Richterlicher Notdienst in der Nacht …

… scheitert nach Ansicht zumindest eines beteiligten Richters daran, daß er

Kräfte für den nächsten Tag sammeln

muß. Ok, aber das müssen Krankenschwestern auch. Und Strafverteidiger. Nun ja, es mag bei Richtern anders liegen.

Aber es gibt ein weiteres Argument des zitierten (von mir geschätzten) Richters dafür, ab 23 Uhr die Schlafmütze überzuziehen:

Dem Richter ist die Ermittlungsakte also samt dem Antrag der StA vorzulegen. Er hat die Akte durchzuarbeiten und ggf. einen Durchsuchungsbeschluss schriftlich mit Begründung zu erlassen, zu unterschreiben und mit dem Dienstsiegel zu versehen. Da die Richter normalerweise nicht neben dem AG-Gebäude wohnen, ist mit Anfahrtzeiten zu rechnen.

Wenn ich mir so anschaue, wie in Moabit die Akten transportiert werden, dann hat ballmann Recht.

Wie sähe es denn aus, wenn sich die Ermittlungsbehörden und die Justiz einmal dazu aufraffen könnten, mit Technik zu arbeiten, die dem übrigen Volk seit mehr als einem Jahrzehnt zur Verfügung steht? Den Adobe Akrobat und Flachbettscanner gab es schon, als ich noch Hausarbeiten für das JPA schreiben mußte.

Der Polizei-Bericht flugs auf dem Laptop getippt, die Digitalfotos zur Akte gespeichtert, mit der Karte signiert, per UMTS durch ein VPN an den Bereitschafts-Staatsanwalt, von dort elektronisch weiter an die richterliche Schlafmütze, die kurz gelupft wird. Studium der Akte im Bett liegend und per VPN die Mitteilung an das SEK vor Ort, daß die Durchsuchung unverhältnismäßig oder rechtmäßig wäre. Auf dem Weg zum Einsatzort wird der Beschluß im Einsatzwagen ausgedruckt („… ist auch ohne Unterschrift gültig!„), am Durchsuchungsobjekt angekommen die Tür eingetreten und den Beschluß dem am Boden liegenden Grundrechtsträger vorgelegt.

In unserer Kanzlei wäre sowas kein Problem. Mir steht auch dann die gesamte Infrastruktur unserer Kanzlei zur Verfügung, wenn ich Weihnachten am Lago Maggiore sitzend von einem Mandanten beim Marzipanessen und Kräfte-für-die-nächsten-Wochen-Sammeln gestört werde.

Man muß nur wollen. Dann geht das. Auch nach 23 Uhr.

Dieser Beitrag wurde unter Justiz veröffentlicht.

11 Antworten auf Richterlicher Notdienst in der Nacht …

  1. 1
    ballmann says:

    Ich schrieb von Kräften sammeln „können“, nicht „müssen“, sehr geschätzter Herr Rechtsanwalt Hoenig.
    Über die technische Ausstattung der Gerichte hatte ich ja auch schon berichtet.
    Im Ergebnis haben Sie völlig Recht. An anderer Stelle hatte ich geschrieben, dass es am sinnvollsten wäre, die gesamte Strafakte zu scannen und dem Verteidiger statt Akteneinsicht eine dvd zu seiner weiteren Verwendung zu kommen zu lassen.

    Aber, Sie wissen ja: Berlin ist arm und sexy, die restlichen Bundesländer sind nur arm.

    Das Justizressort wird in allen BL fianziell völlig vernachlässigt, zum Teil ist ja sogar schon über eine Auflösung des entsprechenden Fachministeriums nachgedacht worden.

    In den Blickpunkt des politischen Interesses gelangt die Justiz nur beim Auffinden eines toten Kindes oder dem spektakulären Ausbruch eines Häftlings.

  2. 2

    Dann lassen Sie stets einen Tropfen in Ihrem und ich in meinen Blogs in die mittelalterliche Wunde fallen. Vielleicht hilft’s ja. Die Hoffnung …

  3. 3
    Jule says:

    ..stirbt zuletzt. Genauer: die is schon hinüber. Wir bekommen das Geld dafür nicht. Das wird woanders ausgegeben. Versandet im Nirwana. Oder in Konjunkturpaketen. Wir bekämen es noch nicht mal dann, wenn wir den Finanzminister in einem Land, das nicht mal sexy ist, auf den Kopf stellen und schütteln würden. So einfach ist das auch.

  4. 4
    Das Ich says:

    Was ist denn ein Adobe Akrobat? Ein Artist des Zirkus Adobe? ;-)

  5. 5
    Pflichtfeld says:

    Warum werden die Akten nicht allesamt digitalisiert? Dafür gibt es sicherlich mehrere gute Gründe:

    1. Das System heute funktioniert trotz aller Widrigkeiten. Es läuft nicht optimal, aber die Aufgaben werden erfüllt.

    2. Datenschutz. Wo Daten digitalisiert werden, wächst das Risiko enorm, dass „Interne“ sowie Externe riesige Datenmengen durch Kopien wegschaffen können. Mit analoger Technik in der Liechtensteiner Bank wäre Zumwinkel sicherlich nicht aufgeflogen…

    3. Es ist in den meisten Fällen nicht nötig, die Akte zu digitalisieren auf Grund der Banalität des Falls oder auf Grund der geringen Zugriffe.

    4. Nicht nur auf staatlicher Seite setzte eine komplette Digitalisierung Technik-KnowHow und -Hardware voraus. Mehrkosten entstünden gerade bei kleineren Kanzleien.

    5. Wer soll das alles einscannen? Geschäftstellen-Mitarbeiter? Akten von mehreren Bänden jeweils zeitnah einscannen erfordert einen riesigen Zeitbedarf.

    6. Nicht nur die Staatsanwaltschaft/Gericht müsste dann digitalisiert werden, sondern auch die Polizei. Das ist natürlich ein Hohn wenn man bedenkt, dass die Polizei seit 20 Jahren auf digitalen Sprechfunk wartet. Dieser ist auch viel wichtiger als die Digitalisierung von Akten, denn nachgewiesenermaßen bricht das analoge System bei allen größeren Unglücksfällen zusammen.

    7. Digitalisierung braucht Standardisierung. Bei 16 Bundesländern + Bund (haha, IMK) ist es wohl unmöglich kompatible Formate zu entwerfen.

    8. Die Speicherung dieser Daten müsste wohl klug angestellt werden, denn es käme ein riesiger Datenberg auf uns zu. Abgesehen von den erheblichen Kosten der Speicherung und der Spiegelung: Speicherung wäre ein gefundenes Fressen für Angreifer.

    9. Wie schauts mit Backups aus? Doppelte Verwaltung durch Papier-Akte und Digitalakte? Doppelter Aufwand? Nur digitale Akten erscheint doch recht unsicher.

    10. Der Zugriff ist bei digitalen Systemen nicht hinreichend beschränkbar. Man muss damit rechnen, dass auch Fremde Zugriff erlangen können. Dies ist bei einer Papier-Akte eher unwahrscheinlich und auch schwieriger.

    11. Die Richterschaft und die Staatsanwälte müssten entsprechend geschult werden. Abgesehen vom Kostenaufwand muss wohl auch mit einem hohen Engstirnigkeitsaufwand technik-resistenter Juristen gerechnet werden.

    @ballmann

    Eine kurze Frage: Sie schreiben doch Ihre Urteile selbst. Dauert das nicht wesentlich länger als das Diktieren?

  6. 6
    Chak says:

    Pfichtfeld, das sind doch alles Ausflüchte. Wo es dem Staat nützt, bei der Steuererhebung, da wird die Digitalisierung dem Bürger aufgezwungen, insofern meint wohl auch der Gesetzgeber, die von Ihnen vorgebrachten Gegenargumente seien haltlos.

  7. 7

    @ Pflichtfeld:
    Wenn Sie 120 Jahre früher diesen Kommentar geschrieben hätten, hätten Sie uns bestimmt vor den immensen gesundheitlichen Problemen gewarnt, die Fortbewegungen mit Geschwindigkeiten von über 8 km/h auslösen.

    Kommen Sie mal für ne Stunde bei uns in der Kanzlei vorbei. Dann zeige ich Ihnen, daß das, was Sie da an die Wand malen, Quatsch ist. Vollkommener Unsinn.

    Ich halte daran fest:

    Man muß nur wollen. Dann geht das.

  8. 8
    ballmann says:

    @ Pflichtfeld

    – Die Grundbücher werden in den meisten BL bereits digital geführt (und zwar ausschließlich)

    – mein 2-Fingersuchsystem wird immer besser
    Ich trage mich aber mit dem Gedanken, mir aus der Privatschatulle eine Spracherkennungssoftware zuzulegen

  9. 9
    le D says:

    @ballmann: und auch die HR-Sachen werden von den Notaren rein elektronisch eingereicht. Das mit der Spracherkennungssoftware sollte probiert werden. Das funktioniert ziemlich gut. :-)

    @Pflichtfeld zu Punkt 2: Da muß halt ein Konzept her.

    Punkt 3: Entweder alles oder gar nicht (übergangsweise beides).

    Punkt 4: kleine Kanzleien sind überwiegend extrem kostenbewußt und setzen grade deswegen auf digitales Büro. Und es geht (vorerst) auch nicht um die Kommunikation zwischen Gericht und Anwalt, sondern um die zwischen Gericht und Staatsanwaltschaft.

    Punkt 5: Ein Scanner soll das alles einscannen. 500 Blatt ist kein Akt – enttackern, einlegen, Knopf drücken und in weniger als 6 Minuten ist das gescannt (incl. Korrektur, wenn schräg eingezogen wurde).

    Punkt 6: Die Polizei kann IMO ruhig Papierakten führen und im Falle eines Antrages die Akte entweder zu Staatsanwalt bringen oder faxen.

    zu Punkt 7: Der Standard ist bereits da und nennt XJustiz. (wundert mich, dass ich als RA einem (mutmaßlichen?) Richter schreibe, wie der bei ihnen im Hause künftig verwendete Standard heißt…)

    Punkt 8: Eine Terabyte-Platte kostet nen Appel und nen Ei. Wir haben in der Kanzlei nur eine kleinere Anlage (RAID5 mit 4×500 GB-Platten). Da liegen – komplett gescannt – an die 3000 Akten drauf; dabei stehen ja nur 1,5 TB Daten im Raum, weil 500 GB Parität sind.) Das Raid ist nichteinmal zu einem Drittel mit Daten gefüllt. 500 GB sind als Festplatte heute fast unterdimensioniert. Speicherplatz ist nicht das Problem.

    Punkt 9: Wieso sollten digitale Akten unsicher sein? RAID ist das Stichwort. Schnell und (wenn man möchte auch mehrfach) redundant.

    Punkt 10: FUD (oder Unwissenheit). Rechteverwaltung funktioniert – und mit einer hinreichend verschlüsselten Festplatte kommt ein Dieb nicht weiter. Das ist im Gegenteil sogar deutlich sicherer als eine Akte aus Papier.

    Punkt 11: Und wegen der Engstirnigkeit werden dann lieber Grundrechteingriffe sehenden Auges hingenommen.

    Ein tolles Selbstverständnis…

  10. 10
    gb says:

    11. Die Richterschaft und die Staatsanwälte müssten entsprechend geschult werden. Abgesehen vom Kostenaufwand muss wohl auch mit einem hohen Engstirnigkeitsaufwand technik-resistenter Juristen gerechnet werden.

    und nachdem ich letztens die Stempelage einer Kostenbeamtin bei Gericht live erlebt habe (incl. der alle Vorurteile bestaetigenden ‚Arbeitsgeschwindigkeit, -logik sowie -freundlichkeit‘, wuerde ich das als „Projekt 3000“ sehen, fruehestens jedoch 2050…

    gb

  11. 11
    RA says:

    Was bei quasi allen Versicherungen funktioniert, sollte eigentlich auch bei Gericht zu schaffen sein. Dann würde sich auch das Problem erledigen, dass gerade in größeren Verfahren eigentlich Doppelakten angelegt werden sollten, was aber nie gemacht wird und somit zu Verzögerungen führt.

    Zur Sicherheit. Wenn ich hier ins AG oder in die Sta marschiere, kann ich mir jede beliebige Akte rauskramen, ohne dass sich jemand dran stört. Hier ist immer Tag der offenen Tür.

    Während einer Umbaumaßnahme der Sta gab es hier sogar einen großen Skandal, weil Zeitungsfotografen Akten, die im Flur (!!!) lagerten, abfotografiert haben. Es besteht zudem keine (!!) Einlasskontrolle. Es kann jeder rein.

    Und gerade für kleine Kanzleien, wie wir es z.B. auch sind, lohnt sich Technik immens. So kann man Zeit und Geld sparen und wirtschaftlich arbeiten.

    Ermittlungsakten lege ich in den Einzug und schwups, ist sie gescannt. Zugegeben, mein Scanner ist nicht der schnellste. Für eine dicke Akte braucht der schonmal ne Stunde, dafür hat er aber auch nur 150 Euronen gekostet;-)