Rechtsbeugung

Selten, sehr selten wird gegen einen Richter der Vorwurf der Rechtsbeugung in einer Anklageschrift erhoben. Noch viel seltender kommt es zur Verurteilung. Wenn es aber mal einen Richter erwischt, dann aber richtig.

Die 16. große Strafkammer des Landgerichts Stuttgart hat heute am siebten Verhandlungstag den vom Dienst suspendierten Amtsrichter wegen Rechtsbeugung in 54 Fällen, davon in 7 Fällen versucht, zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren und 6 Monaten verurteilt.

schreibt Eva Bezold, stellv. Pressesprecherin in Strafsachen beim Landgericht Stuttgart am 14.11.2008. Das packt der Richter nicht so locker weg.

Den Angaben der stellv. Pressesprecherin nach hat sich der Richter aber auch nicht sonderlich geschickt eingelassen:

Der Angeklagte hat den ihm zur Last gelegten Vorwurf der Rechtsbeugung bis zuletzt bestritten. Er vertritt die Meinung, sich durchweg korrekt verhalten zu haben. So habe er jedenfalls in einigen Fällen die Anhörung tatsächlich durchgeführt. Im Übrigen sei den gesetzlichen Vorschriften aus seiner Sicht bereits genüge getan worden, wenn er sich einen mittelbaren Eindruck von den Betroffenen durch Gespräche mit dem Pflegepersonal vor Ort und durch Einsicht in die Pflegeakten verschafft habe.

Das ist die sattsam bekannte Arroganz der – vermeindlich – Mächtigen: „Ich mache immer alles richtig!

Strafverteidiger, die öfters mal beim Haftrichter waren oder sich mit Beschlüssen der Ermittlungsrichter auseinandersetzen müssen, lesen da zwischen den Zeilen nicht wirklich Neues.

Link gefunden in der Handakte.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei), In eigener Sache veröffentlicht.

14 Antworten auf Rechtsbeugung

  1. 1
    Das Ich says:

    Das kommt davon wenn man (auch Richtern) zu lange Leine lässt, und die sich nicht verantworten müssen für den (zum Teil) grossen Schei** den sie verbocken.
    Politiker, Manager und Richter können tun und lassen was sie wollen und werden dafür auchnoch gut bezahlt.
    Ich will auch Politiker und Manager werden…dann kann ich so richtig schön den Staat und Firmen ruinieren. Und wenn ich damit fertig bin, werde ich Richter…dann kann ich mir mal so richtig schön auch einzelne „Kunden“ vorknöpfen…und muss nicht nur die graue Masse plattmachen. Das wird ein Heidenspass;-)

  2. 2
    AlterEgo says:

    Hab davon schon vor einem Monat im law blog gelesen. Das ist sicherlich ein sehr krasser Einzelfall. die Begründung für dieses Verhalten (zuviel Arbeit für einen Richter) überzeugt mich natürlich nicht. Ein Beamter fälscht nicht Unterschriften, wenn er mit der Arbeitsbelastung nicht mithalten kann. Für Richter gilt das erst recht.

    Insbesondere muss man sich vergegenwärtigen, dass diese Menschen GAR KEINE andere Aufsicht hatten als die des Gerichts. Niemand war dafür sonst verantwortlich. Diese Menschen waren in den letzten Lebensmonaten oder Lebensjahren und waren vollkommen hilflos. Gerade in so einem Fall muss man sich doch auf die staatliche Kontrolle der Maßnahmen verlassen können.

    Mit solchen Richtern wird leider die große Schranke des Richtervorbehalts ideell ausgehöhlt und wenn man bedenkt, wie sehr das Vertrauen dadurch gestört wird in die Gerichte, dann sind doch die 3 Jahre recht wenig.

    Ein wirklich selten dummer Jurist, der zum Glück wohl nicht mal mehr als Anwalt tätig werden darf, wenn er aus dem Gefängnis kommt.

  3. 3
    AlterEgo says:

    @ 1

    Das kommt davon wenn man (auch Richtern) zu lange Leine lässt, und die sich nicht verantworten müssen für den (zum Teil) grossen Schei** den sie verbocken.

    Dass Menschen Fehler machen, ist normal und sollte ebend durch bessere Organisation ausgeglichen werden.

    In diesem Fall fragt man sich natürlich, ob es denn von Gesetzes wegen überhaupt noch eine Kontrolle der Anordnungen gibt. Sozusagen ein Qualitätsmanagement, damit die Richter auch Feedback bekommen. Aber vermutlich werden solche Ideen durch den Schutz des Richters vor Einmischung eh abgeblockt.

    Strafverteidiger, die öfters mal beim Haftrichter waren oder sich mit Beschlüssen der Ermittlungsrichter auseinandersetzen müssen, lesen da zwischen den Zeilen nicht wirklich Neues.

    Das stimmt. Deswegen finde ich es auch besser, wenn man nicht gleich Richter aus dem Vorbereitungsdienst verpflichtet, sondern als Einstellungsvoraussetzung 1-2 Jahre im jeweiligen Rechtsgebiet arbeiten lässt. Gerade im Strafrecht dürfte das doch einen immensen Erkenntnisgewinn denjenigen bringen. Aber solange nur die Examensnoten als Einstellungskriterium gelten…

  4. 4
    H5N1 says:

    @ 1:

    Das kommt davon wenn man (auch Richtern) zu lange Leine lässt, und die sich nicht verantworten müssen für den (zum Teil) grossen Schei** den sie verbocken.

    Die Aussage macht keinen Sinn. Der Fall zeigt doch gerade, mit was für drastischen Konsequenzen sich Richter u.U. verantworten müssen (was ja richtig ist).

  5. 5
    Pascal says:

    Naja, aber das sind schon sehr große Umstände, bis es da mal zu einer Verurteilung kommt.

    Zum Thema „dann aber richtig“ kann ich nichts sagen, da heißt es im Studium ja immer: „Strafmaß braucht euch nicht zu interessieren.“ Wenn ich mir allerdings vorstelle, dass da 47 (!) Menschen auf dessen Anordnung eingesperrt und gefesselt wurden, dann finde ich das mit meinem normalbürgerlichen Rechtsverständnis eher … angemessen.

  6. 6
    Tilman says:

    Ich habe die Theorie, dass der Staat durch gezielte Arbeitsüberlastung den „Richtervorbehalt“ bewusst untergräbt.

  7. 7
    Niels says:

    Tilman: Bei allem Respekt, ich habe die Theorie, dass das nicht richtig [Wortwahl angepaßt. crh] ist, was Du schreibst.

    Zur Sache sonst: Ich war im ersten Moment auch erstaunt über das Urteil, aber die Zahl der rechtswidrigen freiheitsentziehenden Maßnahmen legt doch nahe, dass ein angemessenes Strafmaß gefunden wurde.

  8. 8
    skugga says:

    Die Begründung, das sei zuviel Arbeit für einen Richter, erbost mich gerade deshalb, weil es hier um einen Richter am Vormundschaftsgericht geht. Wer mal mit Betreuungssachen zu tun hatte, kann sich vermutlich gut vorstellen, dass den dortigen Rechtspflegern die Arbeit über den Kopf wachsen könnte – die sind nämlich in Betreuungsverfahren mit FAST allem befaßt. Fast. Zu den wenigen Ausnahmen gehören die Anhörungen der Betroffenen. Wenn man deren Anzahl mal mit dem Pensum vergleicht, das der durchschnittliche Richter am AG in Zivilsachen so auf dem Tisch hat… nun…

  9. 9
    judex says:

    Meines Wissens, war dies der erste Richter, der wg. Rechtsbeugung in Deutschland seit 1945/1949 verurteilt worden ist … daran kann man auch sehen, wie „groß“ die richterliche Freiheit ist. Wenn man auch den Fall vom Rechtsbeugung-freigesprochen-Senat des OLG Naumburg anschaut – dann ist alles schon sehr befremdlich.

  10. 10
    marva says:

    Wenn man bedenkt, dass die deutschen Richter einen Befangenheitsantrag gegen ihre Person selbst abweisen können, ist dieser Fall sicher ein Einzelfall in Deutschland.

    Auf meinem Blog schildere ich u.a auch den Fall eines befangenen Amtsrichters.

  11. 11
    Gulia says:

    wegen „Diese Menschen waren in den letzten Lebensmonaten oder Lebensjahren und waren vollkommen hilflos“
    das ist richtig, bin ganz hilflos, mir 3 Tumor in Gehirn-

  12. 12
    AlterEgo says:

    Interessant der Beitrag bei Heise:

    Der angeklagte Richter machte geltend, die Anhörung zumindest in einigen der Fälle durchgeführt zu haben, darüber hinaus zeigte er sich der Ansicht, dass die Anhörungsvorschrift auch durch Aktenlektüre und Gespräche mit dem Pflegepersonal eingehalten werden könne. Eine Rechtsauffassung, die, wie die vorsitzende Richterin Helga Müller hervorhob, allerdings von keinem juristischen Kommentar geteilt wird. Dem Tagesspiegel zufolge meinte I., dass seine Entscheidungsoptionen ohnehin auf null reduziert gewesen seien: „Was hätte ich tun sollen, […] wo Ärzte, Betreuer und Pflegepersonal doch eine solche Fixierung bereits für gut geheißen hatten?

    Ähnlicher Auffassung zeigte sich auch einer der 27 im Prozess gehörten Zeugen – ein Amtsrichter, der das Verfahren gegen seinen Kollegen als „eine einzige Farce“ herabwürdigte. Und zwar deshalb, weil Richter Anträgen auf „freiheitsbeschränkende Maßnahmen“ zu 99 Prozent entsprechen würden. “

    Im Artikel heißts dazu, dass er knapp 700 Fälle pro Jahr gehabt hätte. Also jeden „Fall“ besuchen und anhören. Bei knapp 240-250 Arbeitstagen pro Jahr wären das rund 3 Anhörungen pro Arbeitstag.

    Hört sich jetzt auch nicht sonderlich stark belastend an. Insbesondere, da der Zeitbedarf für schriftliches Begründen auf Grund der Aussagen der anderen Fachleute ja wohl eher gering sein wird (Textbausteine for the win).

    Offenbar war der Mann schlicht eine Fehlbesetzung als Vormundschaftsrichter…

    Der Artikel endet übrigens mit einem Schlenker zum Einzelrichter hinsichtlich Hausdurchsuchungen und wo da dann die Rechtsbeugung auf Grund von textbausteinhaften und phrasenhaften Begründungen schon begönne. Ein interessanter Punkt. Aber wohl leicht unrealistisch. Aber vielleicht bringt das Urteil Einzelrichter wirklich mal zum besseren Arbeiten bei den Begründungen ;-)

  13. 13
    skugga says:

    Was hätte ich tun sollen, […] wo Ärzte, Betreuer und Pflegepersonal doch eine solche Fixierung bereits für gut geheißen hatten?

    Seufz. Überprüfen, ob die recht haben, wenn sie das gut heißen… genau dafür hätte er eigentlich da sein sollen…

  14. 14

    Guten Tag,

    aus meiner Sicht liegt Rechtsbeugung bei Richtern auch vor, wenn er seine Urteile nicht unterschreibt und die Parteien – wie fast immer – nur eine unterschriftslose Ausfertigung erhalten.

    Wohlwisend, dass in der ZPO zwischen den beiden Begriffen unterschieden wird. – Urteile werden den Prozessparteien zugestellt; Ausfertigungen werden antragsgemäß erteilt.

    Eine unterschriftslose Ausfertigung erfüllt nicht die Zustellungspflicht des Gerichtes und bindet den Richter auch nicht an sein Urteil.

    Ein Scheinurteil verstößt gegen Artikel 6 EMRK – Vgl. Kleinknecht, Meyer-Goßner, Einleitung Rn 129 und setzt den Anspruch auf Wiedergutmachung i.S.d. Art. 31 ff. der UN Res.56/83 frei, da ein völkerrechtswidriges Handeln vorliegt.

    Andere Völkerrechtsquellen wie die UN Res. 217 (III)
    wären ebenfalls einschlägig.

    Vgl. auch: BGH, Urteil vom 16. 10. 2006 – II ZR 101/ 05; OLG München …..

    Zwar ist das angefochtene Protokollurteil auch ohne Unterschrift sämtlicher an der Entscheidungsfindung mitwirkenden Richter mit seiner Verkündung existent geworden (BGHZ 137, 49, 52). Jedoch können die fehlenden Unterschriften nicht mehr rechtswirksam nachgeholt werden, weil seit der Urteilsverkündung die für die Einlegung eines Rechtsmittels längste Frist von fünf Monaten (§§ 517, 548 ZPO) verstrichen ist (BGH, NJW aaO S. 1882). Das Fehlen der Unterschriften stellt einen absoluten Revisionsgrund dar (§ 547 Nr. 6 ZPO).

    oder

    BGH, 11.07.2007 – XII ZR 164-03

    Auch ein sogenanntes Protokollurteil ist von allen mitwirkenden Richtern zu unterschreiben.

    oder

    OLG Brandenburg Az.: 3 U 87/06

    oder

    LG Frankfurt/Oder Az.: 19 T 534-02

    Bleibt die Frage: Wieviel Millionen Fälle von Beugung des Rechts durch die Richter selbst, gibt es in diesem Land, welches aufgrund von Artikel 146 GG keine Verfassung hat ?

    Ist das Gesetz, ist das (Völker-) Recht wirklich Herr der Lage ?

    Ich glaube nicht.