Die Gedanken einer Finanzbeamtin

Dem Mandanten wird vorgeworfen, Steuern hinterzogen zu haben. Das meint jedenfalls Finanzverwaltung. Sie behauptet auch, daß der Mandant Rechnungen gefälscht hat. Und außerdem soll er Rechnungen vorgelegt haben, die von Unternehmen stammen, die es gar nicht gibt. Knackig, wie so die Finanzbeamten so sind, wird nicht viel Federlesen gemacht und ein Strafbefehl beantragt, den das Amtsgericht dann ohne weitere Prüfung der Akten erläßt. Geldstrafe, 400 Tagessätze.

Für Strafbefehle gibt es ein Gegen Rechtsmittel, den Einspruch. Das Amtsgericht nimmt diesen Einspruch dann zum Anlaß, einen Termin zur Hauptverhandlung anzuberaumen. Zeugen werden keine geladen. Wozu auch, das ganze spielte sich ab in den Jahren 1999 und 2000, an die Zeiten erinnert sich sowieso keiner mehr. Außerdem handelt es sich um Unternehmen und Unternehmer, die Namen haben, deren Aussprache einem durchschnittlich begabten Finanzbeamten nicht leicht fällt.

Der Mandant verteidigt sich durch Schweigen. Der Staatsanwalt – der die fünf Bände Akten nur vom Hörensagen kennt – vertritt die Ansicht, er sei viel zu gut weggekommen und spricht von Freiheitsstrafe. Die ebenfalls anwesende Finanzbeamtin denkt an mindestens 15 Jahre (jedenfalls macht sie so ein Gesicht). Und die Richterin fragt den Verteidiger nach dem Ziel der Verteidigung – der Sachverhalt sei doch bereits von der Steuerfahndung aufgeklärt.

Der Verteidiger vertritt die Ansicht, daß man die Zeugen doch wenigstens einmal anhören sollte, statt im Kaffeesatz zu lesen.

Ja, aber die müssen doch von weit her anreisen, wodurch hohe Reisekosten entstehen werden; und ob die dann wirklich aus Kiew, Belgrad oder Athen nach Berlin anreisen werden … gibt die Richterin zu bedenken.

Das Leben kann so gemein sein. Da verlangt der Verteidiger doch einfach, daß die Strafverfolgungsbehörde ihren Job macht und die Beweise liefert, die Grundlage für eine strafrechtliche Verurteilung sein sollten. Das ist aber auch frech.

Die Verhandlung wurde ausgesetzt, neuer Termin im Herbst, zu dem dann die Zeugen aus aus Kiew, Belgrad oder Athen zu laden sind …

Die Dame von der Finanzverwaltung denkt an lebenslange Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherungsverwahrung, als der Verteidiger sich von ihr verabschiedete.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft, Strafrecht, Verteidigung veröffentlicht.

11 Antworten auf Die Gedanken einer Finanzbeamtin

  1. 1
    BV says:

    Ist die Dame von der Finanzverwaltung nicht auch Zeugin? Hätte man die nicht mal vor der Tür warten lassen können?

  2. 2

    Nein, Zeugin ist sie nicht: § 407 AO. Ob der Verteidiger den Platzverweis verlangt bzw. durchzusetzen versucht, hängt u.a. von der Stimmung ab, die erforderlich ist, um das Verteidigungsziel zu erreichen.

  3. 3
    RA JM says:

    (Steuer-)Strafrecht in Deutschland …

  4. 4
    Gerti says:

    Bei dem Sachverhalt fallen mir aber noch viele Beweisanträge ein, die man auf dem Weg zum OLG stellen könnte. Sollte es erstinstanzlich zu einer Verurteilung kommen, bleiben solche Akten zunächst einmal zwei Jahre bei der Berufungskammer liegen, bis endlich ein Vorsitzender dran kommt, der nicht in vier Monaten das Pensionsalter erreicht hat und notgedrungen, aber völlig unmotiviert terminieren muß („153(a), Herr StA?“) . Welches Bestrafungsinteresse der Rechtsstaat 2012/2013 noch hinsichtlich angeblicher Steuerstraftaten aus dem Jahre 1999 haben darf, wird dann das OLG oder BVerfG entscheiden.

  5. 5
    Christian says:

    Ach herrlich!

    Iura novit fiscalia. (oder so ähnlich)

    Ich lese Ihren Blog immer wieder gerne, Herr Kollege. Bleiben Sie bissig gegenüber StA und Co., die mit Feierabendmentalität arbeiten!

  6. 6
    Lord says:

    400 TS? Ich dachte imnmer es gibt maximal 360?
    Ich hoffe mal auf eine Höhe von 15€ je TS

  7. 7
    Christian says:

    § 54 Abs. 2 StGB bei mehreren Taten.

  8. 8
    ben says:

    @ Lord: Schauen Sie mal in § 54 II StGB.

    @ Topic: Ich habe einen vergleichbaren Fall zu § 266 a StGB. Alles Zeuginnen osteuropäischer Herkunft, die unter der bekannten Anschrift nicht mehr zu ermitteln sind oder sich nach unbekannt abgemeldet haben ;-)
    Da wäre ein Deal ein Kunstfehler, schon auch wegen der folgenden finanziellen Haftung.
    Das Prozedere im 1. HV-Termin kann ich aber nur so bestätigen: SV eh klar, Zeugen so weit weg, kostet doch so viel, machen wir es doch kurz, blabla…

  9. 9
    Das Ich says:

    …und ich dachte, dass die Starfbarkeit nach 5 Jahren verjährt und es nur noch um Kohle geht? Was geht denn da bei euch in Berlin ab?

    Ich

  10. 10
    shabazz says:

    @ich (nr.9)

    Dafür gibt es ja § 376 AO bzw. § 78b, 78c StGB, die nicht nur in Berlin gelten ;-).

    Interessanter ist aber die Frage, wann die Verjährung iSv. § 78a StGB beginnt. Ist die Tat bereits mit Erhalt des Steuerbescheides beendet, bei Ablauf der Einspruchsfrist oder erst mit Festsetzungsfrist?

  11. 11

    Ganz schön kompliziert, nicht? ;-)

    Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage heißt das. Vielleicht sollte ich dann doch noch einen Antrag nach § 140 II StPO stellen.