Das Dauerbrennerthema unter den Strafverteidigern
Vom (Un-)Sinn der schriftlichen „Strafprozessvollmacht“
wird von den Strafverteidigern Jes Meyer-Lohkamp, Hamburg, und Nikolai Venn, Berlin, noch einmal ausführlich diskutiert in einem Aufsatz, der in der aktuellen StaFo (2009, Heft 7, Seite. 265) erschienen ist.
Die Autoren kommen zu dem einzig sinnvollen Ergebnis. Da der Strafverteidiger in der Regel nicht verpflichtet ist, seine Bevollmächtigung durch Vorlage einer Urkunde nachzuweisen gilt der übliche Satz:
Es kommt darauf an.
Meyer-Lohkamp und Venn formulieren es so:
Vorzugswürdig erscheint es, im Einzelfall das Für und Wider der Vorlage einer schriftlichen „Strafprozessvollmacht“ im Mandanteninteresse gegeneinander abzuwägen.
Es gibt ein paar Vorteile, die schriftliche Vollmacht abzugeben; aber es gibt eben auch gefährliche Nachteile für den Mandanten. Das muß am konkreten Fall geprüft werden. Der Aufsatz gibt dazu noch einmal wertvolle Hinweise, die hier, da und dort in anderer Form bereits angesprochen wurden.
Und dann ist da noch ein weiterer Grund, dem stumpfen Verlangen von Behörden und Gerichten nicht nachzugeben. Höflich und dem Forum angemessen formulieren es Meyer-Lohkamp und Venn so:
Unabhängig von diesen Erwägungen, die (je nach Sachlage) gegen oder für die Vorlage einer „Strafprozessvollmacht“ sprechen können, verbietet es zu guter Letzt die Errungenschaft der Freien Advokatur, der Aufforderung, eine Vollmacht vorzulegen, unkritisch bzw. in vorauseilendem Gehorsam nachzukommen und dem in einer solchen Aufforderung enthaltenen Misstrauen gegenüber der Erklärung des Verteidigers, er habe die Verteidigung des Beschuldigten übernommen, Vorschub zu leisten.
Etwas legerer könnte man auch sagen:
Strafverteidiger sind keine Tanzbären, die man am Nasenring durch die Manege führen kann.
Bemerkenswert, wie manche (immerhin leitende) Oberstaatsanwälte im Brustton der Überzeugung (aber ohne jegliche Rechtsgrundlage) auf Nachfrage mitteilten, die Vorlage einer schriftlichen Vollmacht sei geradezu selbstverständlich erforderlich. Einige andere räumen immerhin ein, dass eine Rechtsgrundlage tatsächlich nicht existiert.
Bemerkenswert ist eher, wie selbstverständlich Sie (und auch Meyer-Lohkamp/Venn) davon ausgehen, ohne Vollmachtsnachweis in Angelegenheiten Dritter tätig werden zu dürfen und insbesondere in hohem Maße persönlichkeitssensible Akten einsehen zu dürfen.
Der Fehler liegt darin, dass Sie nach einer Rechtsgrundlage für die Nachweispflicht suchen. Es bedürfte einer Rechtsgrundlage für die Freistellung von der Nachweispflicht für Rechtsanwälte – die gibt es aber nirgends. Man lässt doch auch keinen ohne Vollmachtsnachweis 5 Euro vom Konto eines Dritten abheben, und wenn es der Bundespräsident wäre.
Es wird doch die Bevollmächtigung anwaltlich versichert und stellt insoweit den Nachweis der Bevollmächtigung dar. Welcher Kollege würde denn das Gericht in der Frage, ob er Bevollmächtigt ist anlügen. (Wie kann man auf die Idee kommen, dass sich ein Anwalt Arbeit macht, wenn er keinen Auftrag = keinen Anspruch auf Bezahlung hat?)
Steht denn irgendwo, dass die Bevollmächtigung schriftlich zu erfolgen hat (von Sonderkonstellationen wie § 22 II BVerfGG abgesehen)?
Eben. Dort, wo der Gesetzgeber eine schriftliche Vollmacht verlangt, hat er es normiert. (z.B. §§ 80, 88, 89 ZPO, § 73 Abs. 2 Satz 1 SGG, § 67 Abs. 3 VwGO). In der StPO wurde eine entsprechende Regelung zum Schutz des Angeklagten bewußt nicht getroffen.
Der BGH hat mit Entscheidung vom 09.10.1989, 2 StR 352/89 (MDR 1990, 68), ausgeführt:
„Der gewählte Verteidiger erlangt seine Rechtsstellung mit dem Abschluß des Verteidigervertrags (Schnarr, NStZ 1986, 490; Dahs, Handbuch des Strafverteidigers 5. Aufl. Rdnr. 87). Einer zusätzlichen schriftlichen Bevollmächtigung bedarf es nicht. Die „Verteidigervollmacht“ dient lediglich zum Nachweis, daß ein Verteidigervertrag besteht (Schnarr aaO.S. 493; Weiß, NJW 1983, 89, 90). Abgesehen von den hier nicht interessierenden Fällen der Vertretungsvollmacht nach §§ 234, 329, 350, 387, 411 StPO verlangt das Gesetz beim gewählten Verteidiger lediglich für die gesetzliche Zustellungsermächtigung (§ 145a I StPO), daß die „Vollmacht sich bei den Akten befindet“. Dies dient dem Schutz des Angeklagten. Sonst schreibt es eine Form für den Nachweis des Verteidigervertrags nicht vor und macht die Ausübung der Rechte des Verteidigers von der Vorlage einer Vollmacht nicht abhängig.“
Ist doch eindeutig, oder?
Manchmal sitzt man gemeinsam mit dem Mandanten vor dem Schreibtisch des Staatsanwalts/Polizeibeamten/Sachbearbeiters und der Mandant sagt: „Das ist mein Anwalt.“ Darauf die vorgenannten Hoheiten: „Ohne schriftliche Vollmacht akzeptiere ich Ihren Anwalt nicht.“ Geht’s noch?