Rausschmiss nach 21 Jahren

Mit welcher Menschenverachtung die Bayerische Justiz mit Häftlingen umgeht, dokumentiert Hans Holzhaider in einem Artikel für die Süddeutsche Zeitung:

Plötzlich konnte es gar nicht schnell genug gehen. Am 5. März, nachmittags um halb vier, rasselte der Schlüssel in der Tür zur Zelle Nummer 76 in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Straubing, der Abteilungsbeamte kam herein und sagte, „Sieber, Sie kommen raus. In zehn Minuten müssen Sie die Anstalt verlassen.“ Helmut Sieber, 63, konnte gerade noch seine beiden Wellensittiche einfangen und hastig ein paar Akten in einen Karton packen, dann ging es schon im Schlepptau des Beamten ab in die Kleiderkammer.

Er bekam seine Zivilsachen und zog sich um. Zeit, sich von seinen Zellennachbarn zu verabschieden, blieb ihm nicht. Es dauerte keine halbe Stunde, da stand er draußen vor dem Gefängnistor auf der Äußeren Passauer Straße. Nach 21 Jahren in der Zelle, ohne Vorwarnung, ohne auch nur einen einzigen Ausgang oder Hafturlaub, um sich auf die Freiheit vorzubereiten.

Quelle und mehr: Süddeutsche Zeitung

Weiter heißt es in dem Artikel:

Der Nürnberger Justizsprecher Andreas Quentin schildert das als einen Ablauf, bei dem die Justiz nicht den geringsten Ermessensspielraum gehabt habe.

Die Würde eines jeden Menschen steht nicht im Ermessen der Justiz.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz, Knast veröffentlicht.

7 Antworten auf Rausschmiss nach 21 Jahren

  1. 1

    […] Beitrag in der Handakte / Beitrag auf Kanzlei Hoenig Info […]

  2. 2
    ben says:

    Aus eigener Erfahrung – als Verteidiger – mit der bayerischen Justiz, insbesondere dem bayerischen Strafvollzug, kann ich das Beschriebene nur bestätigen.
    Den Gefangenen werden Steine in den Weg gelegt, wo es nur geht. Schikane und Disziplinarverfahren wegen Nichtigkeiten sind an der Tagesordnung. Ausgang wird torpediert, wo es nur geht. Und alles nur, um den Gefangenen das Leben schwer zu machen und einer evtl. vorzeitigen Entlassung entgegenzusteuern.

    In der hiesigen JVA gibt es zwei Standardsätze, die man von den Gefangenen hört:
    – Wir befinden uns hier im Verwahrvollzug.
    – Die Strafvollstreckungskammer ist der verlängerte Arm der JVA.

  3. 3
    Insider says:

    Aus eigener Erfahrung – nämlich als ehemaliger Inhaftierter – kann ich das im SZ-Artikel von Hans Holzhaider beschriebene Gebaren der JVA Straubing und auch den Kommentar von ben (leider) nur bestätigen.

    Ich selbst war in den 90er Jahren zu einer zehnjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Abgesehen von ca. sechs Monaten verbüßte ich diese Zeit komplett im bayerischen Strafvollzug, darunter knapp drei Jahre in besagter berühmt-berüchtigter JVA Straubing. Schon damals wurde der Fall Helmut Sieber unter uns Gefangenen mit Fassungslosigkeit bedrückt zur Kenntnis genommen und heiß diskutiert.

    Als ich Helmut persönlich kennenlernte, hatte er gerade das zweite Jahr seiner auf die Haft folgenden Sicherungsverwahrung hinter sich. Niemand unter uns Gefangenen konnte auch nur ansatzweise nachvollziehen, dass bzw. warum eine Sicherungsverwahrung gegen einen Einbrecher tatsächlich auch vollzogen wurde. Es hätte durchaus auch andere Möglichkeiten gegeben…

    Dass Helmut Sieber erst vor kurzem entlassen wurde, war mir nicht bekannt. Mich bedrückt sein Schicksal sehr. Ein Schicksal, das auch mir hätte drohen können, das ich aber abzuwenden wusste.

    Während meiner etwa drei Jahre in der JVA Straubing habe ich es mehrfach erlebt, dass Langzeitgefangene ohne jegliche Entlassungsvorbereitungen (wie z.B. Ausführungen, Ausgänge oder Urlaube) von einem Tag zum nächsten entlassen wurden. Wer denkt, Herr Sieber sei ein Einzelfall, kenn die Realitäten nicht. Ein solcher Gefangener meinte am Vorabend seiner Entlassung auf meine Frage, was er denn mache, wenn er vor dem Tor stehe, zu mir Folgendes: „Na, dann nehme ich meine Tüten und schaue, ob ich nach rechts oder links gehe…“. Traurig, aber wahr. Verwahrvollzug ist in der JVA Straubing leider die Regel.

    Ich selbst „durfte“ nach zahlreichen vergeblichen Anträgen erst nach zwei (!) Jahren in der JVA Straubing zum ersten Mal einen Sozialarbeiter sprechen. Bei diesem „Sozialarbeiter“ handelte es sich um einen ehemaligen Kripo-Mann, der infolge massiven Fehlverhaltens aus dem Job entfernt worden war und seitdem sein Gnadenbrot von der JVA Straubing zu mir. Dieser Mann sagte zu mir, obwohl er mich nie zuvor gesehen hatte und nur meine Akte kannte: „Herr Insider, Sie sind hier in der JVA Straubing der klassische Fall für eine später durch die JVA zu beantragenden nachträglichen Sicherungsverwahrung (SV). Sie brauchen sich hier nur das Geringste zuschulden kommen lassen, und schon war es das für Sie. Wir haben hier schon mal einen Gefangene erfolgreich in die SV bekommen, nur weil er einem Bediensteten wütend seinen vollen Aktenordner vor die Füße geworfen hatte…“.

    In diesem Moment stand mein Entschluss fest: Ich würde alles versuchen, wirklich alles, um in eine andere JVA verlegt zu werden. Wie schwierig – ja, fast unmöglich! – dies ist, wird der Kommentator ben möglicherweise bestätigen können. Insbesondere die JVA Straubing wehrt sich mit Händen und Füßen dagegen, wenn ein Gefangener einen nachvollziehbaren und durchaus sinnvollen Antrag auf Verlegung stellt (z.B. auf eine heimatnahe Verlegung…). Handelt es sich hierbei auch noch um den begründeten Wunsch, in ein anderes Bundesland überstellt zu werden, so stehen die Erfolgsaussichten quasi bei Null.

    Ausnahmen bestätigen in diesem Fall allerdings die Regel. Ich kann mich daran erinnern, dass es dem so genannten „Sedlmayr-Mörder“ (Walter Sedlmayr = bayr. Schauspieler; ermordet im Jahre 1990) Herrn Wolfgang W. tatsächlich gelang, nach jahrelangem Kampf von der JVA Straubing in die JVA Schwalmstadt (Hessen) verlegt zu werden.

    Auch nach all den Jahren sind meine Gedanken nach wie vor sehr oft bei den Gefangenen in der JVA Straubing, insbesondere bei Hans S., der dort mittlerweile zum fünfzehnten Male seinen Geburtstag feierte und aufgrund seines fortgeschrittenen Alters und seines angeschlagenen Gesundheitszustandes die JVA vermutlich nicht mehr lebend, sondern nur noch „in der Horizontalen“ verlassen wird. Herr Hoenig, übernehmen Sie!

    Unter http://www.mitbestraft.eu entsteht demnächst übrigens eine neue informative Plattform zum Thema „Strafvollzug“.

    Insider

  4. 4

    […] dem Beitrag Rausschmiss nach 21 Jahren gibt es einen Kommentar, der nicht in der zweiten Reihe bleiben sollte. Ein ehemaliger Häftling […]

  5. 5
    ben says:

    Nach Lektüre des eindrucksvollen und bedrückenden Berichts von Insider darf ich klarstellend anmerken, dass ich mich NICHT auf die JVA Straubing bezogen habe, sondern auf eine andere bayerische Regelvollzugs-Anstalt, was den Zustand in diesem Bundesland nur noch deutlicher macht.

    Ein weiteres Beispiel: Mdt. sitzt wegen BtM-Handels. Im Urteil wurde seine Drogenabhängigkeit festgestellt. Der Gutachter befürwortete ausdrücklich § 35 BtMG, was sich ebenfalls aus dem Urteil ergibt. In der JVA fühlt sich niemand zuständig, den Mdt. bei einem 35er-Antrag zu unterstützen.

    Im Gegenteil, es spielte sich folgender Dialog in der Anstaltsbeiratssitzung in Gegenwart eines Landtagsabgeordneten ab:

    Abteilungsleiter:
    „Wie lange nehmen Sie keine Drogen mehr?“

    Mdt.:
    „Seit ich hier bin.“

    Abteilungsleiter:
    „Und wie lange sind Sie schon hier?“

    Mdt.:
    „Seit über 2 Jahren.“

    Abteilungsleiter:
    „Wenn Sie es hier schon 2 Jahre ohne Drogen ausgehalten haben, brauchen Sie jetzt auch keine Therapie mehr.“

    Es gibt Tage, da kann man gar nicht so viel essen, wie man ko… möchte.

  6. 6
    Fr. Martin says:

    Hallo, ich hätte eine Frage und zwar wie wahrscheinlich es ist das ein Gefangener von der jva Straubing,in eine andere jva (in der Umgebung) kommen kann?

  7. 7
    BRD says:

    Die deutsche Justiz, speziell die in Bayern, bestätigt mit ihren Verhaltensweisen genau den Eindruck von der BRD = Bananen Republik Deutschland.
    Ich bin bisher, speziell in den letzten 6 Jahren, noch nie in einem derartig hohen Mass und Anzahl an Rechtsbeugung und Straftaten begegnet, wie im Dunstkreis der Straubinger JVA. Ich hoffe, dass endlich mal Karlsruhe diesen Stall ausmistet und die Drahtzieher dahin kommen, wohin sie gehören, nämlich hinter Gittern!