat nicht wirklich wollen. Sondern ähnlich wie beim Tankbetrug lediglich ein Aktenzeichen für die Schadenserstattung brauchen.

  12. 12
    schneidermeister says:

    @raddi: Den Tankstellenbetreibern und Ladeninhabern ist nicht egal, ob jemand Straftaten begeht. Bei der Tankdieb/betrüger und Ladendiebklientel ist es nur so, dass die zivilrechtlichen Forderungen einscchließlich Kosten mit einer Wahrscheinlichkeit von vermutlich unter 5 % durchsetzbar sind. Nachdem das Strafverfolgungsmonopol beim Staat liegt, geht es den Unternehmen (und das sind ja nicht nur große Multis, sondern auch kleine Läden) um 1) Abschreckung durch Entdeckungsrisiko und 2) Beitreibbarkeit von Forderungen, und da muss man eben eine Kosten-Nutzen-Rechnung anstellen.

  13. 13
    nadar says:

    @ barn: Ich musste auch gleich an Björn und seine Kategorie Bösewichte denken.

  14. 14
    HS says:

    Dass Herr Brause einfach mal nicht andere Leute beklaut wäre wohl zuviel verlangt?

    Leider scheidet eine moralstärkende Tracht Prügel durch das armstärkere Elternteil wohl aus – dann bleibt halt nur das Strafverfahren, das in der Tat leider mehr Aufwand für alle Beteiligten bedeutet.

    Und ab morgen hole ich mir dann jeden Tag meine Eur 2,22 aus dem Herrn Hoenig ihm seine Portokasse, oder sogar aus der Sekretärin ihrer Geldkatze, das hat der Anwalt nämlich genehmigt und drückt gern mal ein Auge zu, wie ich sehe. Bitte passend hinlegen, ich warte nicht so gern!

  15. 15
    minimum says:

    Als wenn in Deutschland ein Ersttäter wegen 2,22 Euro Schaden angeklagt würde. Lächerlich, solche Halbwahrheiten.

  16. 16
    Tobias says:

    Es geht ja nicht darum, dass Käsediebstahl straffrei bleiben sollte. Entscheidend ist doch eher, dass das Strafrecht hier ein prinzipiell nicht geeignetes Mittel darstellt, um das Problem in den Griff zu kriegen. Wer Käse klaut, braucht wahrscheinlich keine Geld- oder Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren, sondern Hilfestellung im Leben. Es wird ja niemand Käse klauen, um sich damit in der Südsee zur Ruhe zu setzen.

  17. 17
    HS says:

    @Tobias,

    Wenn ich „Hjlfestellung“ höre, meinen viele damit „das Problem mit Geld bewerfen, bis man es nicht mehr sieht“, sei es durch direkte Transfers, oder aber durch Ausbau der Sozialindustrie und -bürokratie, um dann mit hektischer Aktivität einen Lösungsansatz vorzugaukeln. Sicher meinst Du etwas sinnvolleres mit „Hilfestellung“ , vielleicht kannst Du das etwas ausführen?

  18. 18
    Tobias says:

    Ich will nicht den blog von crh ge-/missbrauchen, um eine Reform des deutschen Sozialsystems zu entwerfen; und ich kenne auch die konkreten Probleme von Wilhelm Brause nicht :) Ich bin aber überzeugt, dass das Strafrecht in solchen Fällen keine vernünftige Lösung ist. Welche andere Lösung besser wäre, lässt sich diskutieren.

  19. 19
    Bilbo Beutlin says:

    @raddi: Sie wollen also sagen, daß man sich beklauen lassen soll, weil der Schaden durch Klauprävention sonst noch höher sein könnte? Das ist ja eine prima Einstellung….

  20. 20
    Lutz says:

    Ich frage mich, wie HR BRAUSE wohl reagieren würde, wenn man ihm einfach mal einen Fünfer aus der Geldbörse nehmen würde.
    Ansonsten stimme ich einem der ersten Kommentare zu. Wo würden wir hinkommen, wenn wir einen Dieb einfach gewähren lassen würden? Über kurz oder lang in der Anarchie. Ist das so eine tolle Alternative?