Scheiß Nazi-Pack!

Gestern hat der Prozeß gegen den Strafverteidiger stattgefunden, der dem Vorsitzenden Richter einer Großen Strafkammer deutlich gesagt, was er von ihm hält.

Es war eine Umfangstrafsache. Einer der drei Angeklagten war erkrankt. Probleme mit dem Rücken. Die Mediziner des Justizvollzugskrankenhaus hatten den Angeklagten verhandlungsunfähig geschrieben.

Wenn man weiß, daß ein solches Attest von den Anstalts-Ärzten nur dann ausgestellt werden, wenn Ärzte „draußen“ schon den Block mit den Totenscheinen vor sich liegen haben, ahnt man: Der Angeklagte war tatsächlich krank.

Trotzdem wollte der Vorsitzende Richter den Termin nicht platzen lassen. Deswegen wurde der Angeklagte aus der Untersuchungshaftanstalt auf einer Trage in den Saal 500 getragen.

Bei sperrangelweit geöffneter Tür wurde er in den Eingangsbereich gelegt. Damit die anderen Prozeßbeteiligten, die Zuschauer und die Medienvertreter seine Handfesseln, seine Fußfesseln, den Brustgurt und den Beckengurt gut sehen konnten. Da lag er nun etwa 20 cm über dem Boden im Gerichtssaal, etwa 20 Minuten lang.

Daß man so nicht verhandeln konnte, war klar. Deswegen verlegte man ihn näher zum Richtertisch. Die (gefesselten) Füße nach vorn, den (gefesselten) Oberkörper in Richtung Publikum. Hände und Füße gefesselt. Es wurde zunächst erneut über seine Verhandlungsfähigkeit verhandelt.

Dann mußte der Angeklagte „austreten“. Das war aber kein Problem für den Richter. Er ließ eine Ente besorgen, das Publikum (aber nur das Publikum!) wurde aus dem Saal gebeten und der Angeklagte konnte „sein Geschäft verrichten“. Der Brustgurt wurde ihm abgenommen.

Die Ente wurde dann neben die Trage gestellt und anschließend weiter verhandelt.

Das hat der Strafverteidiger einfach nicht mehr ausgehalten. Ihm kam das Bild des Erwin von Witzleben, wie er von dem Volksgerichtshof stand und von Freisler angeherrscht wurde: „… Sie schmutziger alter Mann!“ Und dann ist er geplatzt …

Ich ziehe den Hut vor dem Kollegen.

15 Tagessätze Geldstrafe hat es dafür in der ersten Instanz gegeben. Dagegen ist nur eine Berufung möglich, wenn sie vom Landgericht zugelassen wird.

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

21 Antworten auf Scheiß Nazi-Pack!

  1. 1
    RA Anders says:

    Konfliktvermeidungsurteil.
    Der erkennende Richter wollte weder freisprechen noch einstellen (scjließlich war das „Opfer“ ein Kollege), wenn dann der Strafverteigiger doch auf solch eine Verfahrensbendigung drängt, gibt es halt 15 TS. Tut nicht so doll weh und der Strafverteidiger kann sich mit dem Landgericht und der Zulassung zur Berufung rumeseln. Aus meiner Erfahrung fast aussichtslos.
    Leider

  2. 2
    RA Munzinger says:

    Was wurde denn aus der ursprünglichen Anklage ? Ist das nicht ein Fall von 136a StPO gewesen ?

  3. 3
    RA JM says:

    Dass so etwas heutzutage vor einem deutschen Gericht noch möglich ist – Erschreckend!

  4. 4
    Kampfschmuser says:

    Als Angeklagter auf der Trage hätte ich dem Herrn Richter statt in die Ente auf seinen teuren Saalboden gestrullert. Wenn schon keine Menschenwürde, dann doch bitte richtig mit aller Sauerei.

    Der Ausdruck „Scheiss Nazipack“ vom Strafverteidiger kann ich sehr gut nachvollziehen. In meinen Augen verdient.

  5. 5
    Ralf says:

    Der Richter wollte doch nur den Päpsten Stephan VI und Sergius III nachahmen. Die haben über einen ihrer toten Vorgänger zu Gericht gesessen und bestraft. Es ist also noch steigerungsfähig.

    Ist der Artikel 1 GG eigentlich noch gültig?

  6. 6
    Das Ich says:

    Warum nicht noch ein Halsband?
    Guantanamo-Berlin

    Das Verhalten dieses Richters geht schwer in die Richtung Freisler.
    Ich schliesse mich der Frage nach dem GG an.

  7. 7
    BV says:

    Ich kann den Ton des Anwalts nach wie vor nicht verstehen und sehe auch keine Wahrnehmung berechtigter Interessen (nicht einmal ansatzweise). Es gibt sicherlich keinen Zweifel, dass das vom Richter völlig daneben war, und dass der Verteidiger gegen ein solches Vorgehen entschieden einschreiten muss. Einen Grund für Beleidigungen dieser Art sehe ich gleichwohl nicht. Ein Rechtsanwalt sollte sich anders zur Wehr setzen können.

  8. 8

    @ BV: Ich glaube, muß einmal selbst in einer solchen oder ähnlichen Situation gewesen sein, um nachvollziehen zu können, was in dem Mann vorgegangen ist.

  9. 9
    doppelfish says:

    Den Ausbruch des Strafverteidigers kann ich gut nachvollziehen. Nicht entschuldigen, aber nachvollziehen.

    Er hätte dem Richter (und den Zuschauern) allerdings dessen … Verhalten … viel besser vor Augen geführt, wenn er – zumindest was die Vokabeln angeht – sachlich geblieben wäre. Dann hätte jetzt derjenige den Ärger an der Backe, der ihn verdient.

    Schade, das das nicht geklappt hat.

    Aber, siehe Kommentar #08, aus der Entfernung, die wir hier haben, sieht das viel einfacher aus, als es das vor Ort ist.

  10. 10

    […] ja “nur” ein Bankräuber? Wenn man dieser Meinung ist, dann sollte man die Einzelheiten hier […]

  11. 11
    Jens Ferner says:

    „…und sehe auch keine Wahrnehmung berechtigter Interessen…“

    Wenn nicht hier, wann dann? Die Frage ist doch vielmehr, ob ein Freisler-Vergleich nicht sogar treffend ist – somit nicht die Aussage beleidigend war, sondern die Aussage nur eine richtige Zusammenfassung der Situation. Mithin kann auch nicht die Aussage beleidigend sein, sondern nur die Situation als solche – die alleine in der Hand des Verhandlungsführers liegt.

    Und wer jetzt genau hinsieht, kann das Wortspiel nicht übersehen ;)

  12. 12
    John says:

    @BV Mit einem ausgeprägtem Rechtsverständnis und moralischem Unrechtsbewusstsein ist die Reaktion des Verteidigers nachvollziehbar.

  13. 13
    n0ne says:

    perverse scheisse.

    (muss nicht zensiert werden. ist es nämlich auch bei sachlicher betrachtung zutreffend, wo eine wortschmückung nicht verdient ist.)

  14. 14
    Nils says:

    Ja, das war nicht in Ordnung; ich war nicht dabei, aber die hiesige Darstellung scheint die verteidigerübliche Übertreibung. Ein wohl objektiverer Bericht hier: http://www.zeit.de/online/2008/42/prozess-berlin-anwalt?page=1

    Unter anderem ist dort vermerkt, dass der Angeklagte in der Nacht vor der Verhandlung von einem Arzt in einem zivilen Krankenhaus wieder nach Hause geschickt wurde. Auch das Urinieren fand dort nicht vor dem gesamten Gericht, sondern vor Wachtmeistern statt. Und das wäre bei einem nicht kranken Angeklagten das gleiche gewesen.

    Fazit: Abregen und hoffen, dass es sich nicht wiederholt. In Ordnung war es weder vom Gericht noch vom Anwalt.

  15. 15
    Jens says:

    Hätte der RA statt „Scheiß Nazi-Pack“ von den „Erben der Firma Freisler“ gesprochen, wäre ihm nix passiert!:-)

  16. 16
    Jens Ferner says:

    @Nils:

    „Auch das Urinieren fand dort nicht vor dem gesamten Gericht, sondern vor Wachtmeistern statt“

    Nun, das steht da nicht. Vielmehr sttht dort das hier:

    „Als die Verhandlung fortgesetzt wurde, stand das mit Urin gefüllte, durchsichtige Behältnis neben dem Angeklagten.“

    Frage: Wie kommt das wieder in den Gerichtssaal? Haben die die Ente wieder mit rein gebracht? Oder fand es vielleicht doch vor Ort statt? Fakt ist: Der Artikel der Zeit nimmt hierzu gar keine Stellung, wie in einem Filmriss gibt es nur ein vorher und ein nachher.

    Dass der Anwalt als Verteidiger im Allgemeinen gerne mal etwas übertreibt, ist regelmässiges Erscheinungsbild. So wie Zeitungen, die nicht ordnetlich recherchiertes Material bringen.

    Mit dem einen gegen den anderen zu Argumentieren ist letztlich witzlos – zumal der Zeit-Reporter scheinbar gar nicht beim ersten Prozeß dabei war, sondern lediglich die Infos aus dem jetzigen wiedergibt.

  17. 17
    Peter says:

    Die viel interessanteren Fragen offenbaren sich doch bei genauerem Leser lieber Blogger:

    a) Welches Strafgericht? Ort ?
    b) Vor einer großen Strafkammer sitzt der Richter nicht allein… was war mit den anderen Beteiligten?!
    c) Welche legalen Rechtsmittel (außer der sicherlich absolut berechtigten Meinungsverkündung über diesen „Richter“) hätte es gegeben !?

    Peter

  18. 18

    […] Geldstrafe für Strafverteidiger Dieser Artikel wurde geschrieben von Philipp, veröffentlicht am 11. Oktober 2008 um 17:02, abgelegt unter Links und mit folgenden Tags versehen: Links, Politik, Recht, USA. Speichere den Permalink. Bleibe auf dem Laufenden und werde über alle Kommentare mit dem RSS-Feed für diesen Artikel informiert. Schreibe einen Kommentar oder setze einen Trackback: Trackback-URL. « Sarah Palin — E-Mail-Hacker angeklagt […]

  19. 19
    H1N5 says:

    Wenn wir wegen tatsächlicher Unklarheiten mal ausklammern, wo und in wessen Gegenwart uriniert werden musste: Wieso soll es entwürdigend sein, wenn jemand, der wegen Rückenproblemen nicht sitzen kann, auf einer Bahre/Trage liegt?

  20. 20
    Dagobert Duck says:

    An das dumme Volk, daß noch immer Probleme mit der Karte ’33 hat: A-Löcher und Nazimethoden im Lawblog.

    Aus dem Urteil: Wer als Polizeibeamter so was sagt und seine Dienstpflichten verletzt, muss kräftige Widerworte aushalten. Der Hinweis auf die Nazimethoden sei keine Beleidigung, sondern schlicht und einfach “die Wahrheit”.

    Dann darf man auch mit Fug und Recht sagen, daß dies erst Recht für Richter gilt und um es deutlich zu sagen, diese Richter gehören wegen Rechtsbeugung selbst vor ein Gericht!

    Aber ist der Freispruch schon vorprogramiert?? Dazu OLG NMB: Zulassung der Anklage wegen Rechtsbeugung endgültig abgelehnt.

  21. 21
    abc says:

    @H1N5: Allein das Liegen auf einer Bahre wäre wohl noch nicht entwürdigend, die übertriebene Zurschaustellung der zahlreichen Fesseln hingegen sehr wohl – und abgesehen davon, dass es sich bloß um einen Verdächtigen handelte, keinen rechtskräftig Verurteilten, gibt es dafür auch keinerlei sachliche Notwendigkeit – denn auch zig Fesseln hindern nicht, wenigstens eine Decke drüberzulegen. (Wie es ja auch normalerweise in jedem Krankenhausbett der Fall ist.)