Monatsarchive: September 2008

Sie sitzt

Anruf auf der Geschäftsstelle des Amtsgerichts:

Verteidiger
Ich rufe an in der Sache 123 Ds 456/08 und möchte gern mit Frau Richterin Brause sprechen.

Geschäftsstelle
Tut mir Leid. Frau Brause sitzt.

Verteidiger
Huch. Dann brauche ich einen Sprechschein.

Geschäftsstelle
[lacht laut] … oder Sie versuchen es heute nachmittag nach 15 Uhr nochmal. Ihre Durchwahl lautet …

3 Kommentare

Spaß an der Arbeit

Nachdem ich den Mann ganz höflich gefragt habe, wie er sich die Finanzierung seiner Verteidigung vorstellt, wollte er nicht mehr:

… sollte ich auch noch erwähnen, dass ich einen Anwalt suche der Spaß an seiner diesbezüglichen Arbeit hat und nicht nach rein monetären Gesichtspunkten arbeitet.

Ich habe großen Spaß an meiner Arbeit (sonst würde ich den Beruf wechseln und Gebrauchtwagen verkaufen). Aber ich möchte mir gern auch mal eine Scheibe Wurst kaufen können … Und: Ich heiße nicht Mutter Theresa.

6 Kommentare

Keine Menschenrechte bei der taz

Das Landgericht Berlin verurteilte heute Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth zu vierzehn Monaten Freiheitsstrafe, die nicht zur Bewährung ausgesetzt wurden. Der Vorwurf lautete Betrug. Geschädigte soll die linke Tageszeitung taz gewesen sein. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.

Gleichwohl will der Autor eines Artikel in der taz, Herr Mathias Broekers, den Verurteilten unmittelbar nach der Verkündung des Urteils wohl am liebsten sofort in ein Zuchthaus gesteckt wissen:

Zur Überraschung der Prozessbeobachter wurde er im Sitzungssaal nicht verhaftet.

schreibt der mit gesundem Volksempfindung offenbar gut ausgestattete taz-Schreiberling am Schluß seines stimmungsvollen Prozeßberichts.

Es gibt eine ganz vernünftige Regel unter Rechtsanwälten, ganz besonders bei Strafverteidigern: In eigenen Angelegenheit sollte ein Jurist nicht sein eigener Anwalt sein: Wer als Anwalt sich selbst vertritt, hat einen Narren zum Mandanten und einen Dilettanten als Vertreter.

Auf den vorliegenden Fall übertragen heißt das: Dieser taz-Schreiber hätte gut daran getan, einem Kollegen vom Tagesspiegel, der Morgenpost oder eines anderen Blatts die Berichterstattung zu überlassen. Dilettanten und Narren gibt es also nicht unter Juristen.

Das, was in der taz zu lesen ist, ist nicht nur handwerklich schlecht erarbeiteter Mist. Darüber hinaus setzt sich das linke (!) Blatt über Rechte hinweg, die die Europäische Menschenrechtskonvention auch für einen Rechtsanwalt Günter Freiherr von Gravenreuth formuliert.

Liebe taz-Redakteure: Moral ist etwas ganz Wichtiges, nicht? Das braucht Ihr gleich doppelt!

PS:
Wie gut informierte Kreise berichteten, soll Herr von Gravenreuth sich in der ersten Instanz (teilweise) selbst verteidigt haben.

20 Kommentare

Verzweifelung

Die Lebenspartnerin meiner Mandantin schreibt mir:

Eidesstattliche Versicherung

Ich, Wilhelmine Brause, geb. am 12.6.1959 in Frankfurt /M., sichere Herrn RA Hoenig, Paul-Lincke-Ufer 42/43, 10999 Berlin, ein Honorar in Höhe von 5.000,00 Euro zu für den Fall, daß er Frau Beate Bullmann in ca. 14 Tagen ab heute in Freiheit bringt.

Schade, daß sich manche Wünsche nicht erfüllen lassen.

6 Kommentare

…. dann ruft ja jeder hier an

Ich möchte über die Telekom mit meinem Laptop ins UMTS-Netz. Dafür habe ich das „web’n’walk Connect“ Paket bestellt. Und telefonisch alle Daten angegeben, die die Dame an der Bestell-Hotline von mir haben wollte.

Heute bekomme ich eine eMail von der Telekom:

Sehr geehrter Herr/Frau Hoenig,
vielen Dank für Ihr Vertrauen in T-Mobile.
Anbei übersenden wir Ihnen Informationen zur Ihrer persönlichen T-Mobile Bestellung.

Die eMail enthielt eine Datei im pdf-Format als Anlage. Darin hieß es:

vielen Dank für Ihre Bestellung bei T-Mobile. Als wir Ihren Auftrag bearbeiten wollten, haben sich Rückfragen zu Ihren persönlichen Daten ergeben.
Wir möchten Ihren Auftrag umgehend ausführen. Bitte rufen Sie uns doch unter 0180 5 726252* an, damit wir die fehlenden Daten ergänzen können.

Ich habe den Mitarbeiter der Hotline gefragt, warum für Rückfragen, die die Telekom an ihren (potentiellen) Kunden hat, eine teure 01805er Nummer angegeben wird.

Wenn der Anruf kostenlos wäre, ruft hier dann ja jeder an …

Das nenne ich mal eine echt tolle Einstellung! Wenigstens ist dieser freche Flegel an der Hotline ehrlich.

Dann hat er mich gefragt, was das „R.“ in meinem Namen bedeutet. Mehr war nicht zu klären.

Nebenbei:
Unsere Mandanten können uns über eine kostenlose 0800er Nummer erreichen.

8 Kommentare

Keine Langeweile

Der Tag fing ganz langsam an, aber dann …

9:45 Uhr
Eine Mandantin soll als Zeugin vernommen werden. Sie ist vorsichtig, weil sie unter Bewährung steht. Ein falsches Wort und die Bewährung könnte widerrufen werden, befürchtet sie. Deswegen komme als Beistand mit zur Staatsanwaltschaft.

10:30 Uhr
Besuch in der Untersuchungshaftanstalt. Der Mandant, den man vorwirft, im Suff einem anderen Menschen ins Gesicht getreten zu haben, weint und fürchtet sich vor dem Maßregelvollzug. Der zweite Mandant weint, weil die Aussichten beim Haftprüfungstermin am nächsten Tag wohl eher schlecht sind. Der Dritte beantwortet meine Frage, welche Sprache seine Mutter gesprochen hat, das wisse er nicht, er sei im Krieg und auf der Straße aufgewachsen.

13:00 Uhr
Mittagspause im Curry 36. Eigentlich lecker. Mir ist trotzdem schlecht.

13:30 Uhr
Haftbefehlsverkündung beim Bereitschaftsgericht. Die Mandantin ist eigentlich ganz gefaßt. Sie weint wegen ihrer Hunde. Einer sei ganz dick; aber nicht weil er zu viel ißt; er habe eine Hormonstörung.

15.00 Uhr
Der Mandant kommt auf eine Tasse Caffè vorbei, um sich über den Sachstand zu informieren und die weitere Strategie abzusprechen. Man wirft ihm vor, seine Ehefrau getötet zu haben. Er fürchtet sich vor einer Verhaftung und weint, weil seine 3-jährige Tochter traumatisiert ist.

16.00 Uhr
Die Tochter, die geschiedene Ehefrau und die Lebenspartnerin eines tödlich verunglückten Motorradfahrers wollen sich über ihre Ansprüche gegenüber der Unfallgegnerin informieren. Trotz des traurigen Anlasses weint niemand.

17:00 Uhr
Telefonat mit einem Vater, dessen 18-jähriger Sohn eine alte Frau totgefahren hat und dabei selbst tödlich verletzt wurde. Der Vater meint, die Frau sei alkoholisiert gewesen, sonst wäre sie dem Sohn doch nicht vor’s Motorrad gelaufen. Und er fürchtet, in Haftung genommen zu werden, weil der Sohn keine Fahrerlaubnis für die 160 PS hatte.

17:30 Uhr
Die Arbeit unterschreiben, die die Mitarbeiterinnen tagsüber gemacht haben.

18:00 Uhr
Mir reicht’s ich fahr‘ nach Hause. Helm auf und abschalten? Das klappt heute nicht ganz …

7 Kommentare

… jede Menge Verkehr

Ich muß schon sagen, wir Berliner Strafverteidiger haben es gut. Wenn Mandanten verhaftet werden, wird der Haftbefehl wird beim Bereitschaftsgericht am Tempelhofer Damm verkündet. Die Untersuchungshaft wird im Moabiter Kriminalgericht vollstreckt, wo später dann auch Haftprüfungen und die Hauptverhandlungen stattfinden. Kanzlei, Bereitschaftsgericht, Untersuchungsgefängnis und Gericht der Hauptsache – alles im Umkreis von weniger als 10 km.

Anders sieht das in Brandenburg (und wohl auch in allen anderen Flächenstaaten) aus. Die Mandantin wurde in Berlin verhaftet. Die Verkündung des Haftbefehls des Amtsgerichts Neuruppin fand im Berliner Bereitschaftsgericht statt. Dann wurde die Mandantin in die JVA Luckau-Duben verschubt.

Der Termin zur mündlichen Haftprüfung findet in Neuruppin statt. Dann wird die Mandantin im Schubbus 164 km hin zum Gericht und 164 km wieder zurück in die JVA chauffiert transportiert. Und wenn dann die Hauptverhandlung mit mehreren Verhandlungstagen beginnt, gibt es jede Menge Verkehr.

Und warum sperrt man die Mandantin nicht in Neuruppin ein? Weil es in Brandenburg nur eine Justizvollzugsanstalt für Frauen gibt. Eben die in Luckau-Duben.

Non obiter dictum:
Für Untersuchungsgefangene gehört Besuch von Angehörigen und Verteidiger zu den Highlights im Knastalltag … wenn dann bei den Familien das Geld knapp ist, kann es auch nicht für Reisen im Lande ausgegeben werden. Und es gibt nicht viele Verteidiger, die es sich leisten können, einen halben Arbeitstag auf der Straße zu verbringen.

2 Kommentare

Vermögensverwalter

„Und wie stellen Sie sich die Finanzierung Ihrer Verteidigung vor?“ habe ich den Beschuldigten gefragt. „Kein Problem, wenden Sie sich einfach an meinen Vermögensverwalter.“ erwiderte der Mandant.

Aha, Vermögensverwalter. Ich war neugierig und habe dann mal bei ihm angerufen. Der Vermögensverwalter prustete ins Telefon, als ich ihm den Grund meines Anrufes mitteilte.

4 Kommentare

Vergeigt

Der Mandant hatte sich 2 Jahre und 4 Monate beim Amtsgericht gefangen. Während einer offenen Bewährung; dort stand noch eine Reststrafe von 1 Jahr und 3 Monaten offen. Insgesamt also eine echt düstere Perspektive. Das war vor etwa einem Jahr.

Gegen das Amtsgerichtsurteil haben wir Berufung eingelegt. Dem Mandanten habe ich eindringlich nahegelegt, sich während der Zeit bis zur Berufungsverhandlung um die Stabilisierung seiner Verhältnisse zu bemühen. Dann könnten wir es vielleicht schaffen: 4 Monate weniger und die Freiheitsstrafe könnte – theoretisch zumindest, § 56 II StGB – nochmal zur Bewährung ausgesetzt werden.

Dann kam der Bewährungswiderruf in der „alten“ Sache. Dagegen haben wir uns beschwert. Und das Oberlandesgericht (OLG), das über die Beschwerde zu entscheiden hat, zum Stillhalten bewegt. Die Oberlandesrichter wollten die Berufungsentscheidung abwarten. Die Perspektive für den Mandanten besserte sich wieder.

Die Vorgespräche mit dem Vorsitzenden des Berufungsgericht verliefen auch erfreulich. Er fand die Entscheidung des Amtsgerichts doch etwas heftig. Es hellte sich also weiter auf.

Die Hürde bestand nun „nur“ noch in dem Widerstand der Staatsanwaltschaft. Den wollten wir brechen mit dem „neuen Leben“ des Mandanten seit seiner Verurteilung: Fortbildung und konkrete Vorbereitung der Einrichtung eines kleinen Unternehmens, behördlich für gut befunden und vom „Arbeitsamt“ unterstützt; einer Inanspruchnahme weiterer Förderungsprogramme stand auch nichts mehr im Wege. Und oben drauf auch noch eine funktionierende Ehe mit einer ganz sympatischen Frau.

Mit Optimismus bin ich zum Landgericht gefahren. Die 2 Jahre zur Bewährung waren greifbar nah. Und damit auch die Entscheidung des OLG, in der alte Sache die Bewährung nicht zu widerrufen. Es hätte echt gut laufen können …

… wenn der Mandant nicht zwischenzeitlich wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu 6 Monaten Freiheitsstrafe verurteilt worden wäre. Stolz zeigte er mir auf dem Flur des Landgerichts das Urteil. Ganz allein und ohne Verteidiger habe er es geschafft, daß diese 6 Monate zur Bewährung ausgesetzt wurde.

Nicht berücksichtigt hatte er aber, daß diese Freiheitsstrafe mit den 2 Jahren und 4 Monaten zur Gesamtstrafe zusammengerechnet werden; der Bewährungsbeschluß eignet sich nur fürs Familienalbum. Und um darauf zu hoffen, von den (addierten) 2 Jahren, 10 Monaten doch noch auf bewährungsfähige 2 Jahre runter zu kommen, braucht man schon mehr als meinen Optimismus.

Und dann legte die Staatsanwältin auch noch einen nach. Und einen druckfrischer Auszug aus dem Bundeszentralregister auf den Tisch: Wegen vier Schwarzfahrten („Erschleichen von Leistungen“) hat es von einem anderen Amtsgericht eine Geldstrafe von 65 Tagessätzen gegeben. Ebenfalls ohne Verteidiger.

Herzlichen Glückwunsch! Das war’s dann endgültig mit der Strafaussetzung zur Bewährung. Mehr als eine Paketlösung, bei der das Sonderangebot von 2 Jahre und 7 Monate herauskam, war jetzt nicht mehr drin. Dazu kommt noch der Bewährungswiderruf des OLG, der jetzt so sicher wie das Amen in der Kirche ist.

Macht 3 Jahre und 10 Monate. Das sieht nicht gut aus für die stabilen Verhältnisse.

Manchen Leuten ist einfach nicht zu helfen.

Noch eine Anmerkung zum Schluß:
Mit etwas Engagement hätte es gelingen müssen, die beiden weiteren Verfahren, in denen der Mandant auf die Hinzuziehung eines Verteidigers verzichtet hatte, zu einem anderen Ende als zu einer Verurteilung zu bringen. Beide Fälle waren Fälle „notwendiger Verteidigung“, er hätte also jeweils einen Pflichtverteidiger bestellt bekommen, den er erst einmal nicht hätte bezahlen müssen. Ich glaube, da beißt sich heute jemand in den Hintern. Aber richtig.

6 Kommentare

Haftbefehlsverkündung

Die Verkündung eines Haftbefehls ist meist eine recht flotte Sache. Ich plane für den Termin beim Haftrichter meist nicht mehr wie zwanzig Minuten ein.

15 Uhr, wir waren gut in der Zeit. Der (Berliner) Richter begann, den Haftbefehl aus einer Mittelstadt in Brandenburg zu verlesen. Auf Seite 3 (von 7) war’s dann vorbei. Das Brandenburger Gericht hatte diese Seite am Vormittag nicht durchs Fax bekommen.

Kein Problem, dachte sich der Richter. Man ruft einfach beim Gericht in Brandenburg an, dort legt man das Original aufs Fax und gut is. Doch ein Problem, meint der Verteidiger, der schon häufiger mit Gerichten und Staatsanwaltschaften in Brandenburg zu tun hatte.

Und genau so kam es. Geschlagene 90 Minuten hat es gedauert, bis die richtige Stelle in Brandenburg („… ich bin dafür nicht zuständig, das macht Frau Brause; die ist aber schon im Feierabend …“) endlich gefunden und die richtige Stelle das Faxgerät gefunden („dann muß ich aber jetzt erstmal rüber gehen und den Schlüssel holen“) und angeworfen hat.

Zeit genug für Richter, Mitarbeiterin der Geschäftsstelle und Verteidiger für small talk, Höflichkeiten und Geschichtchen aus dem prallen Leben. Während die Mandantin in einer zwei (!) Quadratmeter großen fensterlosen Vorführzelle unter künstlichem Licht auf einer Steinbank sitzt und wartet.

11 Kommentare