Monatsarchive: Februar 2009

Berlin Kriminell im Knast

10 Tage Ordnungshaft überlebte die Autorin von Berlin Kriminell, Barbara Keller. Wie erwartet berichtet sie darüber auf Berlin Kriminell.

Meine inhaftierten Mandanten – beiderlei Geschlechts – berichten mir stets bei meinen Besuchen in den Haftanstalten, wie es ihnen geht. Auch kenne ich die Berliner Knäste aus eigener Anschauung von innen, jedenfalls soweit wie ich als Verteidiger da rein komme. Und wieder raus! ;-)

Vor dem Hintergrund dieser Vergleichsmöglichkeiten dachte ich immer, daß die beiden Berliner Gefängnisse, in denen Frauen untergebracht werden, relativ entspannt sind. Dem scheint nicht so zu sein, wenn ich mir den Erfahrungsbericht von Barbara Keller so anschaue:

Mittags ein paar Minuten Zeit, das Essen für die nächsten 24 Stunden zu holen. Essen, das die Autorin, die ansonsten als (fast) Allesesserin gelten darf, in der Regel dem WC überantwortete. Begrüßt wurde sie kulinarisch mit einer Schüssel kalter Kartoffeln und einer Soße, die aussah wie Dillsoße aber nach einer Beimengung von geschredderten Socken roch.

Wenn Frau Keller, wie ich sie kenne, sowas schreibt, dann roch das nicht nur so, sondern dann waren die Socken da drin. Nota bene: Es ging hier nicht um eine Bestrafung wegen Kindsmord oder so. Sondern um die Vollstreckung einer zivilrechtlichen Ordnungsstrafe.

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Der Genitiv des Vermieters

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Hört sich doch schöner an als „Nachts und bei Frost Fenster zu!“, oder?

Foto: Helga

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Die Mühlen der (Jugendstraf-)Justiz

Mal wieder eine Jugendstrafsache. Und wieder die Frage: Liegt ein Fall der notwendigen Verteidigung vor oder nicht.

Mein Antrag auf Bestellung zum Pflichtverteidiger lehnt der Jugendrichter – reflexartig? – ab. Damit war zu rechnen, wenn man die Praxis der Jugendrichter kennt.

Dagegen gibt es – reflexartig! – das Rechtsmittel der Beschwerde. Und dann schaut sich das Landgericht die Sache genauer an. In den meisten Fällen gibt es auf diesem Wege etwas später die Bestätigung, daß ein Fall der notwendigen Verteidigung vorliegt.

Damit ist das Thema aber noch nicht vom Tisch. Denn der Beschluß des Landgerichts muß ja noch bekannt gemacht werden. Auch dem Verteidiger. Das passierte in dem Fall, über den ich hier berichte, dann auch.

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Manchmal dauert es eben, bis der Beschluß dann beim Verteidiger landet.

Im vorliegenden Fall sind nun noch etwas mehr als 2 Wochen bis zum Termin. Bis ich Akteneinsicht erhalten und den Inhalt der Akte mit der Mandantin (und den besorgten Eltern) erörtert habe, dauert es ein paar Tage. Solange wird sich der Richter gedulden müssen, bis er seine Frage nach dem Umfang der Beweisaufnahme beantwortet bekommt. Aber spätestens am Terminstag wird er wissen, daß er sorgsamer mit den Ressourcen der Justiz umgehen sollte.

Übrigens: An irgendeiner westdeutschen Uni hat man herausgefunden, daß die frühzeitige Bestellung eines Pflichtverteidigers die Verfahren beschleunigt. Und damit billiger macht. Aber wen kümmert das schon …

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Sonntagsspaziergang

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Dieser Kostentenor ist ein Traum!

Der Bund (Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft) und das Land Tirol sind schuldig, dem Beschwerdeführer zuhanden seines Rechtsvertreters die mit € 2.340,– bestimmten Prozesskosten je zur Hälfte binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu bezahlen.

Quelle: Wiener Verfassungsgerichtshof

Ich meine mit der Überschrift nicht die Exekution des Bundesministers. Sondern die 14 Tages-Frist. In Moabit wäre so eine Frist das sichere Aus für die Rechtspfleger.

Danke an den Kommentator ben für den Hinweis auf diesen schnuckeligen Kostentenor. crh

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In wessen Namen?

Bei uns werden die Urteile im Namen des Volkes verkündet. In Österreich spricht man Recht im

IM NAMEN DER REPUBLIK !

Quelle: Eine Entscheidung des Wiener Verfassungsgerichtshofs.

Was sagt uns dieser Unterschied?

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Haftraumausstattung

Mit Zustimmung der JVA darf der Haftraum in angemessenem Umfang mit eigenen Sachen ausgestattet werden. Das Mobiliar stellt die JVA. Die meisten Hafträume verfügen inzwischen über Steckdose zur Stromentnahme, sowie seit kurzem auch für den – allerdings gebührenpflichtigen – TV-Satelitenempfang. Bei Bedarf können außerdem – ebenfalls gegen Gebühr – Fernsehgeräte über einen externen Anbieter ausgeliehen oder im Mietkauf erworben werden.

Quelle: Die FAQ der JVA Moabit

Hafträume („Hütten“) mit Steckdosen werden intern auch als Stromzellen bezeichnet.

Übrigens: Mit DSL-Anschlüssen in den Zellen ist nach Auskunft der Anstaltsleitung zeitnah nicht zu rechnen.

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Bewerbung

Eine eMail mit einer Blindbewerbung an unsere Kanzlei:

Guten Tag!

Ich möchte fragen, ob Sie eine Auszubildende zur Rechtsanwaltsfachangestellten suchen?

Wenn ja, dann würde ich mich gerne bewerben und Ihnen meine Bewerbungsmappe schicken.

Vielen Dank!

So ist das in Ordnung. Und nicht eine dicke Mappe blind in die Kanzlei schicken, die dann im Falle einer Absage wieder zurück geschickt werden muß.

Zur Sache selbst:

Nein, wir bilden keine ReFa aus. Beziehungsweise können wir das nicht, deswegen lassen wir es.

Das, was in der Ausbildung gelernt werden soll, kommt in unserer Kanzlei so gut wie nicht vor. Und das, was bei uns vorkommt, wird in der Ausbildung nicht gebraucht.

Strafrecht scheint insoweit etwas Exotisches zu sein. Schade eigentlich.

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Prozeßbericht auf Kiel211

Ein interessantes Projekt ist das Blog von Rüdiger Kohls, a.k.a BreakingNews, Kiel211:

Die Idee hinter “Kiel211? [„211“ steht für § 211 StGB, der im deutschen Strafrecht den Mordtatbestand regelt] und damit hinter einer regelmäßigen Berichterstattung über Kapitalstrafverfahren im Landgerichtsbezirk Kiel entwickelte sich Anfang 2008,

beginnt er eine umfangreiche, gleichwohl kurzweilige Selbstdarstellung.

Die Prozeßberichterstattung unterscheidet sich jedoch wesentlich von den Gerichtsreportagen der Medienvertreter, die sonst so auf der Pressebank im Saal sitzen oder hinter den Verfahrensbeteiligten auf den Fluren herlaufen.

Rüdiger Kohls liefert eine Art Protokoll, eine ausführliche und detailreiche Zusammenfassung der Beweisaufnahmen. Auf diese Weise ist es dem (kundigen) Leser möglich, den Prozeß und später die Entscheidungen der Richter gut nachvollziehen zu können:

Daher bemühe ich mich, so nah an den Geschehnissen im Gerichtssal zu bleiben wie nur möglich: Chronologisch weitgehend dem Ablauf der Beweisaufnahme folgend und nach bestem Wissen und Gewissen inhaltlich korrekt, …

Spannend finde ich übrigens den folgenden Gedanken.

Bei den Kammern des Landgerichts – anders beim Amtsgericht – wird kein Wortprotokoll geführt. Deswegen kommt es immer wieder zur Diskussionen zwischen den Beteiligten, was denn in der Beweisaufnahme gesagt wurde.

Jeder Verteidiger kennt das Gefühl, in einem völlig anderen Prozeß gesessen zu haben als der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft oder die Kammer. Verlockend ist es dann natürlich, auf so eine detaillierte Prozeßberichterstattung zurück greifen zu können. Ich könnte mir durchaus vorstellen, daß irgendwann einmal Rüdiger Kohls als Zeuge dafür benannt wird, was ein anderer Zeuge auf die Frage des Gerichts geantwortet hat.

Das steckt viel gute Arbeit drin. Ich werde sicherlich das eine oder andere Mal vorbeischauen.

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Lehrstück für Jugendliche

An einem drastischen Beispiel dafür, wie es die Justiz schafft, daß zwei junge Menschen jegliches Vertrauen zum Rechtsstaat verlieren, durfte ich in dieser Woche in Moabit teilnehmen.

Ich war gerade dabei, mich mit einem kleinen Schwätzchen bei der Mitarbeiterin im Anwaltszimmer zu verabschieden, als wir von einem richterlichen Anruf unterbrochen wurden: Die Richterin braucht sofort einen Verteidiger und ob ich Zeit hätte. Den Hut und den Mantel habe ich wieder in die Garderobe gehängt, Robe über die Schulter geworfen und ab in den Gerichtssaal. Dort verhandelte das Jugendschöffengericht über den Vorwurf eines schweren Raubes. Ohne Verteidiger.

Der Kundige weiß, daß der schwere Raub ein Verbrechen ist und daß dies ein Fall der notwendigen Verteidigung darstellt. Also: Ohne Verteidiger geht da gar nichts, § 140 I StPO. Eigentlich.

Das ist der Richterin dann auch aufgefallen, nachdem die Anklage bereits verlesen wurde. Warum das bei Anklageerhebung dem Staatsanwalt und im Zwischenverfahren oder bei der Vorbereitung dem Gericht nicht aufgefallen ist, vermute ich, sage ich hier aber nicht. Nichts ist unmöglich, wenn es um die Rechte eines jugendlichen Angeklagten geht.

Ich stand nun da, ohne jegliche Aktenkenntnis. Und nur weil die Richterin meinte, es könne auf einen Freispruch hinauslaufen, habe ich mich mit Bauchschmerzen zur Verteidigung bereit erklärt.

Erste Maßnahme: Dem Mandanten, einem 17-jährigen Gymnasiasten, habe ich zur Verteidigung durch Schweigen geraten. Ein Risiko weniger.

Dann begann die Beweisaufnahme. Geschädigter war ein etwa 25-jähriger Türke, der an einem Down-Syndrom (Trisomie 21) leidet (sagt man das so?). Der Staatsanwalt polterte noch ungefragt, auch ein so Behinderter könne ein tauglicher Zeuge sein.

Der Dolmetscher war super. Er konnte den Zeugen verstehen und so übersetzen, daß er auch alles verstehen konnte. Es war schwierig, funktionierte aber. Ich habe keine Fragen gestellt und ins Protokoll diktiert, daß ich dies mangels Aktenkenntnis nicht könne.

Es stellten sich massive Widersprüche heraus, zwischen dem, was in der Akte stand (die „Protokolle“ der „Vernehmung“ des Zeugen durch die Polizei) und dem, was wir im Gericht hörten. Penny-Parkplatz oder Park mit Bäumen? Ein Täter, oder zwei, oder drei? Weiße Kleidung oder schwarze? Undundund … Bereits damit war der Ausgang klar: Im Zweifel für den Angeklagten.

Die beiden Polizeibeamten, die „ermittelt“ hatten, wurden dann noch gehört. Der eine war vor Ort und hat die Anzeige des Zeugen entgegen genommen. Und ist dann mit dem Zeugen und seiner Schwester im Auto auf Tätersuche gegangen. Der Angeklagte war damals zufällig in der Nähe, stand dort rum, als der Polizeibeamte den Zeugen (türkisch, Down-Syndrom) fragte: Ist der das? Der Zeuge bejaht. Der Angeklagte wird ans Auto herangeholt und nochmal gefragt: Ist der das? Die Schwester hat das alles „übersetzt“. Damit war der Fall geklärt.

Dann kam der zweite Polizist ins Spiel. Er hat den Zeugen zur Nachvernehmung auf’s Revier geladen. Als Dolmetscherin fungierte wieder die Schwester. Man könne ja nicht bei jeder Vernehmung eines Ausländers einen vereidigten Dolmetscher heran holen. Kostet doch! Und die Schwester tut’s doch auch. Es wurde ein Foto des Angeklagten gezeigt: Der war es! Die Schwester übersetzt dann noch den Tathergang …

Ja, das war es dann wirklich.

Der Zeuge, der ohnehin stets ängstlich unterwegs war, mußte nun erleben, wie er mit einem Messer bedroht und seines Handys beraubt wurde, und derjenige, den er als Täter wieder erkannt hatte, wurde freigesprochen. Der wird die Welt jetzt noch weniger verstehen wie vorher.

Es war im Rahmen der Beweisaufnahme ziemlich deutlich geworden, daß es der Angeklagte sehr wahrscheinlich nicht war; jedenfalls war davon auch der Staatsanwalt am Ende überzeugt. Hätte dort ein anderer Jugendlicher gestanden, auf den (erste) Polizeibeamte gezeigt hat, wäre es eben der andere „geworden“.

Der Gymnasiast, hat erlebt, wie schlampig die Polizeibeamten arbeiten, wie leicht man einer schweren Straftat falsch verdächtigt werden kann, welche Fehler Staatsanwälte bei den Ermittlungen machen und wie ein Gericht mit den Rechten eines Angeschuldigten umgeht. Auch das wird einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Hoffentlich ist es mir gelungen, dem Jungen die Funktion eines Strafverteidigers zu vermitteln.

Ich bin nach Schluß der Sitzung zur Protokollführerin gegangen, um mich nach dem Aktenzeichen des Verfahrens zu erkundigen. Und nach dem Nachnamen meines Mandanten.

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