Schadensminderungspflicht

Der Kollege hatte es nicht einfach mit seinem Mandanten. Der war bockig, uneinsichtig und beratungsresistent. Trotzdem gab der Verteidiger sein Bestes, um für „seinen“ Angeklagten zu retten, was noch zu retten war.

Mein Mandant war Nebenkläger. Er ist von dem Angeklagten ziemlich übel zugerichtet worden.

Es war spätabends, als mein Mandant zur Tankstelle ging, um Zigaretten zu kaufen. Aus sicherer Distanz sah er eine Gruppe angetrunkener Jugendlicher, die an der Tankstelle die Niederlage der deutschen Nationalelf „feierten“. Erst nach kurzem Zögern entschied sich mein Mandant gegen seinen Fluchtinstinkt und für seine Nikotinsucht.

Unmittelbar nach dem Kauf der Zigaretten wurde er von dem späteren Angeklagten – ebenfalls nikotinabhängig, angetrunken und vollgepumpt mit Testosteron, aber ohne Geld für eigene Zigaretten – zusammengeschlagen und beraubt.

Der bedauernswerte Verteidiger versuchte nun in seiner Not, auf der Glatze eine Locke zu drehen.

In seinem Schlußvortrag deutete er an, daß mein Mandant eine (geringe) Mitschuld an seinen eigenen Verletzungen trüge; jedenfalls habe er gegen die Schadensminderungspflicht verstoßen, als er sehenden Auges an der Gruppe Jugendlicher vorbeiging, um für sich Zigaretten zu kaufen.

Dieses Argument kam nicht nur bei meinem Mandanten nicht gut an; auch den Schöffen (beide selbst Nikotinabhängige) sah man das blanke Entsetzen ganz deutlich an.

Der Kollege hat mir echt Leid getan. Das war nicht sein Tag …

Dieser Beitrag wurde unter Verteidigung veröffentlicht.

4 Antworten auf Schadensminderungspflicht

  1. 1
    Pascal says:

    Das is ja mal ein Argument..

    Geht das auch mit „Sie haben lange Haare und ein eher ‚linkes‘ Erscheinungsbild – und das obwohl Sie in Lichtenberg wohnen!“

  2. 2
    Peter says:

    nach dem mittlerweile Eigentumsdelikte härter bestraft werden als Körperverletzungen, gehört Ihr Mandant trotzdem zu den Gewinnern, denn er wurde ja auch beraubt. Wenn er einfach nur zusammengeschlagen worden wäre, würden da wohl außer 4 Sozialstunden nicht viel rauskommen ;-)
    PS: gilt die Schadensminderungspflicht nicht erst NACH DEM der Schaden eingetreten ist? Also wenn er sich nach dem Übergriff nicht ins Krankenhaus schleppt und behandeln läßt und sich die Genesung dadurch verzögert :-)

  3. 3
    holdi says:

    Jugendliche.
    Hat der Täter sich denn auf seinen Geisteszustand untersuchen lassen ?

    Damit der Richter den Sachverständigen so lange einseitig voreingenommen löchern kann bis der sagt, er könne einen kurzfristigen blackout nicht ausschliessen.

  4. 4
    Christian H. says:

    Richtig. Bei starken Entzugserscheinungen ist der Angeklagte vielleicht nicht mehr zurechnungsfähig… Wie ein Junkie eben… ;-)