Monatsarchive: Oktober 2009

Keine Freude am Haftantritt

Aus einer Anklageschrift:

Am Tattag gegen 11.50 Uhr feuerte der Angeschuldigte, der sich auf dem Wege zu einem Haftantritt in die JVA Hakenfelde befand, in der ParkanIage des Kleinen Tiergartens, schräg gegenüber der Staatsanwaltschaft Berlin (Vollstreckungshauptabteilung) und des Ministeriums des Inneren, aus einer SRS-Pistole Walter P 22, cal. 9 mrn P.A.K. mit PTB-Zeichen NT. 789 im Kreis, insgesamt 8 Schüsse (7 Kartuschen 9 mm P.A.K., 1 Kartusche 9 mm P.A.PV.) ab, für deren Führen ein sogenannter Kleiner Waffenschein gemäß § 2 Abs. 2 i.V.m. Anlage 2 Abschnitt 2 Unterabschnitt 3 Nr. 2.1 WaffG notwendig gewesen wäre.

Mir scheint, der Angeschuldigte hat sich über irgendetwas geärgert. ;-)

Der Verfasser der Anklageschrift legt noch einen nach:

Die erforderliche Genehmigung besaß er jedoch nicht.

Wenn ich die Anklageschrift nicht in den Händen gehalten hätte … ich hätte es nicht geglaubt.

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Ringvorlesung – Terrorismus

Der internationale Terrorismus als Herausforderung des Rechts – Eine Ringvorlesung, die am dem 19.10.09 jeweils Montags um 18:15 Uhr an der Freien Universität (FU) Berlin in der Van´t-Hoff-Str.8 stattfindet.

Grundsätzlich eine gute Idee, die anstehenden Probleme öffentlich zu diskutieren. Wenn ich mir allerdings die Dozenten anschaue, erscheint mir die eine Seite ein wenig überrepräsentiert zu sein.

ringvorlesung

Aber vielleicht gibt es ja ein paar engagierte Zwischenrufer im Auditorium.

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Stimmungswechsel

Die Berliner Polizei hat am Mittwoch die Wohnungen mehrerer Terror-Verdächtiger durchsucht. „Die Ermittlungen richten sich derzeit gegen drei Islamisten“, sagte ein Polizeisprecher.

Quelle: taz

Die Sprecherin von Innensenator Ehrhart Körting sagte: „Es gibt keine konkreten Hinweise, dass diese Personengruppe oder andere in Berlin Anschläge planen“, so Nicola Rothermel. Dennoch gelte weiterhin eine erhöhte Alarmbereitschaft, weil die „abstrakte Gefahr zugenommen habe“.

Quelle: Tagesspiegel

Nach Informationen der Berliner Zeitung handelt es sich bei den Terrorverdächtigen um zehn deutsche Staatsbürger arabischer und türkischer Herkunft sowie um fünf Ausländer.

Quelle: Berliner Zeitung

Nach Schätzungen konvertieren jährlich mehr als 4000 Deutsche zum Islam. In der jüngsten Zeit ist auch das Phänomen zu beobachten, dass sich in der islamistischen Szene zunehmend in Deutschland geborene Türken wiederfinden.

Quelle: Berliner Morgenpost

… es bestehe auch kein dringender Tatverdacht. Deshalb seien keine Haftbefehle beantragt worden.

Quelle: taz

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) appellierte vor dem Hintergrund der Razzia an Union und FDP, die bestehenden Sicherheitsbefugnisse für die Polizei nicht einzuschränken.

Quelle: Berliner Zeitung

Mir wird kalt, nicht nur weil Herbst ist. Merkt jemand ‚was?

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… in Unschuld

Da hatte wohl jemand in der Verwaltung des Kriminalgerichts eine Idee. Seit ein paar Tagen hängen im gesamten Gericht verteilt Gerätschaften, denen sich die Besucher die Hände waschen können.

inUnschuld-433

Wie es im Einzelnen funktioniert, wenn man sich die Hände waschen will, kann man hier nachlesen.

Ob die Dinger auch in den Gängen hängen, durch die die Gefangenen aus der Untersuchungshaft ins Gericht geführt werden, ist mir (noch) nicht bekannt.

 

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Eingestellt vom Verteidiger

Rechtsanwalt Tobias Feltus berichtet über ein Ordnungswidrigkeiten-Verfahren, das er selbst eingestellt hat:

eingestellt vom Verteidiger

Gratulation! Das versuche ich demnächst in Moabit auch mal. ;-)

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Schönes Schimpfwort …

… nur leider etwas zu lang:

Informationsinkontinente Unschuldsvermutungshintergeher

Das sollen nach Ansicht eines Mandanten des Braunschweiger Kollegen Werner Siebers die Pressesprecher der Staatsanwaltschaften sein.

Im Fall Tauss zum Beispiel dürfte der Beschuldigte gegen diese Bezeichnung keine Einwände erheben.

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Ganz was Neues

Zusammen mit der gesetzlichen Regelung der Verständigung im Strafverfahren (§ 257c StPO) hat der Gesetzgeber ein paar weitere Rechtsnormen erlassen, die diese Regelung begleiten bzw. deren Umsetzung vorbereiten sollen. Dazu gehört auch der neue § 202a StPO.

Davon habe ich nun erstmalig in einer Umfangstrafsache Gebrauch gemacht. Ich wollte bereits vor Eröffnung der Hauptverhandlung mit allen anderen Verfahrensbeteiligten reden. Auch über den möglichen § 31 BtMG, um zu verhindern, daß es hier – trotz der neuen Regelung des § 46b Abs. 3 StGB – doch noch zu einem „Wettrennen“ zwischen den Angeschuldigten kommt.

Auch ist es ganz interessant zu wissen, was sich die Staatsanwaltschaft für den Fall vorstellt, daß sich die Anklagevorwürfe bestätigen sollten. § 202a StPO schreibt dann vor, daß diese Vorstellung ins Protokoll kommt, so daß es im weiteren Verlauf des Verfahrens für den Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft schwieriger werden dürfte, plötzlich auf ganz neue Gedanken zu kommen.

Auch im übrigen halte ich es für sinnvoll (nicht nur, weil es modern ist), wenn Richter, Staatsanwalt und Verteidiger miteinander reden, statt sich in der Hauptverhandlung eine Show für die Galerie zu liefern.

Die Erste Strafkammer des Landgerichts Berlin hat sich wohl meinen Gedanken angeschlossen und zum Gespräch geladen.

einladung zu 202a

Angesichts der Tatvorwürfe wird diese neue Regelung hier eine ganz besondere Bedeutung bekommen. Ich bin gespannt.

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Staatsanwalt verprügelt Rechtsanwalt

Der Kollege Rechtsanwalt Manfred Zipper ist Fachanwalt für Strafrecht, also Strafverteidiger. Strafverteidigung ist Kampf, sagt ein anderer Strafverteidiger, kein geringerer als Hans Dahs.

Nun hat der Kollege Zipper – nach eigenem Bekunden „noch aktiver Ringer“ – sich wohl mächtig ins Zeug gelegt und dafür eins auf’s Auge bekommen, dies aber richtig.

Es stellt sich mir nur die Frage, ob er das Dahs-Zitat nicht falsch verstanden hat. Ich kämpfe ja auch für die Rechte meiner Mandanten, aber daß ich mich von einem Staatsanwalt – oder gar von einem Strafkammer-Vorsitzenden – verprügeln lassen würde … soweit geht die Liebe zum Beruf dann doch nicht.

Es könnte allerdings sein, daß Herr Zipper da nicht von einem Organ der Rechtspflege eins gedonnert bekommen hat, sondern von einem seiner Mandanten. Denn Herr Zipper ist nicht nur als Strafverteidiger unterwegs, sondern auch noch als Vertreter der Roland Rechtsschutz. Er ist ein Partner-Anwalt dieses Versicherers, der mit Engagement und exzellentem Fachwissen die Interessen vertritt.

Ich gestatte mir die Frage: Wessen Interessen vertritt der Partner-Anwalt eines Versicherers eigentlich: Die seines Mandanten? Oder die seines Partner-Versicherers?

Mir hat bislang weder ein Staatsanwalt, noch ein Mandant ein blaues Auge geschlagen. Ich verkaufe meine Seele aber auch weder dem einen, noch irgend einem anderen. Ich bin und bleibe unabhängig, auch unabhängig von Mandaten, die mir ein Versicherer vermittelt.

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Zynismus beim OLG Brandenburg

Der 12. Zivilsenat des Brandenburgischen Oberlandesgericht hat eine Begründung für die Mithaftung eines Motorradfahrers an einem Unfall geliefert, da stellen sich mir die Zehennägel auf.

Der Tenor des Beschlusses vom 17.07.2009 (OLG Brandenburg, 12 W 5/08) hört sich noch akzeptabel an:

Kollidiert ein links abbiegender Autofahrer mit einem entgegenkommenden Motorradfahrer, von dem er bei Einleitung des Abbiegevorgangs wegen Sichtbehinderung durch eine Brückenkuppe allenfalls den Kopf wahrnehmen konnte, kommt eine Mithaftung des Motorradfahrers in Höhe von 20 % in Betracht.

Die Begründung hat es allerdings in sich:

Im Ergebnis der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge folgt der Senat der vom Landgericht vorgenommenen Quotierung von 80 % zu 20 % zu Lasten der Beklagten. Zwar haftet bei Kollisionen mit dem geradeaus fahrenden Gegenverkehr der Linksabbieger grundsätzlich allein (BGH NZV 2005, S. 249; KG DAR 1994, S. 153; Hentschel/König/ Dauer, a. a. O., § 9 StVO, Rn. 55, so auch der Senat im Urteil vom 23.10.2008, Az. 12 U 45/08, zitiert nach juris). Eine alleinige Haftung der Beklagten erscheint aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles indes nicht gerechtfertigt. Der Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1. ist nämlich als relativ gering zu gewichten. So ist nach den Feststellungen des Sachverständigen die Einleitung des Abbiegemanövers durch die Beklagte zu 1. nicht zu beanstanden, wenn sie nicht einmal den Kopf des Klägers wahrnehmen konnte, was der Sachverständige nicht ausgeschlossen hat. Selbst wenn die Beklagte den Helm des Klägers bereits sehen konnte, so ist doch zu beachten, dass die relativ geringe wahrnehmbare Fläche des sich nähernden Fahrzeuges den Vorfahrtsverstoß der Beklagten zu 1. relativiert. Auch das Unterlassen des Abbrechens des zunächst fehlerfrei begonnenen Abbiegevorganges bei Einleitung des Anfahrvorganges wiegt nicht so schwer wie die Vorfahrtsverletzung eines Linksabbiegers gegenüber einem ohne weiteres wahrnehmbaren Geradeausfahrers. Auf der anderen Seite ist die erhöhte Betriebsgefahr des Motorrades infolge seiner schlechtern Wahrnehmbarkeit im Vergleich zu größeren Kraftfahrzeugen (vgl. hierzu auch OLG Hamm RuS 2002, S. 412) – insbesondere bei der hier zunächst anzunehmenden Verdeckung des Scheinwerfers durch die Brückenkuppe – und die große Instabilität eines Motorrades, die sich im Sturz des Klägers vor der Kollision realisiert hat, zu berücksichtigen. Dies alles rechtfertigt es, den Kläger im Umfang von 20 % an den entstandenen Schäden zu beteiligen bzw. bei der Bemessung des Schmerzensgeldes eine Mithaftung des Klägers von 20 % einzubeziehen.

Ich überlasse den Lesern das Kommentieren …

Vielen Dank an Rechtsanwalt und Moppedfahrer Jürgen Melchior aus Wismar für den Hinweis auf die Entscheidung.

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Boykott des Richters?

Der Mandant wird beim Klauen erwischt. Ein einfacher Diebstahl. Aber: Er ist Ausländer und hat keinen festen Wohnsitz in Deutschland. Deswegen wird – quasi reflexartig – die Fluchtgefahr gemäß § 112 II 2 StPO angenommen und der Mandant sitzt nun in der Untersuchungshaft.

Er spricht kein Deutsch und ich seine Sprache auch nicht. Deswegen beantrage ich Akteneinsicht und die Beiordnung eines Dolmetschers für die Verteidigergespräche. Ich bekomme die Akte vom Gericht binnen weniger Tage – und gleich auch die Ladung zu Hauptverhandlungstermin. Soweit, sogut.

Ich habe dann noch einmal an den Dolmetscher erinnert. Schriftlich, höflich. Schriftlich, mahnend. Telefonisch,vergeblich; weder Richter, noch Geschäftsstelle sind erreichbar. Dann nochmal schriftlich, böse. Keine Reaktion.

Heute ist der Termin, sechs Zeugen sind geladen. Ich kenne die Akte, der Mandant das Papier, auf dem sie ausgedruckt wurde. Verstehen tut er sie nicht. Eine Vorbereitung auf den Termin hat nicht stattgefunden.

Und nun? Wenn ich jetzt die Aussetzung des Termins beantrage, muß der Richter diesem Antrag stattgeben, weil die Verteidigung sich nicht vorbereiten konnte. Dann wird irgendwann im Dezember oder Januar neu terminiert. Lehne ich bzw. lehnt der Mandant den Richter ab, passiert dasselbe. Der Mandant bleibt bis dahin – aller Wahrscheinlichkeit nach – in Haft; jedenfalls ist nicht mit seiner heutigen Entlassung zu rechnen.

Zu erwarten hat der Mandant eine Freiheitsstrafe, die zur Bewährung ausgesetzt wird.

Manchem Richter scheint das Kosteneinsparungsgebot das Hirn vernebelt zu haben. Ich muß aufpassen, daß ich ihm das heute nicht sage.

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