Professioneller Richter

Es ging schon vor Beginn der Hauptverhandlung recht konfliktreich zur Sache. Der Richter hatte einen Unterbringungsbeschluß erlassen, der den psychisch kranken Mandanten ins Krankenhaus des Maßregelvollzugs brachte. Die von der Verteidigung intensiv genutzten Möglichkeiten des Prozessrechts waren nicht erfolgreich.

Vier Monate später begann dann die Verhandlung vor dem Schöffengericht. Es herrschte eine eisige Atmosphäre im Gerichtssaal. Sogar der Staatsanwalt war auf Krawall gebürstet. Die Beweisaufnahme mit reichlich Zeugen, einem Psychologen und der Jugendgerichtshilfe war keine Kuschel-Veranstaltung.

Mit viel Mühen war es dann doch irgendwann gelungen, zwischen dem Vorsitzenden Richter, dem Staatsanwalt und der Verteidigung eine Einigung zu finden, wie mit dem Angeklagten zu verfahren sei.

Die Beweisaufnahme wurde geschlossen, es folgten die Schlußvorträge und die Verteidigung schloß sich der Empfehlung der Jugendgerichtshilfe und den Anträgen des Staatsanwalts an. Dann zog sich der Vorsitzende Richter und seine zwei Schöffen zur Beratung zurück.

Im Normalfall dauert das dann noch ein Viertelstündchen und es wird das Urteil verkündet. Hier kam das Gericht nach knapp einer Stunde wieder aus dem Beratungszimmer zurück in den Saal.

Der Vorsitzende Richter verkündete kein Urteil, sondern stieg erneut in die Beweisaufnahme ein. Offenbar waren die Schöffen nicht bereit, die Einigung zwischen den (anderen) Verfahrensbeteiligten mitzutragen und haben wohl den Berufsrichter überstimmt. Allein dieser Umstand ist schon recht ungewöhnlich.

Der Richter gab dann der Verteidigung Gelegenheit, sich auf die geänderte Situation einzustellen. Er hätte auch einfach das Urteil verkünden können, das dann sicherlich weit über die Anträge der Staatsanwaltschaft und der Verteidigung hinausgegangen wäre.

So hatte die Verteidigung die Möglichkeit, weitere Anträge zu stellen, die dann zur Verfahrensaussetzung führten. Der Richter teilte mit, sein Terminkalender sei voll, so daß erst in einigen Monaten erneut terminiert werden könne. Dem Antrag der Verteidigung auf Aufhebung des Unterbringungsbeschlusses gab er aber noch statt, so daß der Angeklagte direkt aus dem Saal in die Freiheit entlassen werden konnte.

Da nun ein paar Monate ins Land gehen werden, bis die Sache erneut verhandelt wird, ist es wahrscheinlich, daß bis dahin die Schöffen ausgewechselt wurden. Und dann kann die ursprüngliche Einigung dann (hoffentlich) doch noch in ein Urteil gegossen werden. Und der Angeklagte hat Gelegenheit, die bereits begonnene Therapie als freier Mann fortzusetzen.

Beste Aussichten also dafür, daß eine konfliktreiche Sache ein gutes Ende findet. Dank der Notbremse, die der erfahrene Richter mit seiner Aussetzung gezogen hat. Und dies, obwohl zwischen Richter und Verteidiger eine echt vergiftete Atmosphäre herrschte.

Das nenne ich professionelles richterliches Verhalten.

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5 Antworten auf Professioneller Richter

  1. 1
    Ben says:

    Waren die Schöffen mal wieder übermoralisierende Lehrer? ;-)

  2. 2

    Man mag es zum Teil nicht glauben, aber es gibt durchaus auch noch professionelle Richter und – um diese Spezies nicht zu vergessen – auch Staatsanwälte. Man erhält dennoch stellenweise den Eindruck, dass diese Gattung vom Aussterben bedroht zu sein scheint.

  3. 3

    Eigentlich ist es ja gut und gewollt, wenn Schöffen eine eigene Meinung bilden, anstatt die des Vorsitzenden zu übernehmen.

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    Martin Overath, Schöffe am Amtsgericht Frankfurt am Main says:

    Da Schöffen regelmäßig von der – in der StPO (noch) nicht vorgesehenen – strafrechtlichen Mediation (Absprache, Rechtsgespräch, Deal) ausgeschlossen werden, ist deren selbständiges Mitdenken eher zu begrüßen. Der angestrebte allseitige Rechtsmittelverzicht soll oft das nicht wasserdichte Urteil unangreifbar machen. Hut ab vor Schöffen, die nicht nur Staffage am (Berufs)richtertisch sind. Allerdings wird dann oft der Prozeß über drei Wochen unterbrochen, um mit „Hausfrauen“ als Schöffinnen neu zu verhandeln/dealen.

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    @ Martin Overath:

    Das ist genau das Thema. Man könnte das Problem, welches Sie ansprechen, als „Entzug des gesetzlichen Richters“ (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) qualifizieren.

    Ein Verteidiger kann und wird diesen aber nur solange hinnehmen, wie es sich nicht gegen seinen Mandanten richtet.