Verfahren, die die Welt nicht braucht

Der Mandant wurde verhaftet, nachdem er der Ladung zum Strafantritt nicht gefolgt ist. Und zwar bei Kaisers, als er sich mit ein paar Lebensmitteln im Wert von 9,62 Euro an der Kasse vorbeigemogelt hat.

Nun sitzt er in der Strafhaft, deren Ende irgendwann im Jahre 2011 gekommen sein wird.

Außerdem wurde er wegen einer weiteren Sache gesucht. Es sieht danach aus, als wenn es dafür weitere drei Jahre gibt. Also wird es wohl 2014 werden, bis er entlassen wird.

Und trotzdem erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage wegen des Kaisers-Diebstahls. Die Richterin schüttelte mit mir gemeinsam den Kopf, als sich der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft stur stellte und nicht bereit war, eine Verfahrenseinstellung nach § 154 StPO zu beantragen.

Auch mein Nötigungsversuch, dann werde sich der Angeklagte heute durch Schweigen verteidgen und wir brauchen einen weiteren Termin, zu dem dann auch der Detektiv und die Kassiererin geladen werden müssen, fruchtete nicht. Dann müsse es eben so sein, teilte der Staatsanwalt bockig mit.

Die Verteidigung hat nachgegeben, der Angeklagte gestand die Tat, entschuldigte sich und es gab eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen, die rechtskräftig wurde.

Wenn nun die neue Verurteilung erfolgt, wird eine Gesamtstrafe gebildet, in der diese verhältnismäßig geringe Geldstrafe keine Rolle mehr spielen wird.

Auf den vierstelligen Verfahrenskosten für diesen Diebstahl geringwertiger Sachen bleibt der Steuerzahler sitzen. So sind sie, unsere Staatsanwälte.

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

20 Antworten auf Verfahren, die die Welt nicht braucht

  1. 1
    Tom Paris says:

    So sind sie, unsere Amtsanwälte, müßte es bei der Lappalie doch eher heißen, oder? Einen fast identischen Fall hatte ich kürzlich auch. Wert der gestohlenen Sache (sofort vom Angeklagten bezahlt): 10,- Euro. Gericht und Verteidiger: § 153 StPO? Amtsanwalt: 6 Monate Freiheitsstrafe. Ergebnis: 30 Tagessätze à 7 Euro.

  2. 2
    Jule says:

    Da bin ich mir nicht so sicher: für die Verfahrenskosten dürfte wohl Ihr Mandant haften. Und die Gerichtskosten (ich würd sagen 120 Euro nach KV 3110) wird er – selbst wenn er ohne ein „klejnes Vermegen“ ist – doch voraussichtlich brav abstottern von seinem Verdienst in der Haft. Oder meinten Sie mehr die Kosten für dieses…nun…Theaterstück?!

  3. 3
    Trop says:

    Und wer hat den ersten Fehler gemacht? Genau, der Angeklagte.

    ER hat den Scheiß verursacht. Bitte auch mal auf ihn einwirken, dass ohne seine Handlungen auch Geld gespart werden könnte.

  4. 4
    Max says:

    Genau!!! Und wenn der Angeklagte „Scheiß“ macht, dann dürfen StAe das auch!! ;-)

  5. 5
    ben says:

    Inwieweit wären die Verfahrenskosten durch § 154 StPO geringer geworden?

  6. 6

    Eine Einstellung vor Anklageerhebung und vor Bestellung des Pflichtverteidigers hätte die filmdünne Akte irgendwann ins Archiv verfrachtet: Kosten insgesamt irgendwas deutlich unter 100 Euro.

  7. 7
    Edding says:

    Kommt nach Köln und verteidigt eure Mandanten hier, wir lesen hier nicht mal die Anklageschrift in so einer Sache vor – ernsthaft.

  8. 8
    whocares says:

    Ist doch schön zu wissen, diß die Berliner StA – im Gegensatz zu, sagen wir mal, der StA Mönchengladbach, personell offenbar nicht unterbesetzt ist… ;-)

  9. 9
    egal says:

    Ist schon schlimm, wenn der Staatsanwalt seine Arbeit macht…

  10. 10

    @ egal:
    Schlimmer sind allerdings Kommentare, die die Welt nicht braucht. Meinen Sie nicht?

  11. 11
    studiosus juris says:

    @RA Hoenig:
    Warum soll der Kommentar von „egal“ nicht zu gebrauchen sein? Sie präsentieren hier auch „nur“ Ihre Sicht der Dinge. Die Sicht der Staatsanwaltschaft müssen Sie (natürlich) nicht präsentieren, aber doch nachvollziehen können?
    § 154 StPO ist nunmal eine „kann“- nicht eine „muss“-Bestimmung…

  12. 12
    egal says:

    @RA Carsten R. Hoenig:

    Mein Verständnis für Strafrabatte bei Rechtsbrechern ist eher gering. Sicher ändert das nicht viel am Gesamtmaß, aber es kann ja durchaus später noch interessant werden, so ab 2015.

    Die Wahrscheinlichkeit, dass er wieder rückfällig bei Eigentumsdelikte wird, ist doch schon sehr hoch und wenn dann noch einschlägige Straftaten wie Diebstahl neben seinen „größeren“ hinzukommen, kann man ihm beim nächsten Mal gleich entsprechend verarzten.

    Dass der Staatsanwalt der einzige ist, der dort im Gerichtssaal die Rechtsordnung verteidigt, ist auch kein Ruhmesblatt fürs hiesige Gericht. Dass ein Richter solche Fälle nicht verhandeln will, spricht nicht gerade für ihn. Dass Sie das Beste für Ihren Mandanten anstreben, ehrt Sie, ändert aber trotzdem nichts daran, dass Bestrafung auch für den Gewohnheitsrechtsverletzer sein muss.

    Vielleicht hat ja das Geständnis samt Verurteilung auch einen Einfluss auf sein zukünftiges Verhalten. Das Rabattdenken hält wohl keinen Straftäter von weiteren Straftaten ab.

  13. 13
    Lord says:

    @egal:

    Die 30 Ts wird der eh absitzen, für 70€ Steuergelder pro Tag. Außerhalb von Berlin würde das Verfahren definitiv vor Anklageerhebung eingestellt – ich kenne da genügend Fälle in Leipzig oder Dresden. Zumal bei einer drohenden Verurteilung zu 3 Jahren.
    Wenn jemand TE2014 hat werden ihm die 30TS sicher nicht zu denken geben – und lange Strafen schrecken niemand ab, von diesem Gedanken sollte man sich verabschieden zumal er offenbar schon öfter saß; das sagt mir zumindest das Strafmaß.

  14. 14
    Ein Staatsanwalt says:

    Mein Chef (ein OStA einer süddeutschen Staatsanwaltschaft, die – wie die meisten süddeutschen Staatsanwaltschaften – nicht gerade für Milde bekannt ist) meinte an einem meiner ersten Tage zu mir: „Der Gesetzgeber hat sich schon was dabei gedacht, als er sich den § 154 ausgedacht hat.“

    Recht hat er.

    (Bei uns hätte es übrigens für den Diebstahl dann, wenn es nichts gegeben hätte, in Hinblick worauf man den 154 anwenden könnte, vermutlich ein bis zwei Monate gegeben. Aber das nur nebenbei.)

  15. 15

    @ Staatsanwalt: Das Problem besteht allerdings darin, den Sinn dieser Vorschrift dem Stammtisch und seinen Brüdern zu vermitteln.

    Nebenbei: Diejenigen, die am lautesten nach „aller Härte des Gesetzes“ schreien, sind diejenigen, die auch am lautesten über die Ungerechtigkeit der Welt heulen, wenn es sie denn mal selber erwischt.

  16. 16
    Ein Staatsanwalt says:

    Mein ‚Nebenbei‘ war weniger ein Schreien nach Härte als eine eher leidenschaftslose Feststellung (und bei 10-Euro-Ladendiebstählen bin ich so leidenschaftslos, wie man nur sein kann) – Geldstrafe für eine Vorsatztat bei einem frischen BZR-Eintrag zu einer Freiheitsstrafe ohne Bewährung geht „bei uns“ nun mal gar nicht.

      Mein „Nebenbei“ war nicht in Ihre Richtung gezielt, sondern auf den Kommentar des egalen Stammtischteilnehmers, der wiederholt durch Unkenntnis der Rechtslage glänzt, aber trotzdem versucht, hier mitzureden. crh
  17. 17
    egal says:

    Aber Herr Hoenig, alle Formen der Kritik gleich in die Nähe von Stammtischen zu schieben, ist aber argumentativ auch nicht die feine Art.

    Das Argument, dass der Gesetzgeber sich bei § 154 StPO etwas gedacht habe, ist gar nicht mal so irreführend. Er hat sich auch etwas dabei gedacht, dass es eine KANN-Vorschrift ist.

    Natürlich verweigern sie uns ja auch den kriminellen Lebenslauf ihres Mandantens und nennen uns noch nicht mal die Straftaten, die ihn einwandern lassen. Das wäre ja bei einer Gesamtbetrachtung vielleicht doch interessant, insb. bei der Bewertung, ob es hier die Verteidigung der Rechtsordnung zwingend gebietet, eine Bestrafung zu erwirken oder nicht.

      Mit Kritik kann ich gut umgehen. Dummes Geschwätz schiebe ich allerdings dahin, wo es hingehört. Und überhaupt: Ihnen muß man keine Informationen „verweigern“; Sie können doch sehr gut auch ohne Substanz hier Ihren Senf zu den Beiträgen abgeben. crh
  18. 18
    Gerti says:

    @egal

    Es geht doch vorliegend nur darum, daß es nicht sinnvoll ist, für jemanden, der bereits eine lange Freiheitsstrafe zu verbüßen hat, noch 1.000,- Euro Steuergelder für ein weiteres Verfahren aufzuwenden, das allenfalls zu einem unerheblichen Aufschlag führen kann.

    Wenn der Angeklagte stur ist und beim OLG gerade die Woche der lustigen Einfälle gefeiert wird, werden aus so einem Unsinn schnell vier bis fünf Instanzen mit erheblichen Kosten für die Staatskasse. Das alles für ein paar hundert Euro Geldstrafe oder 1-3 Monate weitere Freiheitsstrafe?

  19. 19
    MadameLaStA says:

    Den Fall gibt es übrigens auch umgekehrt: Bei uns hat sich neulich jemand wegen der Verurteilung zu einer langjährigen Freiheitsstrafe auch den ein oder anderen Bewährungswiderruf gefangen. Gegen einen davon hat er sich beschwert, weil ihm für die gezahlte Bewährungsauflage zuwenig Tage angerechnet wurden. Das OLG hat ihm Recht gegeben, jetzt sind es 15 Tage statt 5 Tage. Er hatte ja recht, aber irgendwie…

  20. 20
    Pascal Rosenberg says:

    @egal

    Ich verstehe Sie jetzt aber schon richtig, ja? Sie finden es also besser, wenn IHR und MEIN Geld lieber dafür verwendet wird, jemandem eine Strafe von 30 Tagessätzen (bei dem erwarteten Einkommen wird das nicht so hoch sein – und – oh Wunder: Das zahlt ja zukünftig auch der Staat, also wieder SIE und ICH) zu verkloppen, der eh schon bis 2014 einsitzen wird?

    Und Sie glauben auch wirklich, dass der jetzt ehrfürchtig zu Boden kriecht und sagt: „Oh die 30 Tagessätze. Was bin ich für ein schlimmer Finger, oh diese 30 Tagessätze. Oh, ich gelobe Besserung.“

    Wow. Das find ich mal stark. Na denn, weiter so. Alles anklagen. Am besten noch den Gartenzwerg, der sich nackt bei Nachbars im Garten zeigt. Wir haben ja alle Zeit. Und Geld. Her mit den Verfahren.