Monatsarchive: Oktober 2007

76 Euro für einen Tag Haft

Bei einem Banküberfall im Jahre 1991 hatte eine automatische Überwachungskamera mehrere Lichtbilder des Täters gefertigt, die später zur Festnahme des Klägers führten.

Im Rahmen des gegen ihn eingeleiteten Ermittlungsverfahrens wurde der Beklagte als Sachverständiger beauftragt, ein anthropologisches Vergleichsgutachten zu erstellen. Dabei waren die von der automatischen Überwachungskamera der Bank angefertigten Fotos sowie von dem Sachverständigen angefertigte Vergleichsbilder von dem Kläger auf ihre Übereinstimmung zu untersuchen.

Der Beklagte kam zu dem Ergebnis, dass der Kläger „mit sehr großer Wahrscheinlichkeit“ mit der Person auf den Täterbildern identisch sei. In der Strafverhandlung hatte er sich sogar dahingehend geäußert, dass für ihn an der Täterschaft des Klägers keinerlei Zweifel bestünden. Nach seiner Berufserfahrung sei es unvorstellbar, dass eine andere Person als Täter in Betracht komme. Aufgrund dieses Gutachtens wurde der Kläger wegen des Überfalls auf die Sparkasse zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.

Kurz nach seiner Haftentlassung wurde die Tat jedoch von dem wirklichen Täter gestanden, der mittlerweile auch rechtskräftig verurteilt worden ist.

Quelle: Pressemeldung des Oberlandesgericht Frankfurt am Main

Insgesamt hat der Mann 1973 lange Tage unschuldig im Knast verbracht, das sind rund 280 Wochen, 65 Monate oder deutlich über fünf Jahre. Dafür hält das OLG 150.000 Euro Schmerzensgeld für angemessen.

Ich glaube, da wird auch der (ehemalige) Verteidiger des Verurteilten nachdenklich werden, ob ihm da nicht ein paar Fehler unterlaufen sein könnten. Es gehört zu den schwierigsten Aufgaben im Rahmen einer Verteidigung, ein Gericht davon zu überzeugen, daß ein Sachverständigengutachten falsch ist und nicht zur Grundlage einer Verurteilung gemacht werden darf. Es ist für ein Gericht sehr bequem, sich in den Gründen für eine Verurteilung auf die „überzeugenden“ Ausführungen des Sachverständigen zu beziehen. Oftmals hatte ich den Eindruck, nicht das Gericht entscheidet das Verfahren, sondern der Gutachter. Es ist zu hoffen, daß sich der Verteidiger darüber Gedanken gemacht hat.

Und wie wird sich nun das Gericht fühlen, das den Mann unschuldig in den Knast geschickt hat? Warum hat das Gericht nicht erkannt,

dass das Gutachten grob fahrlässig fehlerhaft erstattet wurde. Zwar sei das schriftliche Gutachten noch nicht grob fehlerhaft. Eine grob fahrlässige Fehlerhaftigkeit der Begutachtung folge jedoch aus den Äußerungen des Sachverständigen in der Hauptverhandlung vor der Strafkammer, weil er dort nicht mehr nur eine „sehr hohe Wahrscheinlichkeit“ der Täterschaft, sondern das Bild einer von Restzweifeln befreiten Sicherheit vermittelt habe.

Die Darstellung seines Identifikationsergebnisses in der Hauptverhandlung habe die erforderliche Differenzierung und Erläuterung der Wahrscheinlichkeitsprädikate vermissen lassen und die Darstellung gegebener Zweifel zu Ausschlussmerkmalen verabsäumt. Wenn aber Zweifel angezeigt seien, müsse der Gutachter diese Zweifel auch deutlich machen. Stattdessen habe der Sachverständige jegliche Zurückhaltung aufgegeben und eine nahezu 100%ige Wahrscheinlichkeit der Täteridentität assistiert. Der Beklagte habe somit naheliegende und von dem wissenschaftlichen Standard gebotene Überlegungen nicht beachtet. Dieser Fehlerhaftigkeit komme objektiv ein besonderes Gewicht zu, da vom Ergebnis des Vergleichsgutachtens entscheidend abhing, ob der Kläger eine mehrjährige Freiheitsstrafe zu verbüßen hat. Es sei eine wichtige Aufgabe des Sachverständigen, die Grenzen der anthropologisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse deutlich zu machen.

Schadenersatz auch von den Richtern, die den Mann verurteilt hat?

Update:
Bei Wikipedia gibt es ergänzende Informationen.
Und die Hessenschau berichtet auch über den Fall.

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Rechtsberatung online

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Wenn das mal gutgeht.

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Überdacht

Wir kämpfen seit Mitte des Jahres gegen den Vorwurf der Bußgeldbehörde, die meint, unser Mandant sei zu schnell gefahren und deswegen müsse er nun 1 Monat laufen oder Bus bzw. Fahrrad fahren.

Dazu haben wir bereits umfangreich bei der Bußgeldstelle vorgetragen, Beweisanträge gestellt und in Eigenregie ein Gutachten eingeholt. Unser Sachverständiger bestätigt, daß die Geschwindigkeitsmessung nicht sauber durchgeführt wurde. Wir haben bereits die Frage nach der Verwertbarkeit der Messung wegen Fehlbedienung des Gerätes durch die Polizeibeamten gestellt.

Nun bekommen wir die Ladung zum Termin vor dem Amtsgericht. Damit haben wir gerechnet. Der Mandant bekommt auch eine Ladung. Auf dieser Ladung gibt der Richter unserem Mandanten einen Hinweis:

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Da der Richter die Akte kennt, wird er wissen, daß wir uns eine ganze Menge Gedanken gemacht haben. Da der Richter unsere Kanzlei kennt, wird er wissen, daß wir wissen, was wir tun, wenn wir einen Einspruch einlegen und Beweisanträge stellen.

Ich überlege daher, was er mit dem Hinweis auf die Überdachung meinen könnte.

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Die Kosten des Gutachtens trägt der Rechtsschutz-Versicherer

Der Ducatisto wird angehalten, weil der Polizeibeamte ein empfindliches Gehör hat. Ihm ist das markante Geräuschgemisch aus Ansaugen, Verbrennen, Kupplungsrasseln und Auspuffen suspekt.

Weil der Moppedfahrer aufmerksamer Leser unserer Website ist, wußte er, daß er gegen die Sicherstellung seiner Duc keine Chance hat; die schöne Italienerin verschwindet in der Belziger Straße, der Fahrzeug-Sicherstellung-Stelle der Polizei Berlin.

In den dortigen Hallen hat die DEKRA eine Zweigstelle. Der Gutachter schaut sich das Mopped an und stellt fest: Luftfilter, Kupplungsdeckel, Schalldämpfer – alles in Ordnung, keine Mängel. Aber der fehlende rechte Außenspiegel und die (Halogen-)Kellermänner vorn. Das ist alles nicht orischinol und unzulässig. Also gibt es nach der Freigabe des guten Stücks ein paar Wochen später Post vom PolPräs: Ein unfreundlicher Bußgeldbescheid.

75 Euro Bußgeld, 3 Flens, ca. 25 Euro für die Zustellung des Bescheids, ca. 100 Euro für’s Abschleppen und ca. 150 Euro für das Gutachten. 350 Euro für Spiegel und Blinker??

In der Tat, das geht erst einmal so in Ordnung. Mängel sind Mängel und der Verdacht des Polizisten war nicht völlig abwegig. Der Kradler bleibt auf den Kosten sitzen.

Es sei denn, er ist versichert. Ein Rechtsschutzversicherungsvertrag ist in solchen Lebenslagen nicht das Verkehrteste. Der Versicherer hat nämlich auch die Verfahrenskosten zu tragen, und das sind sämtliche Kosten mit Ausnahme des Bußgeldes.

Man muß es nur wissen. Dann kann man es in eine geschickte Formulierung gießen und schon hat man eine Sorge weniger. Wenn man dann noch wegen des Bußgelds einen einsichtigen Richter findet, dem Kellermänner gefallen und rechte Außenspiegel an einem Youngtimer stören, ist alles gar nicht so schlimm.

Vorsicht: Es gibt Rechtsschutzversicherer, die drücken sich nicht nur (oft) um die Zahlung, sondern drücken bei dem Versicherten bei Vertragsschluß eine Selbstbeteiligung auf. Das ist bei einer Verkehrsrechtsschutzversicherung nicht sinnvoll. Concordia, Roland und D.A.S. empfiehlt unsere Kanzlei aus diesen und anderen Gründen nicht.

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Ostdeutschland

taz:

Was mögen Sie an Ostdeutschland?

Küppersbusch:

Berlin

Quelle: taz

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Pechvogel

Vor ein paar Wochen kommt der Mandant mit einem Unfall zu uns. Die Haftungslage ist kompliziert und nicht eindeutig. Insgesamt sieht es wohl so aus, daß er einen Teil des Schaden wegen Mitverschuldens selbst tragen wird. Die Frage war also „nur“ noch, wie groß der Teil ausfallen wird.

Er möchte daher erst einmal keinen Sachverständigen beauftragen, den Gesamt-Schaden an seinem Motorrad zu schätzen. Denn wenn der Unfallgegner den Schaden nicht ersetzt, bliebe der Mandant auch auf den Kosten für den Sachverständigen sitzen. Er hat daher eine Notreparatur vorgenommen, um weiterfahren zu können.

Heute rief der Mandant an und teilte mit, daß er mit dem Motorrad selbstverschuldet gestürzt sei.

Um nun den Schaden, der bei dem ersten Unfall verursacht worden ist, beziffern zu können, braucht er keinen Gutachter mehr. Sondern einen Hellseher.

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Literatur für lange Winterabende

Wer viel Zeit hat und nicht weiß, wie er sie totschlagen soll, der kann sich bei unserer freundlichen Senatsverwaltung ein wenig Lesestoff abholen. Zum Beispiel über das Jahrhundertwerk namens Feinstaubverordnung.

Vorschriften und Merkblätter gibt es, na klar. In mehreren Sprachen. Eine Kennzeichenverordnung auch. Und natürlich Antragsformulare, freiwillige und unfreiwillige Vordrucke, Pläne, wichtige Berichte …

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Was Senatsverwaltungen können, können nur Senatsverwaltungen. Mit unseren Steuergeldern.

Warum ich mich darüber ärgere? Weil ich diesen Müll durcharbeiten muß, wenn ich die Kanzlei-Wanne behalten will.

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Der Berlin – Marathon …

… ist wie eine Stadtrundfahrt, nur zu Fuß.

Quelle: Unbekannter Sportkommentator

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