Genickbruch durch den kriminellen Haufen?

441780_web_R_K_by_sigrid rossmann_pixelio.deAm vergangenen Montag habe ich über einen Vorsitzenden Richter berichtet, der sein Urteil nicht nur mit ungewöhnlich deutlichen Worten begründet hat, sondern auch mit den Beweisaufnahmen zweier Verfahren ein wenig durcheinander gekommen ist.

Dieser Richter hatte den Plan „A“, nämlich den Start einer dritten Beweisaufnahme. Alles in der selben Sache, die (von der Staatsanwaltschaft?) auf drei Verfahren verteilt worden ist; siehe dazu den Montagsbericht, der mit den prognostischen Worten endete:

Es könnte sein, daß Plan „B“ eine gewisse Bedeutung bekommen könnte.

Am Donnerstag ging es erst einmal weiter mit der Beweisaufnahme in dem ersten Verfahren. Das heißt, es ging nicht weiter. Weil nämlich auch die dortigen Verteidiger die Zeitung (und das eine oder andere Weblog 8-) ) lesen oder sich auf anderen Kanälen für die Urteilsbegründung der zweiten, beendeten Beweisaufnahme interessiert haben.

Es kam, wie es kommen mußte: Gleich drei Ablehnungsgesuche lagen zu Beginn des Hauptverhandlungstermins auf dem Richtertisch. Im Wesentlichen hatten die drei Angeklagten den Eindruck, der Vorsitzende und ein Beisitzer seien voreingenommen, weil sie mit dem kriminellen Haufen vorbefaßt waren.

Wenn es läuft, dann läuft’s. Und es kommt erst einmal noch dicker.

Sobald ein oder mehrere Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, müssen andere Richter darüber entscheiden, ob dem Gesuch stattzugeben ist. Auf Antrag hat nun der Vorsitzende Richter die drei anderen Richter mitgeteilt (§ 24 III 2 StPO).

Nicht nur etwas ungeschickt war allerdings, eine Richterin zu bestimmen, die bereits Mitglied der Strafkammer war, die das Urteil in der zweiten Sache (das mit dem kriminellen Haufen und der Verwechslung der Beweisaufnahmen) erlassen hat. Über das Ablehnungsgesuch hinsichtlich dieser Richterin entscheiden dann im Laufe dieser Woche drei andere Richter.

Die Wahrscheinlichkeit der Notwendigkeit der Umsetzung des Plans „B“ (es lebe der Genitiv – yeah!) ist wohl nicht gesunken, sondern eher gestiegen: Am Ende der beiden Ablehnungsverfahren könnte unter dem dunklen Lichte des § 24 II StPO ein Genickbruch zu diagnostizieren sein.

Nebenbei – zur ergänzenden Information:
Der erste Prozeß ist bereits einmal geplatzt, weil eine Richterin krank wurde. Man hat also schon einmal bei Null anfangen müssen. Dann weiß man ja inzwischen, wie sich das anfühlt.

Und nein:
Das ist alles wahrlich kein Grund zum Frohlocken! Diejenigen, die seit 2011 in der Ungewißheit leben, was am Ende des Verfahrens aus ihrer beruflichen und wirtschaftlichen Existenz wird, sind nur wenig begeistert – über die seltsamen Arbeitsmethoden der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren und die gewöhnungsbedürftige Verfahrensgestaltung durch diesen Strafkammervorsitzenden im Hauptverfahren.

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Bild: sigrid rossmann / pixelio.de

Dieser Beitrag wurde unter Potsdam, Prozeßbericht (www.prozessbericht.de), Richter veröffentlicht.

18 Antworten auf Genickbruch durch den kriminellen Haufen?

  1. 1
    Güldenstern says:

    Das hat man ja nicht selten – der Verteidiger hat durch das Herausschießen eines Richters seinen kleinen persönlichen Triumph, der Mandant bezahlt es mit der Verfahrensverlängerung und womöglich (auch hier denkbar) einer höheren Strafe bei einem weitaus strengeren Ersatzrichter.

  2. 2
    Gast says:

    @Güldenstern:
    Der neue Richter ist in der Tat Poker, aber beim erfahrenen Verteidiger darf man davon ausgehen, dass er loyal ist und Sachkenntnis hat. Er würde keinen „milden“ Richter ablehnen, egal aus welchem Grund.

  3. 3
    Ellen says:

    Sie schreiben:

    Sobald ein oder mehrere Richter wegen der Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden, müssen andere Richter darüber entscheiden, ob dem Gesuch stattzugeben ist. Auf Antrag hat nun der Vorsitzende Richter die drei anderen Richter mitgeteilt (§ 24 III 2 StPO).

    Nicht nur etwas ungeschickt war allerdings, eine Richterin zu bestimmen, die bereits Mitglied der Strafkammer war, die das Urteil in der zweiten Sache (das mit dem kriminellen Haufen und der Verwechslung der Beweisaufnahmen) erlassen hat.

    Das klingt danach, als ob die „anderen“ Richter frei bestimmt werden könnten. Für die Ablehnungsentscheidung zuständig sind jedoch die Vertreter nach der Geschäftsverteilung.

  4. 4
    Anonym says:

    Die Kammer hat zwar milde Urteile in Aussicht gestellt, aber dann zumindest im anderen Verfahren nicht geliefert. Bandenbetrug und kriminelle Vereinigung sollten eigentlich vom Tisch sein, aber die Strafe lag nur 3 Monate unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft, wo das alles mit angeklagt war. Und das war kein Haupttäter sondern nur ein Webmaster der vermutlich nie eine Pille in der Hand hattte und auch nie auf einem Treffen des „Haufens“ war. Wirklich mild sieht anders aus. Ein Webmaster der ähnlich viel verdient hat, hat im ersten Verfahren sofort Aussicht auf Bewährung bekommen, obwohl er vorbestraft ist.

  5. 5
    WPR_bei_WBS says:

    @ Ellen: Ungeschickt evtl. von der betreffenden Richterin: Die hätte sich nämlich auch selbst für befangen erklären können. Das hätte dann den drei weiteren Richtern die jetzt anstehende Arbeit erspart.

  6. 6
    Jan Brendel says:

    Nunja Verfahrensverlängerung hin oder her. Wichtig ist ja, dass ein gerechtes Urteil gesprochen wird. Und wenn sich die neuen Richter durch die aktuellen Befangenheitsgesuche derart beeinflussen lassen, dass ein höheres Strafmaß ausgesprochen wird – ist auch hier das Grundrecht auf ein faires Verfahren gebrochen und der nächste Befangenheitsantrag wandert auf den Tisch… Letzlich verlängert sich ja auch der Zahltag für den oder die Rechtsanwälte und ob das nun nur wegen einer persönlichen Profilierung in Kauf genommen wird – bezweifle ich ;)

  7. 7
    Ellen says:

    @WPR:

    Das stimmt nicht.
    „sich selbst für befangen zu erklären“ gibt es eigentlich nicht. (darauf, ob ein Richter befangen ist oder sich fühlt, kommt es ohnehin nicht an). Es gibt lediglich die Möglichkeit der Selbstanzeige, § 30 StPO.Das darauffolgende Verfahren ist aber das gleiche.

  8. 8
    K75 S says:

    Da bleibt – streng im Interesse der Wahrheitsfindung – nur zu hoffen, dass dem Landgericht zu Potsdam nicht noch vor Verfahrensende die unbefangenen Richter ausgehen. :-)

  9. 9
    Felix aus Frankfurt says:

    Mal so’ne Laienfrage:

    Wer trägt denn die Kosten, wenn ein Prozeß platzt?

  10. 10
    K75 S says:

    … und wer macht die Sauerei hinterher wieder weg?

  11. 11
    Der wahre T1000 says:

    Das Problem ist doch, dass Angeklagte auch für eine überlange Verfahrensdauer einen „Bonus“ bekommen. Kurz: langer Streit, mildere Strafe.

    Deswegen gehen Verteidiger gern einen langen Weg, zumal das Geld – außer bei Pflichtverteidigung – einbringt. Mancher wird so zum „Konflliktverteidiger“.

  12. 12
    bambino says:

    Die armen Beschuldigten, müssen jahrelang auf ihr Urteil warten. Mir kommen die Tränen. Der Verteidiger freut sich jedenfalls, dass er wegen der Verfahrenslänge auf eine mildere Strafe plädieren kann.

  13. 13
    RikG says:

    @bambino, others:
    Wenn „der Staat“ doch um dieses ungetreue Lumpenpack weiss: Wieso macht er keine wasserdichten Prozesse? Wieso bietet er ihnen immer und immer wieder Handhabe?
    Am Ende sind die nämlich gar kein u.L., sondern treue Anwälte, die einen guten Job zum Besten des Mandanten machen.
    So, wie es ihr Berufsethos verlangt.
    Apropos Berufsethos: Was sagen eigentlich >solche< Richter als Aussenstehende dazu?

  14. 14
    Denny Crane says:

    Erst gestern sah ich in einer Folge von „Boston Legal“ wieder, wie die Richterin die Verteidiger eindringlich ermahnte, die Angeklagten so gut wie möglich zu verteidigen. Das habe ich bei einem deutschen (Straf-) Richter noch nie erlebt.

    Eine lange Verfahrensdauer kann sich nur dann für den Mandanten auszahlen, wenn die Verzögerungen dem Staat zuzurechnen sind. Es bringt daher nichts, den Prozeß durch Anträge in die Länge zu ziehen, wenn diese erkennbar ohne Erfolg bleiben werden. Nur Anträge, die Fehler der Justiz aufdecken und hierdurch zu einer Verfahrensverzögerung führen, können am Ende im Rahmen der Vollstreckungslösung eine kürzere Vollstreckungsdauer zur Folge haben.

    Als Verteidiger habe ich auch kein finanzielles Interesse an langen Hauptverhandlungen. 95% der Mandanten können oder wollen sich die Kosten einer langen Hauptverhandlung auf der Grundlage von gesetzlichen Wahlverteidigergebühren oder einer Honorarvereinbarung nicht leisten. Die Pflichtverteidigergebühren scheinen nur auf den ersten Blick o.k. (z.B. 312,- Euro für eine 1 bis 300 minütige Hauptverhandlung vor dem Landgericht mit inhaftierten Mandanten). Das relativiert sich jedoch ziemllich schnell, berücksichtigt man, daß schon eine relativ kurze Hauptverhandlung, zumal an auswärtigen Gerichten, den ganzen Arbeitstag versaut, die Arbeit auf dem Schreibtisch liegen bleibt, man für andere Mandnaten nicht zu sprechen ist, etc.

    Lange Hauptverhandlungen sind nicht nur für Richter und Staatsanwälte ein Graus, sondern auch für jeden wirtschaftlich denkenden Verteidiger, der Angestellte und Familie zu versorgen hat und keine Millionäre auf der Basis eines Stundensatzes von 400,00 Euro verteidigt. Wenn ein Richter einen langen Atem hat, schmerzt das die Verteidiger mehr als das Gericht. Das wissen die meisten Richter. Am Ende entscheidet häufig, wer als erster „keinen Bock mehr hat“, sich den Prozeß weiter anzutun.

  15. 15
    Karl-Herbert says:

    In diesem Fall geht es um eine „wirtschaftlich recht lukrative Geschäftsidee „, die den Angeklagten vorgeworfen wird. Man kann also davon ausgehen, dass die Angeklagten aufgrund des ergaunerten Geldes zunächst einen langen Atem haben werden.

  16. 16
    Django says:

    @Karl-Herbert: Hoffentlich lässt sich crh das Honorar von der Oma des Angeklagten überweisen.

  17. 17
    Denny Crane says:

    @ Karl-Herbert

    Das „ergaunerte“ Geld dürfte bereits eingefroren sein. Im übrigen ist es für einen Verteidiger risikoreich, Geld aus möglicherweise illegalen Quellen zu nehmen. Der BGH ist da zwar inzwischen großzügiger und verlangt sichere Kenntnis des Verteidigers, bevor ihm der Vorwurf der Geldwäsche gemacht werden kann. Das schützt aber nicht vor einem Ermittlungsverfahren und möglichen Rückforderungsansprüche hinsichtlich des Honorars. Ich lasse mich auf so etwas nicht ein.

  18. 18
    K75 S says:

    Ob hier überhaupt Geld „ergaunert“ wurde steht ja offenbar noch nicht einmal fest.

    Wenn die Formulierung „wirtschaftlich recht lukrativen Geschäftsidee ..“ bereits ein Anhaltspunkt für illegale Praktiken wäre, müssten bei Millionen Gewerbetreibenden schon mal putative Hausdurchsuchungen vorgenommen werden. Ich habe da so zarte Zweifel, ob dies praktikabel ist.