Dumpfe Berufung der Staatsanwaltschaft

Einmal mehr: Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft beantragt eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen, nach einer 5-stündigen Hauptverhandlung. Der Verteidiger stellt keinen Antrag. Das Urteil lautet: 50 Tagessätze.

Wer legt Berufung gegen das Urteil ein? Die Staatsanwaltschaft, in concreto: Ein Staatsanwalt, der gar nicht im Termin war. Er will eine Freiheitsstrafe – für eine Trunkenheitsfahrt auf dem Fahrrad, kurz vor Ablauf der vierjährigen Bewährungsfrist in einer Uraltgeschichte. Die schriftlichen Urteilsgründe liegen noch nicht vor, aber der Kerl hat seine Berufung bereits begründet. Von nichts eine Ahnung, aber ein Rechtsmittel einlegen, weil das Schema F nicht paßt.

Und das soll ich nun dem psychisch kranken Mandanten erklären, für den das Urteil ein wichtiger Baustein auf dem Weg zur Stabilisierung seiner Erkrankung war.

Es ist ein ganz elendes Gefühl, gegen dumpfe Willkür schlicht ohnmächtig zu sein. Da soll da ein engagierter Verteidiger die Contenance bewahren?

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

9 Antworten auf Dumpfe Berufung der Staatsanwaltschaft

  1. 1
    isi says:

    Müßte sich da nicht eigentlich der Richter verarscht vorkommen? Gilt „Mißachtung des Gerichts“ nicht auch für die StA? ;-)

  2. 2
    abc says:

    Zumindest ein engagierter, guter Verteidiger sollte es…

  3. 3
    Ref.iur. says:

    Der Sitzungsvertreter der StA war wahrscheinlich ein Referendar, sonst hätte er entweder einen Rechtsmittelverzicht erklärt oder er hätte es zumindest seinem Abteilungsleiter entsprechend verkaufen können. – Ist ja auch peinlich für ihn.

    Aber selbst wenn es ein Referendar gewesen ist, so scheinen 50 TS auch bei einer länger zurückliegenden Vorbelastung doch angemessen, insbesondere unter Berücksichtigung der persönlichen Situation.

    Es ist schade, wenn solche Dinge passieren, da sich auch die StA mit so etwas nicht unbedingt glaubhaft macht. Ich selbst habe so einen Mist zum Glück nicht in meiner Station erlebt und eigentlich immer erfahren, dass man mir als Sitzungsvertreter einen relativ weiten Ermessenspielraum einräumte (eben weil es auch maßgeblich auf die Sitzung ankam). Ich hoffe, das ist die Regel…

  4. 4
    Hannes says:

    „Er will eine Freiheitsstrafe – für eine Trunkenheitsfahrt auf dem Fahrrad, kurz vor Ablauf der vierjährigen Bewährungsfrist in einer Uraltgeschichte.“

    Der Fehler liegt nicht beim Staatsnwalt, sondern bei dem, der gegen die Bewährung verstoßen hat.

  5. 5
    Kampfschmuser says:

    @Hannes
    Klugsch**ssen hilft bekanntlich nicht weiter.

  6. 6
    Tom Paris says:

    @Hannes

    Schon. Aber der kluge Staatsanwalt stellt sich in einem solchen Fall auch die Frage, was man mit dem Strafrecht erreichen möchte. Freiheitsstrafe ist in unserem Strafjustizsystem kein Selbstzweck.

  7. 7
    lothar says:

    Es hat sich schon so mancher Referendar/ Berufsanfänger von einem Papa-Gnädig-Strafrichter zu einem viel zu milden Antrag bequatschen lassen, und natürlich ist es Aufgabe der StA, in einem solchen Fall im Wege der Berufung eine halbwegs einheitliche Praxis sicherzustellen.

  8. 8
    BV says:

    Na ja, eine laufende Bewährung – unterstellt es geht um einen einschlägige Vorbestrafung – zeigt ja, dass der Verurteilte schon etwas mehr auf dem Kerbholz hat. Ansonsten hätte es damals ja keine Freiheitsstrafe gegeben. Unter diesem Gesichtspunkt tendiere ich – natürlich ohne Details zu kennen – auch eher zu einer weiteren Freiheitsstrafe. In Anbetracht der vergangenen Zeit hätte man die ja erneut zur Bewährung aussetzen können. Und man müsste die alte Bewährung nicht widerrufen, sondern ggf. verlängern. Über Bewährungsauflagen ließe sich möglicherweise auch ein sinnvoller Umgang mit der psychischen Erkrankung finden bzw. unterstützen.

    @ lothar: Wieso sollte sich ein Referendar bequatschen lassen? Die Anträge binden das Gericht doch nicht. Der gnädige Richter darf auch den Antrag vom Referendar halbieren.

  9. 9
    Staatsanwalt says:

    50 Tagessätze erscheinen mir selbst bei einer nicht einschlägigen Bewährung für dieses Delikt absolut ausreichend. Allerdings deutet eine vierjährige Bewährungszeit bei der Vorbelastung auf ein sattes Vorstrafenregister hin.

    Ws mir aber als Insider auffällt:

    Das Delikt fällt auch in Berlin in die Zuständigkeit der Amtsanwaltschaft (Nr. 17 OrgStA Berlin)

    Amtsanwälte schreiben (jedenfalls in NRW) keine Berufungsbegründungen da sie nicht gegenüber dem Landgerichten postulationsfähig sind (142 Abs. 2 GVG, Nr. 3 OrgstA Berlin) In manchen Behörden liefern sie jedoch für ihre eigenen Sache Entwürfe die dann ein Staatsanwalt abzeichnet (oder auch nicht).

    Die Rechtsmittelschrift und die Begründung sind in NRW vor Abgang dem Abteilungsleiter vorzulegen (Nr. 10 Abs. 2 OrgSta NRW). In der OrgStA Berlin habe ich nichts vergleichbares gefunden, allerdings einen Hinweis auf eine Zeichnungsverfügung. Ich halte eine Parallelregelung in Berlin wahrscheinlich.

    Dass hier mehrere (erfahrene) Verantwortliche der Staatsanwaltschaft einen – soweit hier nachvollziehbar – absoult vertretbaren Antrag der StA korrigieren wollen und damit entweder den Sitzungsvertreter oder sich selbst mit einer zu erwartenden Berufungsrücknahme oder gar Verwerfung blamieren erscheint mir ungewöhnlich, wenn man auch menschliches Versagen nie ausschließen kann.