Grober Unfug

Der Mandant hatte Unfug gemacht. Richtig groben und gefährlichen Unfug. Das hatte er auch eingesehen, spätestens nachdem er von mir die Ermittlungsakte – mit entsprechenden Hinweisen – bekommen hatte. Und er war bereit, die Konsequenzen zu tragen. Meine Aufgabe bestand darin, diese Folgen der Tat in Grenzen zu halten.

Bevor ich überhaupt irgendwas ausrichten konnte, hatte die Staatsanwaltschaft bereits in die Kristallkugel geblickt und dort das Einkommen des Mandanten auf 900 Euro erkannt. Die flugs vom Gericht verfügte Geldstrafe setzte einen Tagessatz in Höhe von 30 Euro fest, eben ein Dreißigstel dieses Einkommens. Manchmal haben die Mühlen der Justiz etwas von einem Turbo-Modus.

Tatsächlich stehen dem selbständig tätigen Mandanten aber nur anrechenbare 600 Euro zur Verfügung. Deswegen haben wir den Strafbefehl hinsichtlich der Höhe des Tagessatzes angegriffen. Bei 90 Tagessätzen machte das die lohnende Differenz von 900 Euro aus.

Wir haben aber die Rechnung ohne die wasserstoff-blonde Sitzungsvertreterin der Staatsanwaltschaft gemacht. Die verstand es überhaupt nicht, was wir ihr da für Zahlen vorgelegt haben: Eine Einnahme-Überschußrechnung, vom Steuerberater des Mandanten attestiert zur Vorlage beim Finanzamt. Danach hatte der Mandant Einnahmen in Höhe von über 36.000 Euro im Jahr! Das sind pro Monat 3.000 Euro, geteilt durch 30 sind das 100 Euro pro Tag. „Herr Verteidiger!? Ihr Einspruch ist doch nicht Ihr Ernst, oder?“ mußte ich mir von der Dame anhören.

Die Betriebsausgaben in Höhe von 28.800 Euro hatte sie erst gar nicht zur Kenntnis genommen. Es hat fast 60 Minuten gedauert, bis die Staatsanwältin verstanden hatte, daß das Einkommen die Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben ist. Weitere 30 Minuten haben wir gebraucht, um die Fragen zu klären, was „Vorsteuern“ und „sonstige Aufwendungen“ sind.

Jaaaa, aaaaber, Herr Verteidiger; das habe ich zwar jetzt verstanden. Nur: Diese Zahlen stammen doch aus 2007. Was Ihr Mandant aktuell verdient, wissen wir daher immer noch nicht. Ich bleibe dabei: 30 Euro sind angemessen. Wollen Sie den Einspruch nicht zurück nehmen?

Das war so ein Moment, vor dem Ärzte warnen. Wegen des explodierenden Blutdrucks.

Der Mandant wird nun seinen Steuerberater beauftragen, die Zahlen aus den Monaten Januar bis August 2008 zusammen zu stellen. Mit dieser Bescheinigung werden wir dann zu dem Fortsetzungstermin in zwei Wochen vor dem Gericht stehen. Erneut werden Richter, Verteidiger, Protokollführer und Staatsanwältin im Gerichtssaal erscheinen. Es wird ein Urteil ergehen. Entweder 30 oder 20 Euro pro Tagessatz.

Und die Richterin? Sagt mir: „Was soll ich denn machen, die Staatsanwaltschaft will es eben so?!“ Was der Mandant will, spielt keine Rolle. Genau so wenig wie die Einstellung eines ansonsten rechtstreuen Bürgers zu so einer Mupped-Show.

Der Mandant wird für den Unfug, den er gemacht hat bestraft. Dazu kommen die Gebühren für zwei Hauptverhandlungstage und den Steuerberater. Die Kosten der Verteidigung sind auch nicht ganz ohne.

Die Staatsanwältin und die Richterin haben ihre Gehälter bereits seit dem Monatsersten auf ihren Konten.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

10 Antworten auf Grober Unfug

  1. 1
    Cornelia says:

    Wäre es nicht die Aufgabe des Verteidigers gewesen, das vorherzusehen und dem Mandanten zu sagen, dass er per saldo mit dem Strafbefehl billiger wegkommt als mit einer geringeren Geldstrafe und dafür höheren Kosten?

  2. 2

    Es gab aus der ex-ante-Sicht keine sinnvolle Alternative zu dem Einspruch.

    Im übrigen darf ein Verteidiger durchaus ein gewisses Maß an Sachverstand auf der Seite der Anklagebehörde voraussetzen.

    Bisher jedenfalls. Was ich seit diesem Termin bei der StA voraussetze, darf ich nicht schreiben; das unterliegt nicht mehr meinen Rechten aus Art. 5 GG.

  3. 3
    RA JM says:

    … sondern unterfällt §§ 185 ff. StGB?! ;-)

  4. 4

    … auf § 193 StGB weise ich auch noch hin.

  5. 5
    doppelfish says:

    Nicht vergessen, die Kosten des Steuerberaters noch abzuziehen. Bei 2008.

  6. 6
    RA Kuemmerle says:

    Jaja, die Beamten und ihr Wissen um das Einkommen von Freiberuflern… Wenn der Mdt. den Nachweis für 2008 durch Vorlage der Unterlagen erbringt, warum dann nicht das Gericht im Beschlusswege nach 411 StPO entscheiden lassen? Lesen kann die Frau Sitzungsvertreterin doch bestimmt. Spart einen weiteren Termin.

  7. 7

    Der StA’in ging/geht es darum, den Mandanten zur vollständigen Rücknahme seines Einspruchs zu bewegen. Hier wird das Verfahren als Maßregel eingesetzt, und dazu gehört eben auch die Durchführung eines weiteren Termins. Und die Richterin hat berufsmäßig mehr Angst vor der Staatsanwaltschaft als vor der Verteidigung.

  8. 8
    Dante says:

    Tschuldigung, aber was hat denn die Staatsanwaltschaft da zu entscheiden? Die kann doch beantragen was sie will. Entscheiden muss es doch immer noch die Richterin.

  9. 9
    Das Ich says:

    Wieso hat den ein Richter beruftsmässig mehr „Angst“ vor einem Staatsanwalt alsor einem Verteidiger? Da steht aber was ganz anderes im Gesetz. Auch wenn sich mittlerweile viele Richter und Staatsanwalte gerne mal darüber hinwegsetzen.

    Stellen sie doch der Dame eine Nachhilfestunde im Steuerrecht in Rechnung.

    Ich würde sagen : Grober Unfug auf der Seite ihres Mandaten. Grobe Unfähigkeit auf Seiten der StA.

  10. 10
    doppelfish says:

    Leider wird nur die Seite des Mandanten verhandelt.