Unzulässig: Lichtenberg ist keine „No-Go-Area“

Giyasettin Sayan hat gerade seinen VW-Golf-Mietwagen in der Margaretenstraße nahe dem Bahnhof Lichtenberg abgeschlossen, als plötzlich zwei Männer auf den Abgeordneten der Linkspartei/PDS hinzutreten. Es ist Freitag gegen 22 Uhr 30. Sayan denkt noch, „die wollen mich begrüßen“. Doch die beiden Männer schlagen zu – mit einer Flasche, wie Sayan später vermutet. Die Polizei hält einen Tag später allerdings einen „stumpfen Gegenstand“ für wahrscheinlicher. Denn Glasscherben findet sie nicht, und Sayans Kopfverletzungen sind so schwer, dass eine Flasche geborsten wäre. Unter der Beschimpfung „Scheißtürke“ geht der Politiker zu Boden, die beiden Männer, dunkel gekleidet, flüchten. Der aus der Türkei stammende 56-Jährige schleppt sich hundert Meter weiter bis zur Pizzeria „Bella Mare“ an der Ecke Weitlingstraße, der Wirt ruft sofort den Notarzt. Die Feuerwehr bringt den Politiker ins Oskar-Ziethen-Krankenhaus, die Polizei verzichtet wegen des schlechten Gesundheitszustands des Opfers auf eine längere Befragung. Sie sucht nun dringend Zeugen und Hinweise, hat 3000 Euro Belohnung ausgesetzt und eine Sonderkommission gegründet.

Quelle: Tagesspiegel

Polizeipräsident Glietsch sprach von einer „offenbar fremdenfeindlichen Tat“ in einem Kiez, der „ein bevorzugtes Wohngebiet der rechten Szene“ und ein „Einsatzschwerpunkt“ sei. 2005 geschahen immerhin zwei der berlinweit 18 fremdenfeindlichen Straftaten dort in der Nähe des Bahnhofs. Das Karree sei ständig im Blick von Spezialeinheiten des LKA, sagte Glietsch weiter. Dennoch sei es auch nach der Tat unzulässig, von einer „No-go-Area“ zu sprechen.

„Unzulässig“. Aha! Und wenn man trotzdem da nicht hin will? Weil Lichtenberg „wie Schöneweide als rechte Hochburg“ gilt??

Deswegen liest man im Tagesspiegel unter dem Anriß:

Wie der Weitlingkiez unter dem Nazi-Image leidet und doch nicht davon loskommt.

folgendes zum selben Thema:

Es scheint zwei Weitlingstraßen in einer zu geben. Guckt man durch die rosafarbene Brille, sieht man eine gemütliche bunte Einkaufsstraße, hübsch sanierte Häuser, viele Läden: Modeboutiquen, Schuhgeschäfte, Buch- und Schreibwarenladen, Frisör, Apotheke, Autotuning, Musikschule, Schönheitssalon, Blumengeschäft, Weinhandel, Supermarkt, Tierbestatter. Guckt man durch die braune, sieht man die Videokamera, die seit dem Überfall am vietnamesischen Blumenladen hängt, man sieht die „deutsche Küche“, die Restaurants anbieten, und denkt an Politik, man sieht den tätowierten Glatzkopf, der mit verschränkten Armen vor dem Hooligan-Laden Ostzone steht, die als Nazitreff berüchtigte Kneipe Kiste, an deren Fenster ein Foto von Papst Benedikt XVI. hängt mit der Aufschrift: Deutscher übernimmt Polenjob. Oder: Klagt nicht, kämpft. Man sieht die Preußenfahne, die aus dem Fenster über der Bäckerei hängt. Und abends gröhlende junge Betrunkene mit kurzen Haaren.

Unser persischer Freund sagte bereits Anfang der 90er Jahre, also kurz nach der „Wende“:

Seitdem die Mauer fiel, ist die Welt für mich kleiner geworden.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei), Strafrecht veröffentlicht.

Eine Antwort auf Unzulässig: Lichtenberg ist keine „No-Go-Area“

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    Es hilft nur zivilgesellschaftliches Engagement,um den brauen Spuk zu beenden. Hier ein Beispiel aus Sachsen.

    Am 29. Juli heißt es Flagge zeigen. Denn da wollen die Jung-Nazi der NPD in Rosswein marschieren und ihre dumpfen Parolen verbreiten. Schon am Vorabend wird ein Bündnis aus Stadt, Parteien, Kirche, Jugendverbänden, Vereinen und Einzelpersonen auf einer Kundgebung um 18.30 Uhr auf dem Marktplatz deutlich machen, dass Nazis in Rosswein nicht erwünscht sind. Am Morgen des 29. Juli findet dann ein Familienfest und Skaterwettbewerb auf der Goldbornstraße zwischen Freiwilliger Feuerwehr und Jugendhaus statt. Hier macht die Rossweiner Bevölkerung deutlich, dass sie bunte Vielfalt statt braune Einfalt will. Unser Dank gilt schon jetzt Bürgermeister Veit Lindner für seine klare Haltung und dafür, dass er die Koordination der Gegenaktivitäten übernommen hat. 
    Schaffen wir in Rosswein eine NO-NAZI-AREA.