Provokation durch instinktgesteuerte Ermittler

Die Pressestelle des Bundesgerichtshofs berichtet am 10.06.2015 über eine Selbstverständlichkeit; jedenfalls aus Sicht eines Bürgers, der sich nicht zum Objekt von jagdinstinktgesteuerten Ermittlern machen lassen will.

Rechtsstaatswidrige Tatprovokation durch Verdeckte Ermittler der Polizei führt zur Einstellung des Verfahrens wegen eines Verfahrenshindernisses

Urteil vom 10. Juni 2015 – 2 StR 97/14

Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat durch Urteil vom 10. Juni 2015 ein Urteil des Landgerichts Bonn aufgehoben, durch das zwei Beschuldigte wegen Beihilfe zur unerlaubten Einfuhr von Betäubungsmitteln zu Freiheitsstrafen verurteilt worden waren. Der Senat hat das Verfahren wegen eines auf einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation beruhenden Verfahrenshindernisses eingestellt.

Hintergrund des Verfahrens war ein vager Tatverdacht gegen die zwei Männer, diese könnten in Geldwäsche- und Betäubungsmittelstraftaten verstrickt sein. Nachdem eine langfristige Observation sowie umfangreiche Überwachungsmaßnahmen diesen Verdacht nicht bestätigt hatten, setzte die Polizei mehrere verdeckte Ermittler aus Deutschland und den Niederlanden ein, die über einen Zeitraum von mehreren Monaten versuchten, die Beschuldigten dazu zu bringen, ihnen große Mengen „Ecstacy“-Tabletten aus den Niederlanden zu besorgen. Die Beschuldigten weigerten sich, dies zu tun. Erst als einer der Verdeckten Ermittler drohend auftrat und ein anderer wahrheitswidrig behauptete, wenn er seinen Hinterleuten das Rauschgift nicht besorge, werde seine Familie mit dem Tod bedroht, halfen die Beschuldigten in zwei Fällen ohne jedes Entgelt bei der Beschaffung und Einfuhr von Extacy aus den Niederlanden.

Diese Feststellungen hat das Landgericht auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten getroffen, weil die Polizei nicht bereit war, die Verdeckten Ermittler offen als Zeugen vernehmen zu lassen.

Nach bisher ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und des Bundesverfassungsgerichts reichte es in Fällen einer solchen rechtsstaatswidrigen Tatprovokation durch Polizeibeamte zur Kompensation des Eingriffs aus, wenn die Strafe für den Angeklagten gemildert wurde. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat am 23. Oktober 2014 aber entschieden, dass eine solche „Strafzumessungslösung“ nicht ausreiche, um die Menschenrechtsverletzung zu kompensieren, die darin liegt, dass ein unschuldiger, unverdächtiger Mensch zum „Werkzeug“ der Kriminalpolitik gemacht wird, indem staatliche Behörden selbst ihn anstiften, eine Straftat zu begehen, um diese anschließend – zur Abschreckung anderer – bestrafen zu können. Daher war die Bundesrepublik in einem anderen Fall vom EGMR verurteilt worden.

Der 2. Strafsenat hat vor diesem Hintergrund die Rechtsprechung geändert. Da der Begriff der so genannten „rechtsstaatwidrigen Tatprovokation“, wie ihn der EGMR definiert, weiter ist als der des Bundesgerichtsgerichtshofs – also die Voraussetzungen bereits bei geringeren aktiven Einflussnahmen erfüllt sind –, gilt der Rechtssatz des EGMR, wonach eine bloße Strafmilderung nicht ausreicht, jedenfalls auch in allen Fällen, in denen der Bundesgerichtshof eine rechtsstaatswidrige Provokation als gegeben ansieht.

Auf der Rechtsfolgenseite war der 2. Strafsenat daher nicht an die bisherige Rechtsprechung gebunden, weil diese durch die Entscheidung des EGMR überholt ist und der Bundesgerichtsgerichtshof gehalten ist, die europarechtliche Rechtsprechung des EGMR in nationales Recht umzusetzen, um weitere Verurteilungen der Bundesrepublik wegen Menschenrechtsverletzungen zu vermeiden. Daher war auch eine Vorlage an den Großen Senat für Strafsachen nicht geboten, denn über die Rechtsfrage, die sich stellte, war auf der Grundlage der neuen menschenrechtlichen Rechtsprechung vom Bundesgerichtshof noch nicht entschieden.

Der Senat hat offen gelassen, ob die Rechtsfolge einer Verfahrenseinstellung aufgrund eines endgültigen Verfahrenshindernisses in allen Fällen einer rechtsstaatswidrigen Tatprovokation eintreten muss, wie es die Rechtsprechung des EGMR allerdings nahe legt, oder ob eine „abgestufte“ Lösung je nach der konkreten Schwere der Menschenrechtsverletzung möglich wäre. Bei der Sachlage im konkreten Fall hat er auf der Basis der Feststellungen des Landgerichts jede andere Kompensation ausgeschlossen.

Damit ist in Deutschland erstmals die rechtswidrige Überredung von Bürgern zu Straftaten durch die Polizei oder von ihr gesteuerter Personen als ein Verfahrenshindernis anerkannt worden.

Vorinstanz: LG Bonn – 21 KLs 4/12 900 Js 721/10 – vom 13. Februar 2013

Der „Rebellensenat“ des BGH wird mir immer sympathischer, und das nicht nur wegen der Kolumnen des Vorsitzenden in der Zeit. Wenn jetzt noch ein mutiger Staatsanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen diese Ermittler einleiten würde, wäre die Welt wieder einigermaßen rund. Aber jetzt fange ich wohl an zu halluzinieren.

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Fettdruck im Zitat vom Autor.

Dieser Beitrag wurde unter Betäubungsmittelrecht, Polizei, Strafrecht veröffentlicht.

23 Antworten auf Provokation durch instinktgesteuerte Ermittler

  1. 1
    Obelix says:

    Ich will ja gerne den Volltext abwarten, aber lese ich das richtig, verdeckte Ermittler haben Unbescholtene mit Peitsche und emotionaler Erpressung dazu gedrängt, pro bono Drogen zu schmuggeln, damit die deshalb abgeurteilt werden können? Polizeiarbeit habe ich mir immer anders vorgestellt.

  2. 2
    WPR_bei_WBS says:

    Tat_provokation_ ist hier ja ncoh freundliche-euphemistisch. Das muß man sich mal auf der Zunge zergehen lassen: Die Polizei bedroht jemanden und dessen Familie, nach längerer erfolgreicher „sipmpler“ Provokation, mit dem Leben um eine Starftat zu begehen. Dieser jemand, derartig bedroht, begeht dann schließlich diese Straftat, ohne einen Gewinn dabei zu machen, und dann geht die Polizei her und will ihn verknacken.

    Erinnert irgendwie an die Argumentationschemata á la „Der Gewalttäter hat mir dann sein Gesicht mit voller Wucht in die Faust gerammt. Meine Faust hat einen Kratzer erlitten. Aufgrund der härte seines Schädels ist dies eine gerfährliche Körperverletzung.“

  3. 3

    […] Eine tolle Exekutive haben wir uns da heran gezüchtet. Wie es weiter ging, erfahrt ihr bei RA Hoenig. […]

  4. 4

    […] Dafuq?! Eine tolle Exekutive haben wir uns da heran gezüchtet. Wie es weiter ging, erfahrt ihr bei RA Hoenig. […]

  5. 5
    Roadrunner says:

    In der Tat ist das eine doch recht euphemistische Wahl der Worte durch den BGH. Für das Verhalten der betroffenen Beamten würden mir da schon noch ein paar andere relevante Paragraphen einfallen… (gut, darum ging es hier erst mal nicht).

    Größere Hochachtung vor dem Senat habe ich allerdings hinsichtlich der Zeugen. Die Tatsache, dass der Einlassung des Angeklagten hier Glaube geschenkt wurde, weil die Polizei ihre verdeckten Ermittler nicht herausrückt, ist dann schon eine gewisse Abkehr von der „die Polizei sagt das, also stimmt das“-Keule. Schule wird das leider nicht machen.

    Gerne würde ich allerdings beobachten, wie sich die Staatsanwaltschaft aus dem Ermittlungsverfahren gegen die mutmaßlich straffällig gewordenen Beamten herauswindet… an dessen Erfolg habe ich aber keinen Zweifel.

  6. 6
    Thomas B. says:

    Nicht zu früh freuen. Spätestens der 1. Strafsenat wird wohl dafür Sorgen, dass das Ganze an den Großen Senat geht.

    Es wird also noch spannend.

  7. 7
    Daarin says:

    @Thomas B.: Womit das ganze am Ende beim EGMR landet, das sich dazu schon geäußert hat. Ich glaube nicht dass die das mit Humor nehmen.

  8. 8

    […] der Sex Pistols sind ein Kreditkartenmotiv. Gegen das antikapitalistische Schweinesystem oder so. Drogen besorgt die Polizei für euch. Das muss dieser neue Liberalismus sein, von dem immer alle reden; der alte wurde bekanntlich […]

  9. 9

    Ein nicht so ungewöhnlicher Fall.Immerhin: die Bedrohung der Familie des Beschuldigten, um eine Aussage zu erhalten, wäre ein klarer Fall von
    Aussageerpressung und damit strafbar.

    Der seinerzeitige Chef der belgischen Drogenfahndung wurde übrigens wegen Drogenhandels verurteilt.
    So Etwas passiert auch. Aber eher selten.

  10. 10
    Kalle says:

    Wie es so schön in der Pressemeldung heißt: „Diese Feststellungen hat das Landgericht auf der Grundlage der Einlassungen der Angeklagten getroffen, weil die Polizei nicht bereit war, die Verdeckten Ermittler offen als Zeugen vernehmen zu lassen.“

    Auf Deutsch: Es ist nicht anzunehmen, dass an den Behauptungen der Angeklagten zur Bedrohung etc. ein Wort wahr ist. Die Polizei braucht aber ihre verdeckten Ermittler noch (und zwar lebend), und hat deshalb in Kauf genommen, diese Behauptungen nicht widerlegen zu können.

  11. 11
    TAB says:

    „Auf Deutsch: Es ist nicht anzunehmen, dass an den Behauptungen der Angeklagten zur Bedrohung etc. ein Wort wahr ist.“

    Jajaja schon klar. Die Polizei würde sowas niemals nicht tun – und genau weil die sowas nie tun würden gabs ja das EGMR Urteil. aus dem dieses resultiert.

  12. 12
  13. 13
    nk says:

    Die Hälfte der Kommentatoren und auch eine Reihe sonstiger Medien haben die Meldung nicht richtig verstanden:

    „und ein anderer wahrheitswidrig behauptete, wenn er seinen Hinterleuten das Rauschgift nicht besorge, werde seine Familie [DIE DES ERMITTLERS] mit dem Tod bedroht, halfen die Beschuldigten“

  14. 14
    Der wahre T1000 says:

    Da eröffnen sich interessante Verteidigungsmöglichkeiten.

    Wenn z.B. ein verdeckter Ermittler im Park ein Tütchen Hasch kauft, dann stiftet er den Verkäufer zur Straftat an, denn ohne den Ermittler und dessen – aktiven – Kaufwunsch würde die Straftat ja nicht stattfinden. Das wäre nach dieser Rechtsprechung dann ein Verfahrenshindernis.

    Kurz: verdeckte Ermittler kann man sich nun ganz sparen, außer sie beobachten nur.

    In dem beschriebenen Fall liegt es auf der Hand, dass die Angeklagten straffrei davonkommen sollten. Aber wo und wie will man das abgrenzen? Wann wurde jemand so intensiv angestiftet, dass es als Verfahrenshindernis reicht? Das eröffnet der Willkür Tür und Tor.

    Kein guter Tag für die Bekämpfung von Straftaten.

  15. 15
    jj preston says:

    Ich könnte mir vorstellen, dass im Hinblick auf den Umgang mit VS-Leuten damals Beate Zschäpe diese Entscheidung mit Interesse verfolgt haben wird…

  16. 16
    Martin Overath says:

    Wir sollten stolz und dankbar sein, dass es diesen Strafsenat mit dem kompetentem Vorsitzenden gibt.
    Der Begriff „Rebellen“senat (Copyright RiOLG a.D. Burhoff) ist völlig deplatziert.

  17. 17
    Fry says:

    Gute Sache. Leider liegt diese Sichtweise nicht im Trend. Schauen wir nach USA, von denen wir als Satellit ja früher oder später alles unkritisch übernehmen: dort unterhalten FBI, DEA und Konsorten ganze Abteilungen, deren Aufgabe es ist, Bürger zu Straftaten zu verleiten. Dafür gibt es sogar einen Fachausdruck: „Sting operation“. (Wer’s nicht glaubt, google)

  18. 18

    […] Wie macht die polizei in der BRD drogenhänder dingfest? Na, manchmal, indem sie die straftaten aktiv und mit begeisterte einsatzfreude herbeiführt: […]

  19. 19
    WPR_bei_WBS says:

    @Fry

    Ja, leider Gottes wahr. Da drüben ist es fast schon Standard, dass Anfängerinnen im (kriminalistischen) Polizeidienst ihre Laufbahn bei der „Sitte“ beginnen und als Lockvogel-Prostituierte herhalten müssen.

  20. 20
    alfred says:

    Die Entscheidung ist doch aber wenig überraschend: T. Fischer/H. Maul: Tatprovozierendes Verhalten als polizeiliche Ermittlungsmaßnahme, NStZ 1992, S. 7 ff.

  21. 21

    Einem Gerücht zufolge soll sogar das Innenministerium verlegt worden sein, weil man es nicht schaffte, den Heroinhandel in dieser Gegend zu stoppen und zu kontrollieren . Man konnte allerdings den Gästen und den dort arbeitenden Beamten dieses Umfeld nicht länger zumuten.

    Warum aber werden Leute von der Polizei genötigt,
    Drogen in großen Mengen zu beschaffen ?

    Man Könnte das als Drogenhandel missverstehen.

  22. 22
    dot tilde dot says:

    @14 (t1000):

    mit solchen ermittlern ist mitunter jeder tag ein schlechter tag für die bekämpfung von straftaten. es geht doch nicht um die bekämpfung von menschen, denen straftaten zur last gelegt werden, oder?

    die arbeit der ermittler muss den erfordernissen des strafprozesses gerecht werden, nicht umgekehrt. wenn sie das nicht tut, ist sie zur bekämpfung von straftaten nicht tauglich.

    .~.

  23. 23
    Regimekritiker says:

    Damit wird hoffentich der Einsatz von V-Leuten künftig witzlos werden. Gerade im BTMG-Bereich werden Leute häufig nur durch Tatprovokation „erwischt“.
    Weil ein V-Mann unbedingt 5 Kilo Koks haben will und dieser die Beschuldigten dazu anstiftet diese 5 Kilo zu besorgen…

    Oder auch bei politischen Straftaten von Rechts oder Links wird immer wieder von V-Leuten eine Tatprovokation begangen