Verbot des überspitzen Formalismus

Die Rüge ist begründet, denn die Ausführungen der Vorinstanz verstossen gegen das Verbot des überspitzen Formalismus. Dieses leitet sich aus dem Rechtsverweigerungsverbot bzw. dem Gebot von Treu und Glauben ab, und es richtet sich gegen eine prozessuale Formstrenge, die als exzessiv erscheint, durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltbarer Weise erschwert oder gar verhindert.

Eine schöne Formulierung, aber auch eine gefährliche. Das formelle Recht, also die Verfahrensvorschriften, ist eine wesentliche Grundlage eines Rechtsstaats. Schafft man die Spielregeln ab, regiert schnell wieder das „gesunde Volksempfinden“. Das hatten wir bei uns schon zweimal …

Die Grenze zwischen diesem „überspitzen Formalismus“ und willkürlichem Handeln ist fließend. Sollte man wissen.

Dieser Beitrag wurde unter Allgemeines (Kanzlei) veröffentlicht.

6 Antworten auf Verbot des überspitzen Formalismus

  1. 1
    Axel John says:

    „Das formelle Recht, also die Verfahrensvorschriften, ist eine wesentliche Grundlage eines Rechtsstaats.“

    Wie oft kommt es vor, das Prozesse undurchführbar werden oder platzen, weil auf Grund eines überregulierten Prozessrechts selbst absolut bedeutungslose (oft auch provozierte) Formfehler bis zum erbrechen ausgeschlachtet werden?
    Gerade in Wirtschaftsstrafsachen gut zu beobachten, wenn die Gerichte vor dem „Rechtsstaat“ kapitulieren und sich auf faule Deals einlassen.

  2. 2

    Das formelle Recht, also die Verfahrensvorschriften, können nicht eine wesentliche Grundlage eines Rechtsstaats sein. Theoretisch als Farce schon.

    Die formalen Verfahrensvorschriften dienen im Wesentlichen den wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Privilegien der Juristen, die mehr Zeit in die Kenntnis dieser formalen Vorschriften verwenden, und damit die übrige Bevölkerung uberraschen.

    Das „gesunde Volksempfinden“ bewegt sich damit in den Grenzen dieser priviligierten Gruppe, wenn es um gerichtliche Entscheidungen geht.

    Ob dieses „gesunde Volksempfinden“ im wengen Machtrahmen der Juristen zu besseren Ergebnissen für das Leben und die Entwicklung der Gesellschaft führt als das „gesunde Volksempfinden“ aller aktiven Menschen mag dahin gestellt bleiben.

  3. 3
    jj says:

    gibt es dazu eine fundstelle bzw. den volltext?
    besten dank,
    jj

  4. 4

    @jj:
    Sorry, ich habe das Zitat in meinen Notizen gefunden, die allerdings keine Angaben zur Quelle enthielten.

  5. 5
    jj says:

    :-( trotzdem besten dank!

  6. 6

    JJ hat mir mitgeteilt, wer das Verbot formuliert hat:

    Das Zitat stammt (jedenfalls ab prozessuale Formenstrenge) wörtlich aus der Entscheidung BGE 127 I 31, E. 2a des Schweizer Bundesgerichts und nimmt Bezug auf Art. 29 I der Bundesverfassung.

    Der entsprechende Abschnitt im Wortlaut:

    „Aus dem Rechtsverweigerungsverbot bzw. dem Gebot von Treu und Glauben (Art. 9 und Art. 29 Abs. 1 BV, früher Art. 4 aBV) leitet die Praxis des Bun­desgerichtes ausserdem das Verbot des überspitzten Formalismus ab. Die­ses richtet sich gegen eine prozessuale Formenstrenge, die als exzessiv er­scheint, durch kein schutzwürdiges Interesse gerechtfertigt ist, zum blossen Selbstzweck wird und die Verwirklichung des materiellen Rechts in unhaltba­rer Weise erschwert oder gar verhindert. Überspitzter Formalismus kann so­wohl in den angewende­ten Formvorschriften des kantonalen Rechtes liegen, als auch in den daran ge­knüpften Rechtsfolgen. Das Bundesgericht prüft mit freier Kognition, ob eine entsprechende Rechtsverweigerung vorliegt (…).“

    Besten Dank!