Richterliches Schlafbedürfnis als Verfassungsgrundsatz

Im Rahmen der Diskussion über die Frage des Richtervorbehalts bei der Blutentnahme nach § 81 a II StPO lieferte ein „Bereitschaftsdienstrichter“ das folgende Argument (gefunden im beck-blog):

Wenn das BVerfG außerdem noch meinen sollte, dass der richterliche Eildienst 24 Stunden dauern muss, werden wohl viele Amtsrichter den Dienst quittieren, da sie schließlich nicht in einem Callcenter arbeiten wollen.

Vor diesem Hintergrund rege ich an, unsere Verfassung zu ändern und in Art. 97 GG den Absatz 1a einzuführen:

Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie die Beachtung formellen Strafrechts ist auszurichten an den Schlafbedürfnissen der Bereitschaftsdienstrichter.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

22 Antworten auf Richterliches Schlafbedürfnis als Verfassungsgrundsatz

  1. 1
    Chak says:

    Die können ja gerne den Dienst quittieren und dann mal zu sehen, wie es so in der freien Wirtschaft zugeht.

  2. 2
    VRiLG says:

    Mal von aller Polemik abgesehen: Das eigentliche Problem besteht doch darin, dass der Richtervorbehalt durch Rechtsprechung des BVerfG und Gesetzgebung de facto immer weiter ausgedehnt wird, die Parlamente aber nicht bereit sind, die dafür erforderlichen weiteren Richterstellen zu bewilligen.

  3. 3
    Jens Ferner says:

    „die Parlamente aber nicht bereit sind, die dafür erforderlichen weiteren Richterstellen zu bewilligen.“

    Das trifft den gesamten öffentlichen Dienst: Finanzbeamte, Lehrer etc. sehen sich immer mehr Ansprüchen ausgesetzt – bei immer schlechterer Besetzung. Insofern wird hier wohl niemand ernsthaft widersprechen.

    Damit aber die Abschaffung des RV in bestimmten Bereichen zu fordern ist beängstigend.

  4. 4
    le D says:

    @VRiLG: Zustimmung, dass die Politik mehr Richterstellen bereit stellen sollte.

    So lange sie das aber nicht macht, kann es ja wohl kaum im Sinne eines effektiven Grundrechtsschutzes der betroffenen sein, den Richtervorbehalt in Teilen abzuschaffen oder dieser der Staatsanwaltschaft – oder gar nur deren Hilfbeamten (wie es heute faktisch ist) – zu überlassen.

  5. 5
    ballmann says:

    Den Dienst wird keiner quittieren.

    Nur: Was ist der Richtervorbehalt wert, wenn – so das OLG Hamm in der Entscheidung im beck-blog – der Richter die Blutentnahme telefonisch anordnen kann ?

  6. 6
    Susanne says:

    Nach einer Untersuchung der Uni Bielefeld „winken“ Richter fast jeden Antrag der Staatsanwaltschaft durch:

    http://www.uni-bielefeld.de/Universitaet/Aktuelles/pdf/backes_kurzfassung_telefonueberwachung.pdf

    Die Untersuchung bezieht sich zwar auf die Telefonüberwachung, dürfte, wie die Erfahrung lehrt, aber auch auf andere Eingriffe, die dem Richtervorbehalt unterliegen, zutreffen.

    Setzt man die Zahl der dem Antrag der StA entsprechenden richterlichen Beschlüsse in Relation zu den durch die Beschwerdekammern der Landgerichte aufgehobenen Beschlüsse und der Anzahl der durch das BVerfG wiederum aufgehobenen LG-Entscheidungen und berücksichtigt man, daß gegen die meisten AG-Beschlüsse weder Beschwerde noch Verfassungsbeschwerde eingelegt wird, die Dunkelziffer der rechtswidrigen AG-Beschlüsse mithin wesentlich höher liegen dürfte, ergibt sich ein besorgniserregendes Bild.

    Erstaunlich ist insbesondere, daß das BVerfG jedes Jahr in unzähligen Fällen gebetsmühlenhaft wiederholen muß, welche Anforderungen an richterliche Beschlüsse zu stellen sind. Was „in Karlsruhe“ beschlossen wird, interessiert, entgegen § 31 Abs. 1 BVerfGG, einige Richter anscheinend nicht.

    Kürzlich erhielt ich ‚mal wieder einen Durchsuchungsbeschluß auf den Tisch, der den folgenden kurzen Wortlaut hatte: „… wird die Durchsuchung der Räume des Beschuldigten angeordnet, weil Tatverdacht besteht. – Unterschrift Richter“. Ein Referendar würde dafür eine „6“ bekommen. Erschreckend, was für Leute teilweise über die Einhaltung der Grundrechte wachen (sollen).

  7. 7
    VRiLG says:

    Ich bin missverstanden, wenn angenommen wird, ich würde die Abschaffung des Richtervorbehalts wegen leerer Kassen fordern. Entweder muss man mehr Stellen schaffen oder damit leben, dass andere Verfahren noch länger dauern, wenn auch nicht zu verkennen ist, dass sich durch mehr persönliche Motivation in der Justiz noch einige Reserven freimachen ließen.

  8. 8
    Malte S. says:

    Da wo einige Richter die Abschaffung des Richtervorbehalts verlangen, kann man auch einfach verlangen, dass die – tatsächlich – überlastete Richterschaft Anträge der StA schlicht nachrangig bearbeitet oder eher ablehnt.
    Das würde auch der Schutzfunktion des Richtervorbehalts eher entsprechen, als sich aus Überlastungsgründen mit einem einfachen Durchwinken zu begnügen. Wo der Staat nicht die Mittel stellt, muss er halt auch mit einem negativen Ergebnis leben.

  9. 9
    Bärbel says:

    Im Umkehrschluß… wir sind alle viel zu kriminell in Deutschland. ;)

    Wenn es weniger kriminelle Subjekte gäbe, wäre der Justizapparat nicht überlastet, somit wohl auch ordentlicher.

    In den heutigen Zeiten kann ich schon ab und an nachvollziehen, wenn Richter keinen Bock mehr haben und sich schlafen legen.

  10. 10
    Gerti says:

    Genau meine Meinung, Malte S. Ich verstehe auch nicht, weshalb manche Richter meinen, es sei besser, staatsanwaltliche Anträge mehr oder minder ungeprüft durchzuwinken, statt sich auf den Standpunkt zu stellen, eine sorgfältige Prüfung benötige eben Zeit. Wenn mehr staatsanwaltliche Anträge entweder wochenlang nicht beschieden oder abgelehnt würden, dürfte es sich schnell bis in die Landesregierungen herumsprechen, daß man mehr Richterstellen benötigt.

    Weshalb die unzureichende personelle und sachliche Ausstattung der Justiz aber zumeist zulasten der rechtsuchenden Bürger gehen soll, ist nicht nachvollziehbar, zeigt aber, welcher Seite sich manche Richter mehr verpflichtet fühlen. Von der Stellung des neutralen Schiedsrichters, wie er aus der Zivilrechtspflege oder dem angloamerikanischen Strafprozeß bekannt ist, ist das deutsche Strafverfahren jedenfalls meilenweit entfernt. Noch immer gilt das spätmittelalterliche Inquisitionsprinzip.

    Daß sich mancher als Staatsdiener vielleicht eher dem Staat als den Bürgerrechten verpflichtet fühlt, „Kandidaten“ mit solchen Ansichten vielleicht sogar bevorzugt in der Strafabteilung eingesetzt werden, ist jedenfalls ein Eindruck, dem man sich zuweilen nicht erwehren kann. Nicht weniger häufig trifft man allerdings in Strafabteilungen auf Richter, deren Steckenpferd schon seit Studentenzeiten das Zivilrecht ist, die offensichtlich überhaupt „keinen Bock“ darauf haben, sich mit Kriminellen oder solchen, die dafür gehalten werden, auseinanderzusetzen und entsprechend unmotivierte und fachlich schlechte Arbeit abliefern.

  11. 11
    RA JM says:

    Lesenswert unser LG SN 33 Qs 9/09 vom o9.o2.2009:

    … verprflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs 2 GG die Länder dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen (BVerfG NJW 2007, 1444).

    „innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten“ aber (nur) „bei Tage“ ??? Fragen über Fragen. ;-)

  12. 12
    studiosus juris says:

    @RA JM:
    Bei Tage außerhalb der üblichen Dienstzeiten = Mittagspause :D

  13. 13
    ballmann says:

    „Da wo einige Richter die Abschaffung des Richtervorbehalts verlangen, kann man auch einfach verlangen, dass die – tatsächlich – überlastete Richterschaft Anträge der StA schlicht nachrangig bearbeitet oder eher ablehnt.“

    Sie verlangen also, dass ein Richter einen aus seiner Sicht begründeten Antrag der StA unter Hinweis auf seine Überlastung nicht bearbeitet oder gar zurückweist ???

    Das nennt sich dann schlicht und einfach: RECHTSBEUGUNG !“

  14. 14
    le D says:

    @ballmann: ein entlarvender Zirkelschluss!

    „Sie verlangen also, dass ein Richter einen aus seiner Sicht begründeten Antrag der StA unter (…)“

    Woher weiß denn der Richter, dass der Antrag begründet sein soll, wenn er ihn noch gar nicht bearbeitet hat?

  15. 15
    Gerti says:

    @le D

    :-) Um Anträgen der Staatsanwaltschaft stattzugeben, ist offenbar immer Zeit…

  16. 16
    ballmann says:

    @ Le D

    zwischen Lesen der Akte und Absetzen der Entscheidung liegt regelmäßig eine gewisse zeitliche Distanz. Es ist nicht selten, dass man eine Akte zunächst überfliegt, merkt, dass es einer aufwendigeren Begründung (so oder so)bedarf und sie erst nach den „einfachen“ wieder vor holt

    @ Gerti

    Soll das ein Argument für die Abschaffung des Richtervorbehaltes sein ?
    Wenn die faulen Säcke eh alles abnicken, kann man sie auch wegrationalisieren.

  17. 17
    Gerti says:

    @ballmann:

    Es wäre jedenfalls weniger ärgerlich, wenn man die Entscheidung über solche Anträge gleich dem Justizwachtmeister überließe, als richterliche Entscheidungen auf Justizwachtmeisterniveau zu verbreiten… (Ist natürlich nur Polemik. Gilt immer nur für einzelne Richter, deren Fehlleistungen im Gedächtnis haften bleiben und die den ganzen Berufsstand in Mißkredit bringen).

    Lösungsvorschlag: keiner / Erde für intergalaktische Umgehungsstraße sprengen.

  18. 18

    […] Wohnung ? Die Diskussion um den richterlichen Bereitschaftsdienst nimmt kein Ende, siehe hier und da […]

  19. 19
    Kand.in.Sky says:

    Ich sehe keine Diskussion aber rumgejammere einer längst der Realitäten abgehobenen Berufsgruppe.

    Ob sich andere Bereitschaftsdienste wie die von Ärzten oder Busfahrern daran ein Beispiel nehmen sollten?

    #k.

  20. 20
    Malte S. says:

    @ballmann: Natürlich soll der Richter begründete Anträge nicht ablehnen. Nur – wie le D schon sagte – woher soll der Richter wissen, ob der Antrag begründet ist, wenn er doch so arg überlastet ist, dass er ihn nicht wirklich lesen kann?
    Der Bereitschaftsdienstrichter aus dem jurabilis-Kommentar macht zumindest den Eindruck, dass er lieber abnickt als abzulehnen. Andersrum wäre es effektiver, um die Überlastung auch tatsächlich in den Griff zu bekommen.

    Mein Vorschlag war schlicht und ergreifend eine umfangreichere und kritischere Prüfung als sie derzeit stattfindet. Dabei bleiben dann zugleich auch ausreichend Anträge liegen – Arbeitsüberlastung. Die Überlastungsanzeigen müssen natürlich ebenfalls geschrieben werden. Noch mehr Anträge bleiben liegen oder können nur oberflächlich betrachtet werden. Letzteres reicht aber nicht, um eine Entscheidung über einen hochsensitiven Eingriff zu treffen.
    Ergo: Der Apparat, der über die Mittel für die Justiz entscheidet, bekommt die Quittung für zu geringe Mittel. Nicht der Bürger, der gar keinen Einfluss hat.

  21. 21
    Cora says:

    Wer unter rechtsstaatlichen Rahmenbedingungen zu müde für die Arbeit ist, kann den Dienst gerne quittieren, es warten sicher unzählige Anwärter auf freie Richterstellen.

  22. 22
    Gerti says:

    Es hat auch niemand behauptet, daß man bei einem Bereitschaftsdienst 24 Stunden Wache schieben muß. Bereitschaft heißt nur, daß der Richter erreichbar ist. Es ist nichts dagegen einzuwenden, mit dem Telefon auf dem Nachttisch ins Bett zu gehen. Ruft ja meistens eh keine S.. an.

    Natürlich ist das letztlich nur Kosmetik. Selbst wenn um 3.00 Uhr morgens ein Kriminalbeamter anriefe und einen wirren Sachverhalt schilderte, der eine richterliche Entscheidung notwendig mache, könnte ein Richter allenfalls ganz grobe Schnitzer verhindern (geplante nächtliche Hausdurchsuchung wegen Verdachts des Falschparkens o.ä.). Da die rechtlichen Hürden für eine Hausdurchsuchung sehr niedrig sind, nur die formalen Voraussetzungen vom BVerfG immer strenger gehandhabt werden, werden Bereitschaftsrichter wahrscheinlich die meisten telefonischen Anträge „durchwinken“. Die Fehler werden dann allenfalls auf formaler Ebene (keine hinreichende Dokumentation der „Gefahr in Verzug“, usw.) gemacht. Verwertungsverbote zieht das aber regelmäßig nicht nach sich.

    Auch wenn sich über Sinn und Zweck der diesbezüglichen Rechtsprechung des BVerfG trefflich streiten läßt, vieles in Karlsruhe vielleicht nicht ganz lebensnah gesehen wird, kann sich gleichwohl kein Richter eine Verwerfungskompetenz hinsichtlich der grundsätzlich verbindlichen (§ 31 Abs. 1 BVerfGG) Vorgaben des BVerfG anmaßen.