Scharfkantige Spurrillen

Das Oberlandesgericht Hamm hat in einem Urteil am 24. 1. 2005 – 9 U 38/03 – folgenden Fall entschieden.

Am einem lauen Abend im Oktober – es war noch einigermaßen hell – fuhr Bulli Bullmann auf seinem dicken V2 mit gemütlichen 40 km/h in den wohl verdienten Feierabend. In der Nähe einer Auffahrt zu einer Autobahn geriet er in eine längs zur Fahrtrichtung verlaufenden ca. sechs Meter langen Spurrille, die er übersehen hatte. Er konnte das Dickschiff nicht mehr halten. In der Folge kam es zu Kratzern an Mensch und Maschine; ein Schaden von knapp 16.000 Euro war entstanden.

Vier Tage zuvor hatte die zuständige Behörde eine Streckenkontrolle durchgeführt. Die Mitarbeiter hatten sich dabei aber vermutlich eher die Vögelchen in der Luft statt die Straße angeschaut. Jedenfalls wurde von Seiten der Behörden nichts unternommen, um die Gefahrenquelle zu beseitigen oder wenigstens vor ihr zu warnen.

Bullmann war klug genug, noch vom Unfallort aus die Freunde und Helfer zu alarmieren, die dann ins polizeiliche Unfallprotoll notierten:

„Zustand der Fahrbahn: Auf der U Straße in Fahrtrichtung K vor dem Kreuzungsbereich Z/BAB-Auffahrt befindet sich auf der rechten Geradeausspur eine Spurrille, die parallel zur dortigen Rechtsabbiegerspur verläuft. Diese Spurrille hat auf einer Länge von 6 Meter einen Höhenunterschied bis zu 10 cm“

Damit war es der Straßenbaubehörde wenigstens nicht mehr möglich abzustreiten, daß diese Falle bereits am Unfalltag vorhanden war. Aber sonst wurde – wie immer, wenn der Bürger Schadensersatz vom Staat verlangt – so ziemlich alles andere bestritten, was bestritten werden konnte. Die Spurrille sei nicht sooooooo tief gewesen, sondern höchstens soo tief. Außerdem hätte man sie schon von weitem erkennen müssen undundund …

Aber bereits das Landgericht kam schon in erster Instanz zu dem Ergebnis, daß der Staat 70% des geforderten Schadenersatzes zu tragen habe. Es hat eine Tiefe der Spurrille von zehn cm und ein Vorhandensein dieser Unebenheit bereits zum Zeitpunkt der letzten Kontrolle vor dem Sturz als bewiesen angesehen und dies als schuldhafte Verkehrssicherungspflichtverletzung der Straßenkontrolleure bewertet.

Gleichzeitig hat das Landgericht allerdings dem Moppedfahrer einen Eigenverantwortungsanteil von 30% wegen der Betriebsgefahr des Motorrades anspruchsmindernd berücksichtigt.

Dieses Ergebnis wurde dann noch einmal vor dem Berufungsgericht thematisiert. In der Entscheidung des OLG Hamm heißt es unter anderem:

Die Fahrbahn dieser Straße befand sich zum Zeitpunkt des Sturzes wegen der Spurrille in einem objektiv verkehrswidrigen Zustand und stellte in diesem Bereich eine sicherungsbedürftige (abhilfebedürftige) Gefahrenquelle dar.

Wie in vergleichbaren Fällen auch wurde ein Sachverständiger hinzugezogen, der in seinem unfallanalytischen Gutachten ausgeführte:

… das Krad sei instabil geworden, als es sechs Meter in der Spurrille gefahren sei, da die scharfkantige gerade Führung dieser Rille der sinusförmigen Fahrweise des Krades entgegengewirkt habe. Daraufhin sei das Krad im weiteren Verlauf seiner Fahrt aus technischer Sicht gut nachvollziehbar gestürzt. Für die Instabilität sei keine Rillentiefe von 10 cm erforderlich gewesen, sondern habe die fotografisch dokumentierte Tiefe von 6,8 cm ausgereicht, zumal die Rillentiefe gegenüber der Scharfkantigkeit der Rillenführung nur zweitrangig gewesen sei. Die kritische Stelle, an der der Motorradfahrer in die Führung der Spurrille geraten war, konnte von diesem auch nicht ohne weiteres erkannt werden, wie der Sachverständige gleichfalls bestätigt hat und zudem wegen der unmittelbaren Nähe der – den Blick ablenkenden – Fahrstreifenmarkierung bereits aufgrund der bei der Unfallaufnahme gefertigten Lichtbilder einleuchtet. Der Bekl. war daher zur rechtzeitigen Beseitigung der für Zweiradfahrer bestehenden Gefahrenquelle verpflichtet.

Weiter heißt es in der Entscheidung des Berufungsgerichts:

Er [der Straßenbaulastträger, der für den Zustand der Straße veranwortlich ist. crh] hat diese gebotene Sicherung schuldhaft versäumt. Dabei muss er sich bereits eine mangelhafte Fahrbahnkontrolle vorwerfen lassen. Ein sorgfältiger Kontrolleur hätte die Spurrille bereits bei der vier Tage zuvor durchgeführten Besichtigung des Unfallbereiches erkennen können, …

Aber auch der Motorradfahrer müsse haften, zwar nicht, weil er schuldhaft nicht aufgepaßt habe, sondern verschuldensunabhängig wegen der Betriebsgefahr des Zweirades. So heißt es in dem Urteil weiter:

Der Klageanspruch ist aber infolge der bei dem Sturz mitursächlich gewordenen Betriebsgefahr des Motorrades zu kürzen. Diese ist grundsätzlich anzurechnen, da nicht feststeht, dass der Unfall für den Fahrer ein unabwendbares Ereignis nach dem Maßstab des § 7 II StVG (alter Fassung) dargestellt hat. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Vertiefung für den Zeugen bei Anwendung äußerster Aufmerksamkeit und Vorsicht möglicherweise doch erkennbar gewesen wäre.

Insgesamt wurden dem gestürzten Kradler „nur“ noch 25 % seiner Forderungen abgezogen (das Landgericht ging noch von 30 % Mithaftungsanteil aus). Ob das wirklich korrekt ist, kann ich nicht beurteilen, weil mir dazu wesentliche Einzelheiten fehlen: Einem gut trainierten Motocrosser auf einer 120 kg leichten Hard-Enduro wäre diesen Sturz vielleicht eher erspart geblieben als einem Goldwinger auf seiner Einbauküche. ;-)

Man muß sich als Zweiradfahrer schon bewußt sein, daß es riskant ist, sich mit einem Einspurfahrzeug zu bewegen. Und wenn dieses Risiko sich dann realisiert, bleibt man oftmals auf dem Schaden – teilweise – sitzen. Jammern gilt dann nicht mehr.

Und trotzdem – vielleicht auch gerade deswegen – macht das Moppedfahren viel mehr Freude als das Autofahren. :-)

Die Entscheidung wurde in der Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht – NZV 2006 Heft 4, Seite 197, veröffentlicht. Wer sie braucht und nicht anderweitig bekommt, mag sich mit einer eMail an mich wenden.

Dieser Beitrag wurde unter Straßenrecht veröffentlicht.

Eine Antwort auf Scharfkantige Spurrillen

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    Es ist schon zum Verzweifeln, wie hier wieder auf Biegen und Brechen versucht wird, dem Motorradfahrer unter Hinweis unter dem Gesichtspunkt der Betriebsgefahr jedenfalls eine Mithaftung unterzujubeln:

    „Die Klägerin muss sich jedoch einen Eigenverantwortungsanteil des Zeugen B in Höhe von 25 % anspruchsmindernd entgegenhalten lassen. Der Beklagte hat ein Mitverschulden des Zeugen nicht bewiesen, da nicht festgestellt werden konnte, dass die betreffende Spurrille wegen ihrer bereits erörterten Nähe zu einer Fahrbahnmarkierung für den Motorradfahrer jedenfalls bei verkehrserforderlicher Sorgfalt erkennbar war. Gegen eine Erkennbarkeit spricht auch, dass der Zeuge sich vornehmlich auf den Verkehr vor einem Kreuzungsbereich mit Ampelanlage konzentrieren musste.

    Der Klageanspruch ist aber infolge der bei dem Sturz mitursächlich gewordenen Betriebs-gefahr des Motorrades zu kürzen. Diese ist grundsätzlich anzurechnen, da nicht feststeht, dass der Unfall für den Fahrer ein unabwendbares Ereignis nach dem Maßstab des § 7 Abs. 2 StVG (a.F.) dargestellt hat. Es kann nämlich nicht ausgeschlossen werden, dass die Ver-tiefung für den Zeugen bei Anwendung äußerster Aufmerksamkeit und Vorsicht möglicher-weise doch erkennbar gewesen wäre.

    Bei der Abwägung der beiderseitigen Beiträge zu dem Unfall nach 254 Abs. 1 BGB bewertet der Senat die Betriebsgefahr des Motorrades mit 25 %. Dabei hat er die bauartbedingte leicht erhöhte Gefährdung des Motorrads als eines einspurigen Fahrzeugs auf längsverlau-fenden Spurrillen anspruchsmindernd berücksichtigt. Jedoch hat er es ausnahmsweise für geboten gehalten, die vom Landgericht erkannte Eigenverantwortungsquote von 30 % trotz der nur geringfügigen Abweichung zu korrigieren, um einen einheitlichen Standard bei der Bemessung der Betriebsgefahr von Motorrädern in derartigen Fällen zu gewährleisten.“

    Man beachte: Das Gericht bezweifelt, dass die Gefahrenstelle „für den Motorradfahrer je-denfalls bei verkehrserforderlicher Sorgfalt erkennbar war“, meint aber dennoch, es könne „nicht ausgeschlossen werden, dass die Vertiefung für den Zeugen bei Anwendung äußers-ter Aufmerksamkeit und Vorsicht möglicherweise doch erkennbar gewesen wäre“.

    Weshalb derart überzogene Sorgfaltsanforderungen an den Biker gestellt werden, obwohl ein gravierendes Verschulden der Straßenverkehrsbehörden festgestellt wurde, bleibt un-klar. Üblicherweise tritt die Haftung aus der Betriebsgefahr hinter einem überwiegenden Verschulden zurück.

    P.S. Die Entscheidung kann über die Rechtsprechungsdatenbank des Landes NRW unter Angabe des Aktenzeichens abgerufen werden.

    http://www.justiz.nrw.de/RB/nrwe2/index.php