Monatsarchive: Dezember 2008

Rechtsmittelverzicht

Nach seiner Verurteilung wegen schwerer Brandstiftung vor dem Landgericht Memmingen (Bayern) hat ein 50 Jahre alter Mann am Montag einen Selbstmordversuch unternommen. Nach Angaben der Polizei in Kempten schoss sich der Mann nach der Urteilsverkündung mit einem Schießkugelschreiber – einer Waffe, die wie ein Kugelschreiber aussieht – in den Kopf und verletzte sich lebensgefährlich.

Quelle: Tagesspiegel

Sechs Jahre und drei Monate hatte das Gericht geurteilt. Hoffentlich kein Fehlurteil.

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Knackige Amtsanwältin

Es ging um eine Auseinandersetzung in einer Gaststätte. In Neukölln, Silbersteinstraße. Sonntagsmorgens um 6:30 Uhr. Über den Alkoholgehalt der Beteiligten bestehen kaum Unklarheiten, mindestens eine „2“ steht vor dem Komma.

Mein Mandant soll einer Dame einem weiblichen Gast ein Büschel Haare ausgerissen haben. Nachdem sie ein volles Glas Bier in seine Richtung entleert hatte. Zuvor wurden hochbrisante politische Themen und der Weltfrieden erörtert. Dann kam die Polizei. Und es wurde eine Akte angelegt.

Ich hatte bei der Rücksendung der mir zur Einsicht überlassenen Akte meinen Anruf bei der zuständigen Amtsanwältin angekündigt: „Zur Absprache des weiteren Verfahrens.

Heute hatte ich die Amtsanwältin am Telefon:

„Schön‘ guten Tach, ich rufe an in der Sache gegen Wilhelm Brause, 3032 PLs 12345/08, und wollte …“

„HERR VERTEIDIGER, für solche Sachen, die sich in der Neuköllner Eckkneipenszene sonntagsfrüh um halb sieben abspielen, bin ich nicht zuständig. Ich habe das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, der Bescheid ist zu Ihnen unterwegs. Haben Sie sonst noch Fragen?“

„Besten Dank, Frau Amtsanwältin. Es war mir eine große Freude, mit Ihnen zu telefonieren. Bis demnächst wieder mal … Ciao!“

„Tschüß.“

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Haftung beim Überholen

Stößt ein Motorradfahrer, der bei unklarer Verkehrslage überholt, mit einem Pkw zusammen, der nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegt, so haften beide Unfallbeteiligte je zur Hälfte für die entstandenen Schäden.

entschied das OLG Düsseldorf am 10.3.2008 (Az: 1 U 175/07)

Aus den Gründen:

…Entgegen dem LG trifft den Kläger neben der – im Hinblick auf die hohe Geschwindigkeit von mindestens 80 km/h ohnehin erhöhte – Betriebsgefahr seines Motorrades ein unfallursächliches Verschulden, weil er den Pkw in einer unklaren Verkehrssituation überholt hat, § 5 III Nr.1 StVO.

Dieser Mitverantwortungsanteil wiegt im Vergleich mit dem von dem LG beanstandungsfrei festgestellten Verschulden der Beklagten – Verstoss gegen die Rückschaupflicht aus § 9 I S.4 StVO – und der Betriebsgefahr des von ihr geführten Pkw ähnlich schwer, so dass eine gleichmässige Haftungsverteilung geboten ist….

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Fiskalische Strafzumessung

Bei einer Steuerhinterziehung ist die Höhe des Hinterziehungsbetrags ein Strafzumessungsumstand von besonderem Gewicht. Der Steuerschaden bestimmt daher auch maßgeblich die Höhe der Strafe.

Das schrieb der 1. Senat des Bundesgerichtshofes in sein Urteil vom 2. Dezember 2008 – 1 StR 416/08. Etwas anderes formuliert ein altes Gesetz:

§ 46 Grundsätze der Strafzumessung

(1) Die Schuld des Täters ist Grundlage für die Zumessung der Strafe. Die Wirkungen, die von der Strafe für das künftige Leben des Täters in der Gesellschaft zu erwarten sind, sind zu berücksichtigen.

(2) Bei der Zumessung wägt das Gericht die Umstände, die für und gegen den Täter sprechen, gegeneinander ab. Dabei kommen namentlich in Betracht:

die Beweggründe und die Ziele des Täters,
die Gesinnung, die aus der Tat spricht, und der bei der Tat aufgewendete Wille,
das Maß der Pflichtwidrigkeit,
die Art der Ausführung und die verschuldeten Auswirkungen der Tat,
das Vorleben des Täters, seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse sowie
sein Verhalten nach der Tat, besonders sein Bemühen, den Schaden wiedergutzumachen, sowie das Bemühen des Täters, einen Ausgleich mit dem Verletzten zu erreichen.

In § 46 StGB steht nichts davon, daß die Höhe hinterzogener Steuern die Dauer einer Freiheitsstrafe bestimmt.

Allerdings: Wenn es um das Geld des Fiskus‘ geht, kommt es ohnehin auf das Gesetz nicht an. Notfalls paßt man das Gesetz eben an die Haushaltslage an. Wobei: Der Gesetzgeber selbst traut sich nicht, bei der Abgabenordnung von einem „Gesetz“ zu sprechen.

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Jagdszenen in Neukölln

Die Jagd nach dem Rudower Bombenleger hat sich zur größten Aktion der Berliner Polizei seit Jahren ausgeweitet. „Das hatten wir in diesem Umfang seit der Fahndung nach Kaufhauserpresser Dagobert nicht mehr“, sagte Chefermittler Ingo Kexel von der 2. Mordkommission. Der flüchtige Bombenbauer hält mittlerweile hunderte Beamte aus zahlreichen Dienststellen in Atem.

berichtet Jörn Hasselmann im Tagesspiegel

„Der wird sich nicht freiwillig festnehmen lassen“, sagt Ermittler Kexel, „da bin ich mir ganz sicher.“ Eine Beurteilung der Persönlichkeit habe ergeben, dass John die Jagd auf ihn möglicherweise „spannend“ finde und mit der Polizei „spielen“ werde.

Es ist gut zu wissen, daß Ermittlungen mit allen Mitteln geführt werden. Aber ob diese Kaffeedomantie zum Erfolg führen wird …

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Geld abheben mit dem Gabelstaler

Prozess gegen einen 28-jährigen, Spandauer Russlanddeutschen, der mit zwei unbekannt gebliebenen Komplizen einen Reicheltmarkt in Reinickendorf ausgeraubt haben soll. Am 24. September 2007 durchbrachen drei Männer mit einem Gabelstapler die Glasfront des Einkaufsmarktes in der Ollenhauerstraße und rissen mit diesem einen dort befindlichen Geldautomaten mit 38.950,00 Euro potenzieller Beute aus der Wand. In der darauf folgenden Verfolgungsjagd mit der Polizei unterlagen die flüchtigen Diebe. Der verheiratete, kinderlose Heizungsbauer Michael M., der offenbar hinter einem Baum Zuflucht genommen hatte, wurde dingfest gemacht und musste sich am 25. November 2008 vor dem Berliner Landgericht verantworten.

Darüber berichtete Barbara Keller auf Berlin Kriminell.

Das eigentlich Spektakuläre ist nicht die Tat, die dem Heizungsbauer zur Last gelegt wird. Sondern die Abrede zwischen Verteidiger und Richter, die scheitert, weil der Vertretungsrichter sich an diese Abrede nicht gebunden fühlt. Dann eben nicht:

Der Angeklagte wird sich nun die Tat nach allen Regeln der Kunst nachweisen lassen. Beweise seiner Täterschaft gibt es nicht. Keine DNA-Spuren, keine Augenzeugen. Indiz ist allein seine Anwesenheit in der Nähe des Fluchtortes und sein einschlägige kriminelle Vorbelastung. Das könnte ein langwieriges, teures Verfahren werden.

(Vertretungs-)Richter sind eben unabhängig, das muß der Verteidiger einkalkulieren, wenn er einen Deal macht.

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Verteidigung ist ein einsames und undankbares Geschäft

Die Frage, wie er es über sich bringe, sich eines Täters anzunehmen, wird jedem Strafverteidiger dauernd gestellt. Und je haarsträubender die Untat, desto bohrender die Frage. Wie kann einer sich vor Gericht auf die Seite des Übeltäters schlagen? Wie kann er es wagen, die Glaubwürdigkeit eines Opfers vor aller Augen zu erschüttern? Wie kann er die Ermittlungsmethoden der Kriminalpolizei kritisieren oder am Sachverstand eines Gutachters zweifeln? Was fällt ihm ein, vor den ehrwürdigen Richtern Theater zu machen – eines Verbrechers wegen? Wie kann er Verständnis erheischen für Betrüger, Gewalttäter, Mörder? Natürlich sind sich alle Frager völlig im Klaren darüber, dass sie selbst niemals einer Straftat verdächtig sein werden. Dass sie nie in eine Situation geraten, in der nur noch einer zu ihnen hält – ihr Verteidiger.

Quelle: DIE ZEIT 20.03.2003 Nr.13

Die Zeit schreibt 2003 über den Verteidiger von Magnus Gäfgen, Rechtsanwalt Hans Ulrich Endres. Und läßt kein gutes Haar an ihm. Nicht, weil er Magnus Gäfgen verteidigt hat. Sondern, weil er ihn nicht verteidigt habe.

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Quarzsandhandschuhe weit verbreitet

„Es ist ein Unterschied, ob ich einen Gegner boxe, der sich dann nur schüttelt und mir eins auf die Nase haut. Oder ob ich ihn boxe und er danach handlungsunfähig ist.“

Die taz zitiert einen Polizeibeamten, der über den weit verbreiteten Einsatz von Quarzsandhandschuhen bei den Berliner Einsatzhundertschaften (EHU) berichtet.

Liebe Polizeibeamte, wenn Euch einer beim Einsatz dieser Handschuhe erwischt, reden wir möglicherweise über eine gefährliche Körperverletzung; Mindestfreiheitsstrafe nicht nur 3, sondern gleich 6 Monate. Das kostet unter Umständen den Job.

Polizeipräsident Dieter Glietsch liegt nicht völlig daneben, wenn er erklärt:

Für ihn seien Quarzsandhandschuhe eine Waffe: „Der einzige mir bekannte Zweck ist, anderen Verletzungen zuzufügen.“

Ein „gefährliches Werkzeug“ im Sinne des § 224 StGB sind die Dinger allemal. Das hier:

Anders als normale Handschuhe säßen die quarzsandgefüllten wie angegossen (…). „Man kann damit gut greifen und festhalten, sie sind feinfühlig und engen nicht ein“, berichtet der Beamte.

hilft bei der Verteidigung gegen den Vorwurf dann nicht wirklich. Aber die wird wohl auch nicht erforderlich werden:

Kontrollen seien nicht angeordnet worden, sagt ein Polizeisprecher.


Dank an AlterEgo für den Link.

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Sensibles Kantholz

Ich habe heute morgen einen Kollegen vertreten. Vor dem Amtsgericht in einer Zivilsache. Der Kollege soll irgendwas veröffentlicht haben, was er nach Ansicht des Klägers nicht hätte veröffentlichen dürfen.

Die Prozeßbevollmächtigte des Klägers, eine junge und engagierte Rechtsanwältin, hielt mir vor:

„Wenn Ihr Mandant auch nur ein bisschen sensibel wäre, hätte er doch wissen müssen, daß man das nicht darf.“

In meinem geistigen Auge sah ich dann das Bild des Kollegen: Ein gestandener Strafverteidiger. Und konnte nur mit Mühen ein Lachen verkneifen. Das Kantholz und ein bisschen sensibel ?! Gnnnnnihihi …

(Nebenbei: Die Klage wird abgewiesen. Aber darüber wird noch gesondert berichtet.)

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Kein Mangel, wenn’s wackelt

Weist ein neues Motorrad bei höheren Geschwindigkeiten gleichbleibende Pendelschwingungen auf, die von einem Sachverständigen zwar als unangenehm und den Komfort mindernd beschrieben, nicht aber als gefährlich eingestuft werden, so ist darin kein Mangel des Motorrads zu sehen.

So urteilte das Oberlandesgericht Hamm am 15.05.2008 (Az.: 28 U 145/07). Es ging um den Tourendampfer Honda ST 1300 (Pan-European).

Das Motorrad pendelte. Der Hersteller Honda Motor Europe (North) prüfte und gelangte man zu dem Ergebnis, dass sich das Fahrzeug in einem einwandfreien Zustand befinde und dem Stand der Serie entspreche. Im Urteil liest man:

So habe es auch bei Fahrversuchen bis in den Höchstgeschwindigkeitsbereich von ca. 240 km/h hinein keine Probleme gegeben.

Ich würde mich bedanken, bei diesen Geschwindigkeiten ständig beten zu müssen, daß es auch jetzt keine Probleme geben wird. Echt mutig, diese Tourenfahrer.

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