Kein Fall notwendiger Verteidigung

Vor dem Hintergrund schwerwiegender sozialer Probleme und psychiatrischer Symptome benötigt Herr Brause aus meiner Sicht dauerhaft Unterstützung bei der Regulierung finanzieller und behördlicher Angelegenheiten. Diagnostisch ist von einer schweren Persönlichkeitsstörung auszugehen.

schreibt der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Anfang 2009 über den Mandanten. Unter anderem aufgrund dieser Stellungnahme bestellt ihm das Vormundschaftsgericht einen Betreuer.

Ich habe nun beantragt, mich dem Mandanten als Pflichtverteidiger zu bestellen, weil er „unfähig ist, sich selbst zu verteidigen ( § 140 II StPO)“

Das Amtsgericht schreibt:

Auch aus sonstigen Gründen (§ 140 Abs. 2 StPO) erscheint die Beiordnung eines Pflichtverteidigers nicht geboten. Zwar steht der Angeklagte unter Betreuung. Dennoch ist der Angeklagte nach dem Gutachten des Dr. [anderer Psychiater] geschäftsfähig. Dies beinhaltet Verhandlungs- und Verteidigungsfähigkeit.

Daß das Gutachten des anderen Psychiaters aus dem Jahre 2005 stammt (wir haben bald das Jahr 2010) und daß der Kauf eines Brots oder einer Flasche Wein, für das die Geschäftsfähigkeit meines Mandanten sicher ausreichen dürfte, eine andere Qualität hat, wie eine Verteidigung gegen den Vorwurf (laut Anklage):

in einer Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören, wider besseren Wissens vorgetäuscht zu haben, die Verwirklichung eines gemeingefährlichen Verbrechens der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion nach § 308 StGB stehe bevor,

hat sich bis zu der Richterin am Amtsgericht noch nicht herumgesprochen.

Das werde ich dann mal nachholen.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

4 Antworten auf Kein Fall notwendiger Verteidigung

  1. 1
    RA Neldner says:

    Bei so einer Anklage sind wahrscheinlich die meisten gesunden Nicht-Juristen überfordert, sich selbst zu verteidigen. Um so mehr ein psychisch Kranker. Bei unter Betreuung stehenden Personen sollte meines Erachtens ohnehin stets ein Pflichtverteidiger bestellt werden. Auch ein „wohlmeinender“ Richter kann die Rechte des Angeklagten nicht so wahren wie ein ordentlicher Verteidiger.

  2. 2
    cledrera says:

    „Das werde ich dann mal nachholen.“

    Gelegentlich sorgt dieser Blog dafür, dass ich mich kugle vor Lachen.

  3. 3
    gb says:

    | Bei so einer Anklage sind wahrscheinlich die
    | meisten gesunden Nicht-Juristen überfordert,
    | sich selbst zu verteidigen.

    ist das nicht schon bei ’nur‘ 21 km/h igO ‚drueber‘ der Fall? Ohne Rechtsbeistand hat man doch immer die Karte, und wenn man sich den nicht leisten kann ist man sowieso schon abgeschrieben :(

  4. 4
    RA Neldner says:

    @gb: Bußgeldbescheide wegen Ordnungswidrigkeiten sollte man m.E. entweder mit Anwalt anfechten oder gar nicht(also Zähne zusammenbeißen und zahlen).

    Bei „richtigen“ Strafsachen ist aber durchaus zu bedenken, dass auch ein Pflichtverteidiger im Nachhinein bezahlt werden muss, wenn die Kosten nicht niedergeschlagen werden. Dazu kommt, dass ein schlechter Verteidiger nun mal für den Angeklagten schlimmer ist als der beste Staatsanwalt, weil er seinem Mandanten gehörig schaden kann und in vielen Fällen den „Jagdeifer“ von Staatsanwalt und Richter weckt.

    Bei 08/15-Anklagen mit KLARER Schuldfrage wie Ladendiebstahl, Erschleichen von Leistungen evtl. Fahren ohne Fahrerlaubnis, (einfacher) Körperverletzung kann es alles in allem besser, v.a. billiger sein, auf einen Anwalt zu verzichten.

    Wer auf einen Freispruch aus ist, kommt mit einem guten Anwalt aber immer besser.