Verurteilung auf Teufel komm raus

Dem Angeklagten wurde vorgeworfen, grob verkehrswidrig und rücksichtslos überholt zu haben. Vier Zeugen bestätigten aber, daß er überhaupt nichts mitbekommen hatte von dem (folgenlosen) Fahrfehler, den er da beim Spurwechsel begangen hatte. Auch der Richter signalisierte, daß das Verhalten des Mandanten allenfalls für eine Ordnungswidrigkeit gut wäre; die allerdings war verjährt.

Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft hatte während der Sitzung fleißig mitgeschrieben. Dann wurde die Sitzung unterbrochen und ein zweiter Verhandlungstag anberaumt; es waren noch Nachermittlungen erforderlich.

Am zweiten Verhandlungstag ergab sich nichts Neues, die Beweisaufnahme wurde geschlossen. Ein anderer Staatsanwalt, der am ersten Verhandlungstag nicht teilgenommen hatte und daher auf die Aufzeichnungen seines Kollegen angewiesen war, plädierte umfangreich. Er trug vor, daß die Beweisaufnahme eindeutig und unzweifelhaft den Anklagevorwurf bestätigt hätte. Deswegen sei der Angeklagte zu bestrafen. Eine Geldstrafe reiche hier nicht mehr, es müsse schon eine Freiheitsstrafe sein. Und die Entziehung der Fahrerlaubnis mit Sperre für die Wiedererteilung. Und überhaupt, das Böse ist immer und überall!

Der Verteidiger plädierte kurz: Extrem schlampige Ermittlungen, inkompetente Vertretung der Anklage und übertriebener Jagdinstinkt der Staatsanwaltschaft können das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht beeinflussen. Freispruch beantragt und bekommen.

Nächste Woche wird das Urteil rechtskräftig, wenn nicht ein dritter Staatsanwalt die Akte in die Finger bekommt und eine Berufung einlegt. Ich rechne mit allem.

Das ist genau der Weg, auf dem man mit großer Sicherheit das letzte Quäntchen Loyalität des Bürgers gegenüber „seinem“ Staat vernichtet.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

5 Antworten auf Verurteilung auf Teufel komm raus

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    RA JM says:

    Eben typisch StA, die Kavallerie der Justiz – schneidig, verwegen und unheimlich …. :-(

  2. 2
    RA Kuemmerle says:

    Da fällt mir spontan ein Zitat ein: „[…] die Parteistellung der Staatsanwaltschaft ist durch unsere Prozeßordnung besonders verdunkelt worden. Durch die Aufstellung des Legalitätsprinzips, durch die dem Staatsanwalt auferlegte Verpflichtung in gleicher Weise Entlastungs- wie Belastungsmomente zu prüfen, könnte ein bloßer Civiljurist […] zu der Annahme verleitet werden, als wäre die Staatsanwaltschaft nicht Partei, sondern die objektivste Behörde der Welt.“ – Franz von Liszt, Vortrag vor dem Berliner Anwaltsverein am 23. März 1901 (http://de.wikiquote.org/wiki/Justiz)

  3. 3
    Ein Sitzungsvertreter der StA says:

    @1: Ich hab da irgendwie ein anderes Selbstverständnis; aber ich bin ja auch nur ein kleiner Referendar, der als günstige Alternative den lästigen Sitzungsdienst erledigen darf… Ich habe jedenfalls überhaupt kein Problem damit, wenn sich das Plädoyer der Verteidigung auf „Ich schließe mich den Ausführungen des Herrn Staatsanwalts vollumfänglich an.“ beschränkt. Ich muss nicht zwanghaft eine Verurteilung herbeiführen; wenn ich nicht überzeugt bin, ist es das Gericht im Zweifel auch nicht, und dann gibt es eben einen Freispruch.

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    doppelfish says:

    Wäre es denn zu verwegen, sich dem Ergebnis der Beweisaufnahme anzuschliessen?

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    Kaukomieli says:

    @doppelfish:

    Kurze Antwort: Ja.

    Lange Antwort: Es gibt zum Zeitpunkt der Plädoyers noch kein „Ergebnis“ wie man es aus der Mathematik kennt. Statt dessen waren Staatsanwaltschaft, Verteidiger und Gericht bei der Beweisaufnahme zugegen. Staatsanwaltschaft und Verteidigung haben jeweils für sich ein Ergebnis – und das wird im Plädoyer vorgetragen, die einzelnen Beweise umfassend gewürdigt, rechtlich bewertet und damit der entsprechende Antrag begründet.
    Anschließend entscheidet das Gericht und stellt fest wie nach seiner Ansicht „das Ergebnis“ der Beweisaufnahme ist, wobei Verteidigung und StA das anders sehen können und Rechtsmittel einlegen.

    Leider legen die Kollegen bei der Staatsanwaltschaft (ebenso wie so mancher Verteidiger) gelegentlich nicht die gebotene Nüchternheit an den Tag.