Monatsarchive: Juni 2009

Feiertag

Der Mandant wurde in Berlin verhaftet. Der Haftbefehl stammt aus München und mußte dem Mandanten gestern vom Berliner Haftrichter verkündet werden.

Der Mandant hat ein wasserdicht erscheinendes Alibi: Sein Lehrer bestätigt, daß er zur Tatzeit, davor und danach in Berlin, aber nicht in München war. Seine Freundin auch. Sie sagt auch, daß er in den letzten 2 Jahren nicht in München war. Sogar die Wachtmeister glauben dem Mandanten, daß er nicht dort war.

Gestern war aber Feiertag in Bayern. Daher war dort weder der zuständige Staatsanwalt, noch der bayerische Haftrichter zu erreichen.

Deswegen entschied der Berliner Richter: Er bleibt drin, bis die Bayern entscheiden, was mit ihm passiert. Das wird frühestens im Laufe dieses Vormittags passieren.

Worst case: Die Bayern wollen ihn sehen. Dann wird er nach München verschubt. Das dauert locker eine Woche. Vor dem Amtsgericht München wird dann in spätestens 14 Tagen die Haftprüfung stattfinden. In der werden die Alibizeugen gehört. Die werden auch nach München anreisen müssen.

Variante: Die Münchener Justizangehörigen nehmen den Brückentag zum Anlaß, zum Gardasee zu fahren, und stehen erst Montag wieder im Dienst. Wenn der Mandant dann Glück hat, bleibt er solange in Berlin. Mit der Option auf den worst case danach.

Und das alles, weil jemand meint, den Mandanten auf einer Lichtbildvorlage wiedererkannt zu haben.

Dem Mandanten wurde vor 5 Jahren der Besitz von 5 Gramm Marihuana vorgeworfen, aber nicht nachgewiesen. Man hat damals eine erkennungsdienstliche Behandlung durchgeführt und seine Daten, Bilder und Fingerabdrücke gespeichert. Das war seinerzeit auch in Bayern. Diese Datensammlung fällt ihm nun auf die Füße.

Die Angehörigen des Mandanten wollten das alles nicht hören. Ich mußte es ihnen trotzdem erzählen. Es gibt schönere Momente im Leben eines Strafverteidigers.

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Die Geschäftsstellen-Traktoristin

In einer Strafsache wegen Besitzes von Kinderpornographie habe ich Akteneinsicht beantragt. Die Fotos befinden sich in zwei Sonderbänden, die jeweils von einem fetten roten Aufkleber geziert werden:

Akteneinsicht nur auf der Geschäftsstelle, nicht dem Verteidiger mitgeben!

Die Mitarbeiterin der Geschäftsstelle hat diese Anweisung des Staatsanwalts übersehen und uns auch die beiden Sonderbände mit den Schweine-Pics zur Einsicht in unsere Kanzleiräume mitgegeben.

Da ich das noch im Gerichtsgebäude bemerkte, habe ich die beiden Sonderbände wieder zur Geschäftsstelle gebracht, um sie der Mitarbeiterin persönlich zu übergeben. Der Fehler, den Sie gemacht hat, sollte besser unter uns bleiben; muß ja nicht sein, daß sie deswegen einen Rüffel bekommt. Dachte ich mir.

Was denn jetzt noch? Hammse was vergessen?!

Ich stehe wie Pik-Sieben in der Geschäftsstelle und beantworte artig ihre Frage mit einem Hinweis auf die beiden roten Aufkleber. Die Dame reißt mir fast die Akten aus der Hand und faucht mich grimmig an:

Ist sonst noch was da drin, was Sie nicht brauchen?

Ein schlichtes: „Nein, den Rest nehme ich dann mit.“ und ich war froh, wieder auf dem Flur zu sein. Grußlos, eine größere Retourkutsche war sie mir nicht wert.

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Der Ruf der Barbara Salesch

Ich bin ja weiter Vorsitzende einer Strafkammer und habe einen Ruf zu verlieren.

wird Frau Salesch von der FAZ zitiert.

Ich finde nicht, daß Frau Vorsitzende Richterin am Landgericht Salesch noch einen Ruf zu verlieren hat.

FAZ-Artikel gefunden in der Handakte.

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Nicht schon wieder

Aus der polizeilichen Vernehmung des Mandanten:

Ich möchte eigentlich nicht wieder ins Gefängnis. Da war ich ja bis März wegen Wohnungseinbrüchen.

Im März wurde der Mandant auf Bewährung entlassen. Im Mai hat man ihn erwischt. Bei einem Wohnungseinbruch.

Wie Verteidigen funktioniert, weiß ich. Das mit dem Zaubern werde ich aber noch üben müssen; deckt eine echte Marktlücke ab, wenn man es beherrscht.

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Bundesanwalt droht Sauerland-Blogger

Über das Sauerlandverfahren berichtet der Journalist Holger Schmidt unter anderem in seinem Prozeßberichtsblog unter dem etwas verunglückten Titel „Terrorprozeß gegen Sauerland-Gruppe“.

Mit seinen Beiträgen stößt er – erwartungsgemäß – nicht überall auf Gegenliebe. Der Vertreter der Anklage, Bundesanwalt Brinkmann, habe ihn „geschimpft“, schreibt Blogger Schmidt in seinem Beitrag Schimpfe für den Blog:

Der “Journalist Schmidt” veröffentliche Informationen aus Vermerken, “die über das hinausgehen, was in der Hauptverhandlung besprochen wurde”. Was aus dem Mund eines Chefredakteurs ein Kompliment gewesen wäre, war beim Bundesanwalt als Drohung gemeint: Offenbar würde der Autor verbotenerweise Prozessunterlagen erhalten. Brinkmann stellte eine mögliche Strafbarkeit nach § 203 StGB in den Raum – der Vorsitzende Richter Breidling ergänze noch § 353 d StGB. Er habe einen konkreten Verdacht, meinte Brinkmann noch.

Die Bundesanwaltschaft und ebenso die Staatsanwaltschaften in größeren Verfahren informieren die Öffentlichkeit mit ihren speziell dafür ausgebildeten Pressesprechern. Hier in Berlin gibt es sogar eine Website mit der Presseübersicht der Staats- und Amtsanwaltschaften.

Man könnte den Eindruck haben, daß sofort ein neuer Aktenband angelegt wird, sobald sich jemand einmal dieser – oft einseitigen – staatsanwaltschaftlichen Berichterstattung entgegen stellt.

Geheimnisverrat im Sinne des § 203 StGB ist es sicherlich nicht, was man Herrn Schmidt vorwerfen könnte. Ich kann nicht glauben, daß Herr Brinkmann diesen abwegigen Vorwurf erhoben hat. Schließlich ist der Blogger erkennbar kein Tierarzt, Schwangerschaftsberater oder sonst ein Geheimnisträger.

Allerdings kommen tatsächlich die „Verbotenen Mitteilungen über Gerichtsverhandlungen“ gem. § 353d StGB in Betracht. Grundsätzlich. Allerdings, wenn man sich als Kundiger die Beiträge in dem Weblog von Holger Schmidt anschaut, weiß man recht schnell, daß auch dieser Vorwurf sicherlich völlig ins Leere geht.

Leere Drohungen also wie die eines bellenden Hundes? Jedenfalls kann ich Herrn Schmidt beruhigen:

Trotzdem möchte ich höchst vorsorglich anmelden, dass ich heimatnahe Haft vorziehen würde. Die JVA Bruchsal, zum Beispiel. Oder Stuttgart-Stammheim.

Dafür sind seine Beiträge ganz bestimmt viel zu harmlos.

Immer schön locker bleiben, lieber Herr Schmidt. ;-)

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Mitfahrgelegenheit

Dem Mandant wird vorgeworfen, ohne Fahrerlaubnis gefahren zu sein. Nicht zum ersten Mal. Die letzte Fahrt liegt – laut Strafregister – etwa 14 Monate zurück. Weil das auch nicht das erste Mal war, wurde er seinerzeit zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. 8 Monate. Er hat Glück gehabt: Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Bewährungszeit zwei Jahre.

Während dieser Bewährungszeit wurde er dann gleich zweimal ohne Fahrerlaubnis beim Autofahren angetroffen. Darüber soll nun nächste Woche vor Gericht verhandelt werden. Vor dem Amtsgericht in Leipzig. Heute rief der Mandant hier an, um sich zu erkundigen, wie ich denn nach Leipzig käme.

Soll ich Sie abholen? Ich muß sowieso durch Kreuzberg fahren, da kann ich Sie doch auch gleich mitnehmen.

Nicht nur Steuerberater haben Dauermandanten.

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Polizeiliche Gurt- und Telefon-Kontrolle

Vom 9. bis 11. Juni werden Polizeibeamte im gesamten Stadtgebiet verstärkt das Anlegen von Sicherheitsgurten in Kraftfahrzeugen sowie die verbotene Benutzung von Mobiltelefonen durch Autofahrer überwachen.

Quelle: Pressemeldung der Polizei Berlin

Also entweder anschnallen und Telefon aus der Hand nehmen. Oder einen Rechtsschutzversicherungsvertrag abschließen (für die Verteidigerkosten) und hoffen, daß sich der Airbag rechtzeitig öffnet, wenn man bei unangeschnallten Telefonieren den Vordermann übersieht.

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Politiker vor dem Strafrichter

Noch einmal, und zwar ein halbes Jahr nach dem ersten Verfahrensauftakt im Dezember 2008, muss sich der Bundestagsabgeordnete und Pfarrer im Wartestand Steffen Reiche (48, SPD) vor dem Berliner Amtsgericht verantworten. (‚berlinkriminell.de‘ berichtetet) Reiche, bis 2004 Minister für Bildung, Jugend und Sport des Landes Brandenburg, wird vorgeworfen, auf einem Flug am 12.1.2007 von Brüssel nach Berlin einer Stewardess das Bein gestellt zu haben.

Barbara Keller berichtet auf Berlin Kriminell über den zweiten Durchgang einer Strafsache gegen Herrn Reiche, der wegen einer versuchten Körperverletzung angeklagt wurde.

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Frustriert

Den Gesichtsausdruck („Marke: Boah ey, ich habe ja sowas von keeeinen Bock heute.„), das Aussehen (Schlabberjeans, kariertes Hemd, drei Knöpfe oben offen; Sandalen, Socken.) und das Auftreten („!! Kommense rein und setzen Sie sich gefälligst hin, der Dolmetscher da und der Verteidiger da!!“) des Herrn Haftrichters E. am Amtsgericht Tiergarten heute morgen hätte ich zum Anlaß genommen, ihm sofort seine Papiere zu geben und zum Arbeitsamt zu schicken – wenn ich sein Arbeitgeber wäre. Der muß echt ’ne schwere Kindheit gehabt haben, dieser unkündbare Richter auf Lebenszeit.

Gut tuend war die Fröhlichkeit des Dolmetschers und das breite Kreuz meines Mandanten.

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Keine Beschimpfungen

Aus einem Gutachten, das zur Fortdauer einer Betreuung durch eine Nervenärztin erstellt wurde:

Von Richtern, Staatsanwälten und Vertretern von verschiedenen Behörden, aber auch von Psychiatern fühlt er sich verkannt und bösartig ungerecht behandelt entgegen seinen berechtigten Ansprüchen unter Nichtachtung seiner großen Begabungen und Fähigkeiten.

Dabei führt er eine ausgesprochen aggressive Sprache; er spricht durchweg nur von den „Schwachmaten“, benutzt aber auch immer wieder beleidigende und herabsetzende Ausdrücke wie „altes Schwein, Arschloch“. Damit belegt er alle, die ihm seiner Meinung nach nicht gerecht behandelt haben. Ausgenommen von diesen Beschimpfungen sind nur der Rechtsanwalt Hoenig und sein jetziger Betreuer Herr B.

Wenigstens nach außen hin verhält sich der Mandant einigermaßen gesittet, wenn er über mich, seinem Pflichtverteidiger, berichtet. Die unmittelbare Korrespondenz zwischen ihm und mir sieht ein wenig anders aus und ist zumindest in Teilen nicht jugendfrei. 8-)

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