Die verheizte Referendarin

Es gibt eine nächtliche Auseinandersetzung auf der Straße, an der auf der einen Seite ein betrunkener Erwachsener und auf der anderen Seite zwei 18jährige sowie ein 22jähriger beteiligt waren. Ein paar Anwohner und zwei jugendliche Mädchen haben den Streit mitbekommen. Es gibt ein Messer, ein Staubsaugerrohr, einen „Kampfhund“, einen abgerissenen Telefonhörer, ein Fahrrad und eine Fahrradlampe, die in der Schlägerei zum Einsatz bzw. zu Schaden kamen.

Der betrunkene Erwachsene wird verletzt und einer der 18jährigen; beide nicht besonders stark.

Das Verfahren gegen den betrunkenen Erwachsenen wird eingestellt, weil er die Behauptung bestreitet, den Streit begonnen zu haben. Zwei Beschwerden gegen die Einstellung haben keinen Erfolg.

Das Verfahren gegen den 22jährigen wird von dem Verfahren gegen die beiden 18jährigen getrennt. Er wurde angeklagt, das Verfahren dümpelt vor sich hin.

Ich verteidige einen der beiden 18jährigen. Das Landgericht bestellt mich – nach einer Beschwerde gegen den ablehnenden Beschluß des Amtsgericht – dem Angeklagten zum Pflichtverteidiger, wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage. Und weil der Geschädigte (der betrunkene Erwachsene) anwaltlich vertreten ist und sich als Nebenkläger dem Verfahren angeschlossen hat. Ein Adhäsionsantrag, mit dem Schmerzensgeld und Schadensersatz gefordert werden soll, ist zu erwarten.

Zum Termin werden die beiden Angeklagten mit ihren Verteidigern geladen, der Nebenkläger und seinen Vertreter sowie weitere neun Zeugen. Und zwei Vertreter der Jugendgerichtshilfe. Ein anwaltlicher Beistand für einen Zeugen war angekündigt.

Nicht ganz einfach also, die prozessuale Situation. Und was macht die Staatsanwaltschaft? In Kenntnis dieser Lage schickt sie als Vertreterin der Anklage eine Rechtsreferendarin. Das blanke Entsetzen stand nicht nur ihr auf dem Gesicht.

Die Richterin, die Verteidiger, der Nebenklägervertreter konnten im komplizierten Rechtsgespräch eine Einigung finden.

Die Referendarin hatte ihre Anweisung, vermutlich die Verurteilung anzustreben. Jedenfalls verweigerte sie ihre Zustimmung. Ihr Ausbilder war nicht erreichbar. Der Tagesdienst der Staatsanwaltschaft schloß sich dieser Weigerung ohne weitere Prüfung an. Die Referendarin war zu bedauern; sie bedauerte sich auch selbst: „Jetzt bin ich hier der Buhmann.“

Diese Situation wäre vermeidbar gewesen, wenn sich irgendein Staatsanwalt einmal Gedanken gemacht hätte.

Damit das ganze Ding doch noch zu retten war, habe ich einen Beweisantrag gestellt, die beiden Mädchen als Zeuginnen zu laden. Damit wären wir heute ohnehin nicht fertig geworden. Deswegen wurde meinem Aussetzungsantrag unter Zustimmung aller Beteiligten, insbesondere der Referendarin, stattgegeben.

Nun wird die Staatsanwaltschaft Gelegenheit bekommen, sich Gedanken über eine sinnvolle Ausbildung ihrer Referendare zu machen.

Falls es doch zu einem Urteil kommen sollte, werde ich beantragen: „Die Kosten und die Auslagen des Verhandlungstages am 23.4.09 werden dem Ausbilder der Sitzungsvertreterin auferlegt.“ Verdient hätte er es.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

7 Antworten auf Die verheizte Referendarin

  1. 1
    Sabbel says:

    Gegenüber der Referendarin eine echte Unverschämtheit, nichts Besonderes aber für die Staatsanwaltschaft, die gerne einmal in komplizierte Wirtschafts- oder Kapitalstrafsachen, die seit Jahren laufen und mehrere Aktenbände füllen, in die entscheidende Sitzung einen völlig uninformierten Sitzungsvertreter mit einer hauchdünnen Handakte schickt, der dann nicht in der Lage ist, sich zu Vorgängen in der Hauptverhandlung zu äußern.

    Ein Verteidiger, der zu einer entscheidenen Sitzung – und nicht nur zu einem Schiebetermin – einen uninformierten Vertreter schickt, bekommt regelmäßig vom Vorsitzenden den Kopf gewaschen. Daß ein Staatsanwalt für seine Uninformiertheit einmal zusammengefaltet wird, erlebt man doch eher selten.

  2. 2

    […] ist heute ein Beitrag von Rechtsanwalt Hönig aus Berlin Top-Meldung mit dem Titel “Die verheizte Referendarin”. Darin beschreibt er einen Fall, bei dem eine Referendarin als Sitzungsvertreterin der […]

  3. 3
    Edding says:

    Vermutlich ist bei dem Verteidiger zu lange her, aber vielleicht mag er sich an die Abläufe bei der StA erinnern. Der Ausbilder bestimmt nicht, zu welcher Sitzung sein Referendar geht, wenn der Referendar Glück hat, bekommt er die Anklageschrift rechtzeitig mit der Handakte und kann sie mit seinem Ausbilder besprochen. Für die Rechtzeitigkeit kann der Ausbilder schon mal gar nix, schließlich kommen die nicht einaml von seiner Geschaäftstelle idR. Wenn der Referendar Pech hat, leiht er sich schon mal die Anklageschrift aus der richterlichen Akte in der HV, damit er die Anklage wenisgtens vorlesen kann, in Köln verzichtet man auch auch schon mal ganz auf die Verlesung:-). Die Referendarin ist natürlich weisungsgebunden, sie darf aber natürlich Freispruch selbst beantragen, was offentlich hier der Sachverhalt nicht hergab. Dass sie eine Verurteilung anzustreben hatte, wage ich zu bezweifeln, sie darf halt keinen „Deals“ zustimmen. Und das der Tagesdienst der Sache zustimmt, also Verantwortung für eine andere Sache übernimmt, kommt ja auch nur Ausnahmefällen vor. Die Beschwerde geht also nicht an den Ausbilder, sondern an diejenigen, die die Geschäftsverteilung machen…

  4. 4

    […] Nach über einer Stunde waren sich alle einig – zwei Verteidiger, zwei Angeklagte, ein Nebenklägervertreter, ein Nebenkläger, eine Richterin. Das Verfahren sollte eingestellt und der Nebenkläger angemessen entschädigt werden. Nur eine wollte nicht – die Rechtsreferendarin, die als Sitzungsvertreterin die Anklage vertrat. Darüber hatte ich bereits hier berichtet. […]

  5. 5
    Gutachter says:

    Wie sagte neulich der Vertretungsstaatsanwalt bei einer Verkehrsunfallsache?
    „Ich hab sonst mehr mit Vergewaltigungen zu tun. Aber das sind ja auch so ne Art Verkehrsunfälle.“

  6. 6

    […] April 2009 wurde dann ein neuer Termin anberaumt. Darüber habe ich hier und hier (lesen!!) […]

  7. 7

    […] über Referendare als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft berichtet worden, ob sie nun verheizt worden sind, sich blamiert haben oder auch einfach einen guten Eindruck gemacht […]