Erfolgreiche Verfassungsbeschwerde gegen die Verlegung in eine andere Justizvollzugsanstalt:
Pressemitteilung des Bundesverfassungsgerichts Nr. 68/2006 vom 28. Juli 2006
Der Beschwerdeführer, der sich in Sicherungsverwahrung befindet, stand im – nicht erhärteten -Verdacht, einen im Freizeitraum der Justizvollzugsanstalt befindlichen Billardtisch durch eine farbige Flüssigkeit beschädigt zu haben. Der Leiter der Anstalt ordnete wegen erheblicher Unruhe, die unter den Mitgefangenen wegen der Sachbeschädigung entstanden sei, die Verlegung des Beschwerdeführers in eine andere Justizvollzugsanstalt an. Das Landgericht bestätigte die Anordnung. Es sei vertretbar gewesen, den Beschwerdeführer zu seinem eigenen Schutz und zur Wiederherstellung der Ordnung in eine andere Anstalt zu verlegen. Ob der Beschwerdeführer zu Recht beschuldigt worden sei, sei ohne Belang, da die Verlegung primär darauf beruhe, dass andere Sicherungsverwahrte ihn als Verursacher angesehen hätten und hierdurch eine erhebliche Unruhe mit der Gefahr von Übergriffen eingetreten sei.
Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde war erfolgreich. Die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts hob die angegriffene Entscheidung auf, da sie den Beschwerdeführer in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht verletze. Es laufe den Grundsätzen rechtsstaatlicher Zurechnung zuwider, wenn Maßnahmen zur Abwehr drohenden rechtswidrigen Verhaltens nicht vorrangig gegen die Störer, sondern ohne weiteres – und in Grundrechte eingreifend – gegen den von solchem rechtswidrigen Verhalten potentiell Betroffenen ergriffen werden. (Hervorhebung von crh.)
Der Entscheidung liegen im Wesentlichen folgende Erwägungen zu Grunde:
Die Verlegung eines Strafgefangenen oder Sicherungsverwahrten in eine andere Anstalt ohne seinen Willen kann für ihn mit schwerwiegenden Beeinträchtigungen verbunden sein. Alle seine innerhalb der Anstalt entwickelten sozialen Beziehungen werden praktisch abgebrochen. Der unter den Bedingungen des Anstaltslebens schwierige Aufbau eines persönlichen Lebensumfeldes muss von neuem begonnen werden. Die Verlegung kann darüber hinaus auch die Resozialisierung des Strafgefangenen beeinträchtigen und berührt somit auch den grundrechtlichen Anspruch auf einen Strafvollzug, der auf das Ziel der Resozialisierung ausgerichtet ist.
§ 85 des Strafvollzugsgesetzes, der auf Sicherungsverwahrte entsprechend anzuwenden ist, ermöglicht eine Verlegung des Strafgefangenen nur für den Fall, dass in erhöhtem Maße Fluchtgefahr gegeben ist oder sonst das Verhalten oder der Zustand des Gefangenen eine Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung der Anstalt begründet. Nach den Feststellungen des Landgerichts wurde der Beschwerdeführer allein deshalb verlegt, weil andere Sicherungsverwahrte den Antragsteller als Verursacher der Beschädigung ansähen und hierdurch eine erhebliche Unruhe sowie die Gefahr einer Eskalation mit dem latenten Risiko von Übergriffen auf den Beschwerdeführer entstanden seien. Es kann offen bleiben, ob der Umstand, dass ein Sicherungsverwahrter von Mitinsassen der Anstalt eines bestimmten Verhaltens verdächtigt wird, als ein sicherheits- und ordnungsgefährdender Zustand dieses Sicherungsverwahrten aufgefasst werden kann. Denn jedenfalls ist es mit den Grundsätzen rechtsstaatlicher Zurechnung unvereinbar, wenn die Gefahr, dass bestimmte Personen sich in rechtswidriger Weise verhalten, nicht im Regelfall vorrangig diesen Personen zugerechnet und nach Möglichkeit durch ihnen gegenüber zu ergreifende Maßnahmen abgewehrt wird, sondern ohne Weiteres Dritte oder gar die potentiellen Opfer des drohenden rechtswidrigen Verhaltens zum Objekt eingreifender Maßnahmen der Gefahrenabwehr gemacht werden. Rechtsstaatliche Zurechnung muss darauf ausgerichtet sein, nicht rechtswidriges, sondern rechtmäßiges Verhalten zu begünstigen. Dem läuft es grundsätzlich zuwider, wenn, wie im vorliegenden Fall, Maßnahmen zur Abwehr drohenden rechtswidrigen Verhaltens nicht vorrangig gegen den oder die Störer, sondern ohne weiteres – und in Grundrechte eingreifend – gegen den von solchem rechtswidrigem Verhalten potentiell Betroffenen ergriffen werden. Besondere Umstände, die ein derartiges Vorgehen ausnahmsweise rechtfertigen könnten, sind weder geltend gemacht noch ersichtlich.
Die Maßnahme ist zudem unverhältnismäßig. Zu der Frage, welche Versuche gemacht wurden, der entstandenen Unruhe durch Maßnahmen entgegenzutreten, die die Rechte des Beschwerdeführers nicht oder in geringerem Ausmaß berühren, wurden nähere Feststellungen nicht getroffen.
Beschluss vom 27. Juni 2006 – 2 BvR 1295/05 –
Es ist immer wieder bedauerlich, daß erst das Bundesverfassungsgericht solche Hau-Ruck-Methoden der Gefängniswärter stoppen muß.