Keine Langeweile

Der Tag fing ganz langsam an, aber dann …

9:45 Uhr
Eine Mandantin soll als Zeugin vernommen werden. Sie ist vorsichtig, weil sie unter Bewährung steht. Ein falsches Wort und die Bewährung könnte widerrufen werden, befürchtet sie. Deswegen komme als Beistand mit zur Staatsanwaltschaft.

10:30 Uhr
Besuch in der Untersuchungshaftanstalt. Der Mandant, den man vorwirft, im Suff einem anderen Menschen ins Gesicht getreten zu haben, weint und fürchtet sich vor dem Maßregelvollzug. Der zweite Mandant weint, weil die Aussichten beim Haftprüfungstermin am nächsten Tag wohl eher schlecht sind. Der Dritte beantwortet meine Frage, welche Sprache seine Mutter gesprochen hat, das wisse er nicht, er sei im Krieg und auf der Straße aufgewachsen.

13:00 Uhr
Mittagspause im Curry 36. Eigentlich lecker. Mir ist trotzdem schlecht.

13:30 Uhr
Haftbefehlsverkündung beim Bereitschaftsgericht. Die Mandantin ist eigentlich ganz gefaßt. Sie weint wegen ihrer Hunde. Einer sei ganz dick; aber nicht weil er zu viel ißt; er habe eine Hormonstörung.

15.00 Uhr
Der Mandant kommt auf eine Tasse Caffè vorbei, um sich über den Sachstand zu informieren und die weitere Strategie abzusprechen. Man wirft ihm vor, seine Ehefrau getötet zu haben. Er fürchtet sich vor einer Verhaftung und weint, weil seine 3-jährige Tochter traumatisiert ist.

16.00 Uhr
Die Tochter, die geschiedene Ehefrau und die Lebenspartnerin eines tödlich verunglückten Motorradfahrers wollen sich über ihre Ansprüche gegenüber der Unfallgegnerin informieren. Trotz des traurigen Anlasses weint niemand.

17:00 Uhr
Telefonat mit einem Vater, dessen 18-jähriger Sohn eine alte Frau totgefahren hat und dabei selbst tödlich verletzt wurde. Der Vater meint, die Frau sei alkoholisiert gewesen, sonst wäre sie dem Sohn doch nicht vor’s Motorrad gelaufen. Und er fürchtet, in Haftung genommen zu werden, weil der Sohn keine Fahrerlaubnis für die 160 PS hatte.

17:30 Uhr
Die Arbeit unterschreiben, die die Mitarbeiterinnen tagsüber gemacht haben.

18:00 Uhr
Mir reicht’s ich fahr‘ nach Hause. Helm auf und abschalten? Das klappt heute nicht ganz …

Dieser Beitrag wurde unter In eigener Sache, Polizei, Verteidigung veröffentlicht.

7 Antworten auf Keine Langeweile

  1. 1
    M aus B says:

    15.00 Uhr
    …Man wirft ihm vor, seine Ehefrau getötet zu haben. Er fürchtet sich vor einer Verhaftung…

    keine u-haft? oder ist er grade flüchtig? :)

  2. 2
    Hendrik says:

    es ist doch erstmal kurz nach 12.

    Übrigens das Curry 36 ist wirklich ein guter Tip, auch für alle nicht-Berliner. Auch wenn ich es als Ernährungswissenschaftler vielleicht nicht empfehlen dürfte, egal, für euch Berliner mach ich ne Ausnahme.

  3. 3

    @ M aus B:
    Es fehlt am dringenden Tatverdacht, den auch § 112 Abs. 3 StPO zwingend voraussetzt. Für die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens reicht eine niedrigere Verdachtsschwelle.

  4. 4
    RA says:

    ganz abgesehen davon, dass man selbst bei dringendem tatverdacht noch flucht- oder verdunklungsgefahr bejahen müsste. auch bei einem tötungsdelikt. zumindest in der theorie…

    wiederholungsgefahr dürfte eh ausscheiden, es sei denn er hat mehrere frauen…

  5. 5

    @ RA:
    Unter anderem bei §§ 212, 211 StGB ist eine Flucht- oder Verdunklungsgefahr nicht erforderlich: § 112 III StPO.

  6. 6
    RA says:

    laut gesetz nicht erforderlich, das bverfg sieht das aber anders. meyer-goßner, § 112 rn. 37.

    klar wird in der praxis immer fluchtgefahr wegen der hohen straferwartung angenommen.

    von daher theoretischer pipifax der keinem mandanten was nützen wird.

  7. 7
    Julia says:

    Lieber Carsten,

    ich weiß nicht, wer sich ausgedacht hat, dass Currywurst lecker sein soll. Wer sich aber ausgedacht hat, dass dann auch noch Curry36 lecker sein soll, der verdient Magengrummeln :)… Stattdessen hättest Du ja auf einen Besuch in meiner Kanzlei vorbeikommen können, dann wären wir in die wirklich leckere „Seerose“ gegangen. Herzliche Grüße!