Erneut erweist sich das Bundesverfassungsgericht als letzter, aber sicherer Rettungsanker eines Häftlings.
In der Pressemitteilung Nr. 34/2006 vom 9. Mai 2006 teilt das Bundesverfassungsgericht – Pressestelle – zum Beschluss des Gerichts vom 19. April 2006 – 2 BvR 818/05 – mit:
Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Versagung der Verlegung in eine heimatnähere Justizvollzugsanstalt
Der in der ehemaligen DDR aufgewachsene Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in einer bayerischen Justizvollzugsanstalt. Der Zeitpunkt, zu dem eine Entlassung auf Bewährung in Betracht kommt, wird Ende 2009 erreicht sein. Der Beschwerdeführer beantragte, ihn in eine Vollzugsanstalt des Landes Sachsen zu verlegen, da sämtliche Bezugspersonen, mit denen er regelmäßig Kontakt pflege – insbesondere seine Verlobte, seine Eltern, seine Geschwister und deren Kinder – in den neuen Ländern lebten; in Bayern habe er keine sozialen Kontakte. Nach seiner Haftentlassung wolle er seinen Lebensmittelpunkt zusammen mit seiner Verlobten in der Nähe seiner in Sachsen wohnhaften Schwester suchen. Beide seien bereit, ihm – auch im Rahmen von Vollzugslockerungen – bei der Wiedereingliederung zu helfen. Teils aus finanziellen oder beruflichen und teils aus gesundheitlichen Gründen sei es seinen Verwandten nicht möglich, ihn in der bayerischen Justizvollzugsanstalt zu besuchen. Die Verlobte verwies der Anstalt gegenüber auf ärztliche Atteste, nach denen ihr lange Reisen ärztlich untersagt seien, die Schwester auf einen Anfahrtsweg von 450 Kilometern und darauf, dass sie im Rahmen ihrer Tätigkeit im Gesundheitswesen an der Rufbereitschaft teilnehme.
Die Justizvollzugsanstalt lehnte den Verlegungsantrag des Beschwerdeführers ab. Hiergegen gerichtete Rechtsmittel blieben vor den Fachgerichten ohne Erfolg. Als Grund für eine Verlegung reiche es nicht aus, dass durch sie der Kontakt mit Angehörigen erleichtert würde; andernfalls müsste aus Gründen der Gleichbehandlung einer solchen Vielzahl von Verlegungswünschen Rechnung getragen werden, dass ein geordneter Vollzug nicht mehr möglich wäre. Ein Anstaltswechsel komme nur bei besonderen, vom Durchschnittfall abweichenden Erschwerungen des Kontakts zu den Angehörigen in Betracht. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin hob die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts die Entscheidung des Landgerichts auf, da sie den in Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG verankerten Resozialisierungsanspruch des Beschwerdeführers verletze. Die Sache wurde an das Landgericht zurückverwiesen.
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Für das Resozialisierungsziel, auf das der Strafvollzug von Verfassungs wegen auszurichten ist, haben die familiären Beziehungen des Gefangenen wesentliche Bedeutung. Der Bestand und die Stärkung dieser Beziehungen fördern regelmäßig die Chancen seiner Wiedereingliederung und sind für freiheitserhebliche Entscheidungen (Vollzugslockerungen, Entlassung auf Bewährung) von Belang. Das Strafvollzugsgesetz trägt dem Rechnung, indem es eine Verlegung des Gefangenen ermöglicht, wenn hierdurch die Behandlung des Gefangenen oder seine Eingliederung nach der Entlassung gefördert wird.Die Erwägung, dass die Entscheidung über eine beantragte Verlegung nicht nach Grundsätzen getroffen werden darf, die mit den Erfordernissen eines geordneten Strafvollzuges nicht vereinbar wären, ist verfassungsrechtlich tragfähig. Zur rechtlich vorgesehenen Ordnung des Strafvollzuges gehört aber auch, dass in der Vollstreckungsplanung und bei davon abweichenden Verlegungsentscheidungen auf den Gesichtspunkt der Förderung des Kontakts zu Angehörigen die verfassungsrechtlich gebotene Rücksicht genommen wird. Unter der Voraussetzung, dass die durchschnittlichen Verhältnisse von einer Praxis geprägt sind, die diesen Anforderungen entspricht, sollten Schwierigkeiten des beiderseits erwünschten Kontakts zu den Angehörigen, wie sie im Falle des Beschwerdeführers bestehen, gerade nicht den Durchschnittsfall bilden. Die Feststellung des Landgerichts, besondere, vom Durchschnittsfall abweichende Erschwernisse lägen im Fall des Beschwerdeführers nicht vor, ist auf diesem Hintergrund nicht nachvollziehbar. Die allgemeine Erwägung, dass finanziell oder gesundheitlich bedingte Kontaktschwierigkeiten keine überdurchschnittlichen, sondern typische Erschwernisse seien, ist offensichtlich unhaltbar. Sie ersetzt die gebotene Würdigung der konkreten Umstände durch eine Pauschalbetrachtung, die bei konsequenter Anwendung darauf hinausläuft, dass Gefangene auf eine Verlegung in die Nähe ihrer Angehörigen prinzipiell keine Aussicht haben, wenn die Gründe dafür, dass ausreichende Kontakte nur durch Verlegung ermöglicht werden können, finanzieller oder gesundheitlicher Art sind. Es liegt auf der Hand, dass eine solche Handhabung nicht nur mit dem grundrechtlich geschützten
Resozialisierungsinteresse unvereinbar wäre, sondern auch mit dem Anspruch des Gefangenen, nicht aufgrund der finanziellen oder gesundheitlichen Verhältnisse seiner Familienangehörigen benachteiligt zu werden gegenüber insoweit besser gestellten Gefangenen.
Es ist bedauerlich, daß insbesondere in Haftfragen immer wieder die Hüter der Verfassung bemüht werden müssen, die dann die Rechtsverletzung durch Behörden und Instanzgerichte reklamieren. Dies gilt umsomehr, als daß sich der Häftling wohl in den seltensten Fällen einen Verteidiger leisten kann, der diesen steinigen Weg bis nach Karlsruhe mit ihm geht.