Das geht doch nicht!

Immer wieder sind Entscheidungen von Ermittlern und Gerichten anzutreffen, in denen es ganz deutlich wird, daß mit dem Bauch entschieden wurde, nicht mit dem Kopf.

Das Oberlandesgericht (OLG) Braunschweig entschied mit Urteil vom 12.10.2007 (Ss 64/07) über einen Computerbetrug an einer Selbstbedienungzapfsäule.

Die Angeklagte hatte einen Defekt der vollautomatischen Selbstbedienungstankstelle ausgenutzt: Wenn für Beträge zwischen 71 und 80 Euro getankt wird, werden die Betankungen vom System nicht als Treibstoffentnahme erfasst und dementsprechend auch nicht „von der Bankkarte“ abgebucht. Auf diese Weise ist die Angeklagte in den Genuß von 33 „kostenlosen“ Tankfüllungen gekommen.

Das ist so ein Fall, an dem sich Jurastudenten die Zähne ausbeißen. Kein Betrug, da keine Person getäuscht wird. Kein Diebstahl, da der Sprit ja nicht weggenommen wird – kein Bruch fremden Gewahrsams. Unterschlagung sollte es nach Ansicht der Vorinstanz auch nicht sein. Also muß es ja was anderes geben, denn laufen lassen wollte man die Angeklagte ja nicht.

Computerbetrug nach § 263a StGB soll es sein und zwar in der Variante: „Beeinflussung durch unbefugte Einwirkung auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs.“

Das Einführen der Bankkarte und das anschließende Betanken zu einem Betrag von – sagen wir mal 72,76 Euro – wird also als eine „unbefugte Einwirkung“ gewertet. Der Unterschied zwischen einem „normalen“ Tankvorgang und dem hier zur Rede stehende Vergehen findet sich im Kopf der Täterin:

Denn die Angekl. hat ihr besonderes Wissen eingesetzt und einen Defekt des Tankautomaten ausgenutzt.

„Ausnutzen besonderen Wissens“ ist also die unbefugte Einwirkung auf den Ablauf eines Datenverarbeitungsvorgangs.

Denn nach der Rechtsprechung des BGH (BGHSt 40, 331 = NJW 1995, 669 = NStZ 1995, 135) liegt ein unbefugtes Einwirken auf den Ablauf der automatischen Datenverarbeitung jedenfalls dann vor, wenn jemand mit rechtswidrig erlangtem Wissen den Programmablauf zu Lasten des Automatenbetreibers (Rechtsinhabers), dessen Willen eine maßgebliche Bedeutung zukommt, beeinflusst.

Nun denn, aber „rechtswidrig erlangtes Wissen“? Die Angeklagte hat den Defekt zufällig herausgefunden, den Automaten also nicht geknackt.

Aber auch dafür hat das OLG ein Argument:

Auf die […] Frage, wie die Angekl. zu dem das kostenlose Tanken ermöglichenden Wissen gekommen ist, kommt es vorliegend nicht entscheidend an.

Der BGH (BGHSt 40, 331 = NJW 1995, 669 = NStZ 1995, 135) hat in dem von ihm zu beurteilenden Fall zwar auf die Rechtswidrigkeit der Kenntniserlangung abgestellt, zugleich aber ausdrücklich nicht ausgeschlossen, dass der Tatbestand des Computerbetrugs auch ohne diesen Umstand gegeben sein kann.

Deutlicher kann man es eigentlich nicht sagen: Wir haben zwar nicht wirklich ein Gesetz, das paßt. Dann biegen wir das Gesetz eben solange, bis es paßt. Denn: Laufen lassen? Das geht doch nicht! Was soll das gesunde Volk dabei empfinden?!

Entscheidung gefunden bei Jur-Blog.de von Rechtsanwalt Siegfried Exner.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei) veröffentlicht.

19 Antworten auf Das geht doch nicht!

  1. 1
    Wolf says:

    Vorschlag: nächsthöhere Instanz? Ist Berufung möglich?

  2. 2
    doppelfish says:

    Verbotenes Wissen als Straftatbestand. Na, ganz toll.

  3. 3
    Oelsen says:

    Also in der Schweiz wäre das gemäss

    http://www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/a150.html

    ganz einfach geregelt. Die Daten wurden ja nicht verändert, also ist er keiner Manipulationsversuche schuldig.

    http://www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/a147.html wäre wohl der entsprechende Artikel, der von dem Richter herangezerrt wurde. Vielleicht hätte man noch http://www.admin.ch/ch/d/sr/311_0/a148.html anwenden können, wenn der Kartenbetreiber und der Tankstellenbesitzer diesselbe Partei wären.

    Ist aber auch ein dämlicher Typ, dass der sich erwischen lässt…

  4. 4
    Marco says:

    Kann mit jemand erklären, warum es nicht ganz normal § 265a StGB Leistungserschleichung ist?

  5. 5

    Die Leistungserschleichung (an einem Automaten) setzt eine „täuschungsähnliche Manipulation“, ein „Austricksen“ voraus (SchSch, 265a, Rdz. 9), das hier nicht gegeben ist, weil die Angekl. den Automaten ordnungsgemäß bedient hat.

  6. 6
    markus says:

    Das klingt extrem weit hergeholt.

    Meiner Meinung nach ist die Begründung für das Urteil nicht haltbar denn die Schuldfrage liegt primär bei den Programmierer(n). Was man der Beschuldigten vorwerfen kann ist ein Ausnutzen dieses Fehlers, aber Schuld an dem Fehler hat sie 100% nicht, noch kann sie verantwortlich gemacht werden dafür.

    Ausgetrickst wurde hier auch nicht da ein Automat/Computer das „Interface“ bereit stellte.

    Warum muss die Beschuldigte für Probleme im Rechtssystem herhalten?

  7. 7

    […] ausnutzt, was ist das denn? Na, für technisch inkompetente Richter in Deutschland ganz klar Computerbetrug. Was man so zufällg beim normalen Bedienen rauskriegt, das ist schließlich […]

  8. 8

    […] Fall von … “Computerbetrug an einer Selbstbedienungzapfsäule”. Offenbar hat jemand herausgefunden, dass eine Tankstellen-Zapfsäule nichts von der Bankkarte […]

  9. 9
    4thmarch says:

    Ich erinnere mich an einen Kaffeeautomaten, der bei bestimmten Münzen, den Kaffee ausspuckte und die Münzen auch. Fällt vermutlich in dieselbe Kategorie.

    Für mich ist das normaler Diebstahl, da der Sprit weggenommen wird ohne zu bezahlen und genau mit dem Vorsatz.

  10. 10
    Marco says:

    @5: Danke.

    Im Computerbereich kann Austricksen bedeuten, durch eine bestimmte Abfolge ordnungsgemäßer Operationen (auf die das Programm fehlerhaft vorbereitet ist), einen unspezifizierten Zustand des Programms herbeizuführen, weil man dadurch unspezifiziertes Verhalten abrufen kann. Insofern kann ich $263a dann doch nachvollziehen, weil man üblicherweise nicht die Befugnis hat, an der Tanksäule einen unspezifizierten Programmzustand hervorzurufen.

  11. 11

    […] Die ganze Stellungnahme zum Fall finden Sie im Blog der Kanzlei Hoenig. […]

  12. 12
    n0ne says:

    strafrechtliches analogieverbot. bestimmtheitsgrundsatz. irgendwann muss mal gut sein mit richterlicher auslegungskompetenz.

  13. 13
    doppelfish says:

    @10: Wenn die Tankstelle aufgebaut, in Betrieb genommen und bereit fuer die Kunden ist, kann der Kunde davon ausgehen, dass sie in jeder Hinsicht fehlerfrei funktioniert, angefangen von Treibstoffqualitaet und Brandschutz der Anlage bis hin zur korrekten Abrechnung der getankten Menge und schlussendlich des geschuldeten Geldbetrages. Der Betreiber ist dann wiederum Kunde der Zulieferer, insbesondere des Herstellers der Zapfsaeule und der Software zur Abrechnung.

    Wenn sich der Betreiber schon beschweren will, soll er sich an die Software-Leute halten und dort sein Glueck versuchen. Allerdings: Fuer 71 EUR bekommt man gut 47 Liter (bei 1.50 EUR/l) Sprit, bei einem Kompakt- oder Mittelklassefahrzeug eine komplette Tankfuellung. Wie lange braucht man, um das 33 Mal leerzufahren? Und der Betreiber merkt die Diskrepanzen nicht? Da kann sich er doch nur selber an den Kopf fassen.

    Ausserdem: Wo ist denn diese Tankstelle eigentlich? ;)

  14. 14

    […] Deutlicher als der Berliner Rechtsanwalt Carsten R. Hoenig kann man es nicht ausdrücken: “Wir haben zwar nicht wirklich ein Gesetz, das paßt. Dann biegen wir das Gesetz eben solange, bis es paßt. Denn: Laufen lassen? Das geht doch nicht! Was soll das gesunde Volk dabei empfinden?!” Quelle: kanzlei-hoenig.info […]

  15. 15

    […] das ist kein Witz, das ist wirklich passiert! Da hat doch glatt eine Frau eines Tages einen solchen Tankautomaten (völlig korrekt) bedient, […]

  16. 16
    bla says:

    http://yipl.com/lg.htm
    http://yipl.com/olg.htm

    Softwarefehler bei E-Plus wurde ausgenutzt aber war laut Gericht kein Computerbetrug.

  17. 17
    Hanswurst says:

    Im Computerbereich kann Austricksen bedeuten, durch eine bestimmte Abfolge ordnungsgemäßer Operationen (auf die das Programm fehlerhaft vorbereitet ist), einen unspezifizierten Zustand des Programms herbeizuführen, weil man dadurch unspezifiziertes Verhalten abrufen kann. Insofern kann ich $263a dann doch nachvollziehen, weil man üblicherweise nicht die Befugnis hat, an der Tanksäule einen unspezifizierten Programmzustand hervorzurufen.
    Marco am 29. Mai 2008 um 02:05

    Sprich man soll nicht mehr zwischen 71 und 80 € tanken dürfen weil das Interface das nicht kann? Diese abfolge dürfte eher eintreten wenn man z.B. Daten einfügen will die nicht auf diesen Übergabeparameter zugeschnitten sind sprich man übergibt „einundsiebzigeurozwanzig“ denn damit dürfte das Abrechnungssystem Probleme bekommen und nicht mit einer reinen zahl wie 51,20 etc!

  18. 18
    Murks says:

    Das Urteil besagt, dass der Fall zurück ans Amtsgericht geht, wegen Form- und Rechtsfehlern!

    Es wäre Unterschlagung gewesen.

    http://cdl.niedersachsen.de/blob/images/C45451531_L20.pdf

    Durchlesen!

  19. 19

    […] das ist kein Witz, das ist wirklich passiert! Da hat doch glatt eine Frau eines Tages einen solchen Tankautomaten (völlig korrekt) bedient, und […]