Die Hauptverhandlung mußte nach ein paar Terminen ausgesetzt werden, woran d. Angeklagte nicht ganz „unschuldig“ war.
Zur Vorbereitung des zweiten Durchgangs hatte ich (ergänzende) Akteneinsicht beantragt, die mir auch relativ kurzfristig gewährt wurde. In der Akte, die mir das Gericht zur Verfügung gestellt hat, fand sich ein häßlicher roter Zettel, der dort eigentlich nicht reingehört:
Das ist in den fast zwei Jahrzehnten, in denen ich als Strafverteidiger unterwegs bin, erst das zweite Mal, daß ich einen Haftbefehl in der Akte vorfinde, bevor dieser vollstreckt wurde. In der Regel werden die Rotzettel (mit einem z!) ausgeheftet, bevor die Akte dem Verteidiger zur Einsicht gegeben wird. Wenn er sie vor der Vollstreckung überhaupt bekommt.
Tja, und jetzt? Was macht der Strafverteidiger – als Organ der Rechtspflege (!) – mit dieser versehentlich übermittelten, höchst unfreundlichen Information?
Es kann geraten und kommentiert werden.
Bei bereits bestehendem Mandatsverhältnis wäre alles andere als eine Information des Mandanten ein grober Vertrauensbruch, Anwaltsfehler und Haftungsfall. Nur aktiv als Fluchthelfer sollte er sich nicht betätigen…
Auch wenn Herr Ermittlungsrichter sagt, die Info dürfe weitergegeben werden.
Ich sehe das anders.
Die Gefahr, dass der ANWALT dann wegen STRAFVEREITELUNG verfolgt wird, ist immens hoch.
Das Risiko ist nicht kalkulierbar.
Ein Haftungsfall ist die NIcht – Mitteilung aber ganz sicher nicht; eher – meiner Ansicht nach – rechtskonform.
Darüber bloggen wäre eigentlich die Variante, die ich am wenigsten bevorzugt hätte. Nun weiss es Mandant und die Strafverfolgung und einer von beiden wird am Ende sauer sein, je nach weiterem Vorgehen.
Dies hängt m.E. auch nicht unerheblich von den Verhältnissen ab, in denen der Mandant lebt, aber auch von der Straferwartung etc.
Hat er Familie etc. ist er sicher froh, wenn er vorher noch einige Dinge regeln kann, evetuell auch finanzielle in Hinsicht auf das Anwaltshonorar.
Steckt er jedoch schnell den Kopf in den Sand („an der Aussetzung nicht ganz unschuldig“) und taucht ab, so könnte die Mitteilung eher negative Auswirkungen haben.
Kurzum der Anwalt sollte wissen was für den Mandanten am bessten ist. Eine Flucht sieht vorher subjektiv meist rosiger aus als hinterher objektiv betrachtet.
D. (!) Angeklagte hat ja anscheinend schon das Weite gesucht (siehe Haftgrund); da kann auch die Information durch den Verteidiger nicht mehr schaden.
Irgendwas ist da faul…. Im Kopf steht „Leseabschrift“.
Ich denke aber auch, dass d.. Angeklagte nicht mehr da ist.
Der Verteidiger macht erstmal gar nichts, außer…
er stellt den Antrag auf vorläufige Einstellung (§§ 205, 154 f StPO), da sein Mandant ja wohl unbekannten Aufenthalts ist. Deswegen ist der „offenbarte“ Haftbefehl sogar ein cleverer Schachzug, da die Verteidigung nun mit dem Mandanten in Kontakt treten wird.
Die Fahndungsmaßnahmen werden hierdurch noch gestärkt, denn der Angeklagte wird nun versuchen die Bundesrepublik zu verlassen, er wird sich telefonisch oder persönich bei seinen Freunden seiner Familie verabschieden oder an sein Konto gehen um Geld zu holen. Und da….
wird ihm die acht angelegt.
Wenigstens tut die Berliner Justiz etwas.
Die schweizer Justiz kriegt selbst bei >>30 Fällen mit (gesamt) >>30.000 EUR Schaden den Hintern nicht hoch (obwohl der Täter Ausländer und viele Opfer Schweizer waren – es geht also nicht einmal um Schutz eines Landsmannes).
Das gewschärtze Datum wäre Spannend…
Fall a.
Der Mandant weilt an seiner Meldeadresse.
Ihm die Akte zur Einsicht mit dem Hinweis der genauen Lektüre der farbigen Seiten zum Lesen geben.
Fragen Pflichbewust beantworten.
Fall b.
Der Mandant weit nicht an seiner Meldeadresse
Elektronisch (wie auch immer) Akteneinsicht gewähren mit o.g. Hinweis
Fall c.
Der Mandant ist nicht erreibar.
Dann ist ihm auch nicht mehr zu helfen. Bzw erst wenn er in Haft sitzt.
Also doch schon zur Verhandlung abwesend
§ 112 Abs. 2
1. festgestellt wird, daß der Beschuldigte flüchtig ist oder sich verborgen hält,
[Spoiler]
a) nach BVerfG NJW 2006, 3197/3198 Rdnr. 11.
BVerfG (3. Kammer des Zweiten Senats), Beschluß vom 17. 6. 2006 – 2 BvR 1085/05 u.a.
Die Beurteilung von strafverhindernden oder strafverzögernden Handlungen im Rahmen der Strafverteidigung ist im Einzelnen umstritten. Weitgehende Einigkeit besteht indes darin, dass der Verteidiger als verteidigungsfremdes Verhalten nicht von den Ermittlungsbehörden geheim gehaltene Maßnahmen, insbesondere – wie hier – einer bevorstehenden Verhaftung, an seinen Mandanten übermitteln darf (vgl. BGHSt 29, BGHST Jahr 29 Seite 99 [BGHST Jahr 29 Seite 102f.] = NJW 1980, NJW Jahr 1980 Seite 64; Ruß, in: LK-StGB, § 258 Rdnr. 20; Laufhütte, in: KK, 5. Aufl. [2003], § 147 Rdnr. 12; Stree, in: Schönke/Schröder, § 258 Rdnr. 20; Tröndle/Fischer, StGB, 52. Aufl. [2004], § 258 Rdnr. 12). Etwas anderes ergibt sich hier auch dann nicht, wenn danach differenziert wird, ob der Verteidiger die weiter übermittelte Kenntnis des Bestehens eines von den Ermittlungsbehörden geheim gehaltenen Haftbefehls in zulässiger, zufälliger oder unzulässiger Weise erlangt hat (vgl. OLG Hamburg, Beschl. v. 17. 2. 1987 – [33] 28/86 Ns – 51 Js 85/84, juris). Jedenfalls für den Fall der unzulässigen, beispielsweise – wie hier – täuschungsbedingten Kenntniserlangung kann von Verfassungs wegen – auch unter besonderer Berücksichtigung der durch das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes gesicherten Institution der Strafverteidigung (vgl. BVerfGE 110, BVERFGE Jahr 110 Seite 226 [BVERFGE Jahr 110 Seite 253] = NJW 2004, NJW Jahr 2004 Seite 1305) – von einem tatbestandstauglichen Verhalten des Verteidigers ausgegangen werden (zur Differenzierung nach Art der Kenntniserlangung vgl. Krekeler, NStZ 1989, NSTZ Jahr 1989 Seite 146 [NSTZ Jahr 1989 Seite 149]; Mehle, Anm. zum Beschluss des KG vom 5. 7. 1982, NStZ 1983, NSTZ Jahr 1983 Seite 556 [NSTZ Jahr 1983 Seite 558]).
Sehr schön, vielen Dank. crh
Wie Ernst sagt. Hatte ich doch Recht…
Da gibt es 2 Kriterien:
1. Recht haben
2. Mandanten haben
…
Dass der Anwalt selbst deswegen verfolgt wird, lässt natürlich das bloggen in anderem Licht erscheinen. Vor allem wenn er weiss, dass d.. Mandant(in) das Blog liest. Wer nicht ganz auf den Kopf gefallen ist wird schon seinen eigenen Fall erkennen.
Wenn ich aber mitbekommen würde, dass mein Anwalt von so etwas wusste und es mir nicht mitgeteilt hat (bzw. es auf welchem Weg auch immer, versucht hat), wäre ich wenig motiviert ihm sein Honorar zu zahlen.
Hmm. Verstehe ich das richtig, dass die HV ausgesetzt werden musste, weil der Angeklagte untergetaucht war?
Wenn dem so ist – inwiefern ist dann die Nachricht vom Erlass eines Haftbefehls noch überraschend?
Da habe ich einmal eine völlig harmlose Frage zu den Akten und dem Recht auf Akteneinsicht:
Ich nahm Akteneinsicht beim Sozialgericht.
Da lag ein oranger Zettel mit Notizen.
Die Sachbearbeitein griff nach diesem und meinte:
Das sind Aufzeichnungen der Richterin, die gehen niemanden etwas an.
Ein Haftbefehl konnte es nicht sein – es war das Sozialgericht.
Kann man sich da trotzdem beschweren?
Und was, wenn das lose Blatt keine Seitenzahl hat?
@ Verlobte von Wilhelm Brause:
Der Schmierzettel des Richters, auf dem dieser sich Vorüberlegungen notiert oder für sich selbst während der Verhandlung Notizen gemacht hat, ist in der Tat nicht Bestandteil der Akte (auch dann nicht, wenn er wie häufig als loses Blatt in der Umschlagtasche der Akte liegt). Insofern hatte die Sachbearbeiterin recht.
Toll. 152 Leute haben für den Blogbeitrag gestimmt, den man als Organ der Rechtspflege in diesem Fall schreibt.
Boah … eine ganz fiese Frage!
Einen solchen Fall zu bloggen wäre mir vermutlich auch als allerletztes in den Sinn gekommen.
Vermutlich hätte ich das Papier ganz heimlich, still und leise entsorgt (damit nicht ein armer Gerichtsaktenmanipulierer wegen dieser Schlampigkeit noch seinen Job verliert) und dem Mandanten lediglich empfohlen, das Haus in nächster Zeit nicht ohne Zahnbürste zu verlassen.
Ich bin allerdings davon überzeugt, daß der Autor sich nicht auf ein Mopped setzen würde, von dem er weiß daß er es nicht beherrscht.
Als getreuer Staatsbürger hat man Fundsachen stets dem rechtmäßigen Eigentümer zurück zu geben (hat meine Mama immer gesagt). Aber wer ist hier der rechtmäßige Eigentümer? Der Staat? Das wären dann ja wir alle, oder?
Kann der RA in dieser Situation überhaupt noch effektiv verteidigen?
Also zum Beispiel dem Mandaten die Einschätzung mitteilen, dass dieser Richter ein notorischer Lügner ist, und man sich keinesfalls darauf verlassen sollte, wenn er „deutlich gemacht hat, daß ein Haftbefehl nicht zur Rede steht“.
Wenn sich diese Einschätzung aus dem Rest der Akte ergibt. Darf der RA das dann dem Mandaten sagen? Oder ihm raten Zahnbürste und frische Unterwäsche mitzubringen, um die nicht vorhandene Fluchgefahr zu untermauern.
@ Ernst / crh (#10)
Allein die Formulierung des Beschlusses scheint schon wieder darauf abzuzielen, Verteidiger, die des Deutschen nicht muttersprachlich mächtig sind, vom Verständnis des Beschlusses auszuschließen…
„Weitgehende Einigkeit besteht indes darin, dass der Verteidiger als verteidigungsfremdes Verhalten nicht von den Ermittlungsbehörden geheim gehaltene Maßnahmen, insbesondere – wie hier – einer bevorstehenden Verhaftung, an seinen Mandanten übermitteln darf“
Ich selbst musste es mehrfach lesen, um die Bedeutung des Wortes „nicht“ bei DIESER Stellung zu verstehen – dass es sich eben nicht auf den Status der Geheimhaltung der Maßnahme bezieht (die ja rein logisch mit der Übermittlung an eine geheimhaltungskreisfremde dritte Person nicht mehr gegeben ist), sondern auf die Übermittlung an den Mandanten, und dass das Wort, auf das es dabei ankommt, „verteidigungsfremd“ ist.
Aber nicht umsonst gibt es den Spruch: „Er war ein guter Jurist und auch sonst von mäßigem Verstand.“ (Und nicht grundlos setzt sich der Bundestag mehrheitlich aus Juristen zusammen…)
Es wäre schlichtweg zu einfach und für den Normalbürger zu verständlich gewesen, es anders zu formulieren. Etwa so:
„Weitgehende Einigkeit besteht indes darin, dass die Übermittlung der von den Ermittlungsbehörden geheim gehaltenen Maßnahmen, insbesondere – wie hier – einer bevorstehenden Verhaftung, an den Mandanten ein verteidigungsfremdes Verhalten darstellt und somit nicht erfolgen darf.“
„Vermutlich hätte ich das Papier ganz heimlich, still und leise entsorgt (damit nicht ein armer Gerichtsaktenmanipulierer wegen dieser Schlampigkeit noch seinen Job verliert) …“
On the job ?
Wirklich gruselig ist doch nur, dass auch Anwälte ernsthaft darüber nachdenken, ihre Mandantschaft aus Sorge vor eigener Strafverfolgung nicht zu informieren. Das gab es schon öfter.
@jjPreston „Verteidiger, die des Deutschen nicht muttersprachlich mächtig sind“ oder auch sonst Schwierigkeiten mit dieser Sprache haben, sollten sich vielleicht generell davor hüten, ihren Mandanten eine state-of-the-art-(joppla,. wie heißt das doch gleich auf Deutsch?) Verteidigung vor bundesdeutschen Gerichten zu versprechen.
“ Meine Mandanten werden stets SOFORT informiert, wenn mir ein Haftbefehl bekannt wird.“
Also in etwa zehn Jahren wieder einmal, wenn der Vorsitzende dem Mandanten klar machen möchte, dass ihm das Prozessverhalten desselben nicht zusagt ?
@Arne Rathjen:
Natürlich erst nach 10 Jahren. Solange muss crh nämlich wegen Geheimnisverrats einsitzen.
Schliesslich hat er ausgeplaudert, wie engagiert, sorgfältig und fähig die Justiz arbeitet… ;)