Wochenend-Lektüre: Armuts-Heuchler

Ansprüche unserer Armen an den Sozialstaat:

Hartz-IV-Empfänger erhalten nicht nur gratis Kost und Logis, sondern auch kostenlos Fernseher, Fahrkarten, Wohnungseinrichtungen, Heizkosten, Krankenversicherung, Rentenversicherung.

Sind die Armen bei uns wirklich arm? Fragt Hans-Olaf Henkel in einem lesenswerten Gastkommentar für den Tagesspiegel.

Erwähnenswert finde ich insbesondere seinen Hinweis auf die Definition der Armut:

„Jeder, der weniger als 60 Prozent des Durchschnittseinkommens verdient, gilt als arm.“ Eigentlich heißt es, „befindet sich im Armutsrisiko“.

die Herr Henkel – wie ich meine zu Recht – als Unsinn entlarvt:

Für eine Familie, bestehend aus zwei Erwachsenen und zwei Kindern unter 14 Jahren, belief sich der Grenzwert, unter dem man von „Armutsrisiko“ sprechen kann, auf sage und schreibe 1917 Euro monatlich, wohlgemerkt netto.

Er erinnert am Ende seines Kommentars an die

bedauernswerten Mitmenschen, die aus verschiedenen Gründen aus der Bahn geworfen wurden.

also an tatsächlich (und nicht statistisch) Arme, die die Dienste der Berliner Stadtmission am Hauptbahnhof in Anspruch nehmen müssen: Kältebusse, Nachtlager und warmes Essen.

Sind die anderen also Armuts-Heuchler, die auf hohem Niveau jammern?

Dieser Beitrag wurde unter Off Topic, Philosophisches veröffentlicht.

16 Antworten auf Wochenend-Lektüre: Armuts-Heuchler

  1. 1
    Kelian says:

    Ob man einer Person wie Henkel alles glauben kann ist fraglich. Zumindest kann man einen Teil seiner Argumente nach kurzer Nachforschung als Mythos abtun.

    Ich denke die Wahrheit liegt, wie so oft, irgendwo in der Mitte.

  2. 2
    AC says:

    @Kelian:

    Welche Argumente sind denn die mythischen und wo kann man das kurz recherchieren?

  3. 3
    step21 says:

    Ich finde durchaus, dass es Sinn macht, die Definition von Armut am Durchschnittseinkommen oder auch am durchschnittlichen Preisniveau o.ä. festzumachen.

  4. 4
    Bert Grönheim says:

    Mir ist kein Mandant bekannt, der auf ALG-2 oder andere Leistungen angewiesen ist und „in Saus und Braus“ lebt. Der Arbeitsmarkt wird – quer durch alle Alters- und Qualifikationsschichten – immer enger. Bereits die Kosten für eine Wohnung und Nebenkosten steigen steig. Die Fälle ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse nehmen zu. Ich sehe trotz Sarrazin und Henkel eine Tendenz zur Verteidigung von Systemen, die offenkundig in weiten Bereichen immer schlechter funktionieren. Die nüchterne Bewertung wirklicher Leistungsträger – ich denke da z.B. an den Inhaber von Trigema – hakt und die gleichzeitig immer peniblere Kritik an angeblich arbeitsunwilligen wird immer ätzender. Sarrazin und Henkel scheinen einen Trend zu setzen. Keine gute Entwicklung. Ich werde morgen jeder alleinerziehenden Mutter mit Kind erklären, daß sie lt. Henkel eigentlich nicht arm ist. Mal schauen, ob das weiterführt, wenn sie bereits Schwierigkeiten bei der Beschaffung von Unterrichtsmaterial für ihr Kind hat.

  5. 5
    Klaus says:

    Herr Henkel vermischt unzulässigerweise zwei verschiedene Definitionen von Armut. Warum er das tut, darüber könnte man spekulieren.

  6. 6
    tele says:

    wo kann ich mich melden, um meine kostenlosen fernseher, wohnungseinrichtung und fahrkarten abzuholen?
    sollte man sich nicht wenigstens erst informiern bevor man so einen unsinn schreibt?

  7. 7
    doppelfish says:

    Die Definition, die O. Henkel verwendet, hat uns die EU spendiert. Ob es sinnvoll ist, die Grenze bei 60% anzusetzen, darüber kann man nochmal nachdenken. Jedenfalls für die Länder, aus denen die EU besteht.

  8. 8
    JJ Preston says:

    Hmm… überlegen wir mal… Stellen wir uns mal die Reaktion des Herr Henkel vor, wenn staatliche Stellen seine Einkommens- und Vermögenssituation derart filzen würde, wie es bei Hartz-IV-Empfängern der Fall ist. Der würde vor lauter Empörung nach Grand Cayman auswandern.

    Hans-Olaf Henkel ist einer, der das aktuell herrschende System liebt, WEIL ER WEISS, dass immer dann, wenn er 1.000 Euro mehr Vermögen anhäuft, andere eben diese 1.000 Euro weniger haben (alles andere nennt man Inflation) – und das hebt ihn noch weiter über die Masse hinweg. Er ist ein König, der in seinem Turm sitzt, mit Blattgold überzogene Äpfel isst, das auch jeden wissen lässt und jedem zeigt und dafür bewundert werden will, dass er das kann. In diesem Zusammenhang ist übrigens die Pose im Foto des Tagesspiegels ausgesprochen passend gewählt. Er sieht sich als Teil einer Elite mit einem Alleinvertretungsanspruch auf Reichtum.

    „Die Gehälter, ob für Bischöfe, Bundestagsabgeordnete oder Studienräte, sind gestiegen.“ – Und für Industrieverbandspräsidenten und Wirtschaftslobbyisten und Bank-Of-America-Berater und Aufsichtsratsmitglieder von Bayer, Conti und…

    Schön finde ich auch diesen Satz: „Dass die Armen durch die Globalisierung reicher geworden sind, dass Millionen Inder und Chinesen, die einst hungern mussten, heute nicht mehr hungern und sich eine kleinbürgerliche Existenz aufbauen konnten und dass in vielen Entwicklungsländern mit der Marktwirtschaft auch Demokratie und Menschenrechte Einzug gehalten haben, passt einfach nicht ins Bild.“ Ooooh… Millionen Inder, die von einem Tag auf den anderen ihren Job wieder verlieren können und dann nichts mehr zu essen haben? Millionen Chinesen, die ihre Meinung nicht offen sagen dürfen? Millionen Arbeiter, die 60-80 Stunden unter gesundheitsschädlichen Bedingungen arbeiten, um so viel Geld zu haben wie ein Hartz-IV-Empfänger hier?

    Aber woher soll Henkel das auch wissen? Die Staatsdiener, die ihn auf Auslandsreisen hofieren, führen ihn wohl kaum die Armutsdistrikte ihres Landes vor, zum Beispiel chinesische Dörfer. Insofern nominiere ich Henkel hiermit für das „Große Ahnungslos der Woche“ (Zitat von Volker Pispers). Oder auch für den „Theo-Zwanziger-Preis für Demagogie“. Was meint denn der Herr Henkel wohl, warum die Sozialausgaben steigen? Ganz bestimmt nicht, weil die Leistungen für einzelne gestiegen sind, sondern weil die Menge derer, die Leistungen erhalten, – statistisch bewiesen – gestiegen sind.

    Noch schöner: „„Die Zunahme Einkommensschwacher“, so der Sozialwissenschaftler Meinhard Miegel, „ist in Deutschland zu drei Vierteln durch Einwanderer bewirkt.“ Ich möchte ergänzen: auch durch die Auswanderer.“
    Herrlich! Das heißt doch: Wenn einer auswandert und ein anderer einwandert, wird entweder der Arbeitsplatz des Auswanderers gestrichen oder der Einwanderer schlechter bezahlt als der Auswanderer vorher. Auf deutsch: Arbeitgeber sind ausbeuterische Arschlöcher…

    „Natürlich gibt es Armut. Vor zwei Wochen war ich beim Martinsgans-Essen der Berliner Stadtmission am Hauptbahnhof.“
    Nach seiner Definition gibt es KEINE Armut. Denn:
    „Weiß der Bischof überhaupt, welche Ansprüche unsere Armen an den Sozialstaat stellen können? Hartz-IV-Empfänger erhalten nicht nur gratis Kost und Logis, sondern auch kostenlos Fernseher, Fahrkarten, Wohnungseinrichtungen, Heizkosten, Krankenversicherung, Rentenversicherung.“ Steht demnach also auch denen in der Berliner Stadtmission zu…

    Dann sagt er: „Die Anzahl bedauernswerter Mitmenschen, die aus verschiedenen Gründen aus der Bahn geworfen wurden, steigt.“
    Und das, obwohl er vorher behauptet:
    „Im übrigen ist es verlogen, wenn man weiterhin von der auseinanderklaffenden Schere zwischen arm und reich schwadroniert, zeigen doch die Fakten, dass nach 2005 die Unterschiede zwischen Arm und Reich in Deutschland, also auch die relative Armut, nicht etwa gestiegen, sondern gesunken sind.“

    Solcherlei Null-Argumentationen wird Henkel nie schlüssig erklären können. Er wird aber auch nie von einem „Journalisten“ deswegen befragt werden. Und wenn, dann nicht, ohne diese Frage vorher zu kennen und sich eine passende Antwort zurechtzulegen. Und das ist auch ein Skandal.

  9. 9
    at says:

    „Obwohl die Moralisten vom Dienst […] in den zurückliegenden Jahrzehnten selbst am wachsenden Wohlstand partizipiert haben, was sie automatisch der falschen Seite der Barrikade zuordnet, beklagen sie unablässig die Leiden auf der richtigen, das heißt der gerechten und menschlich hochwertigen Seite.“
    Das scheint Herrn Henkel am meisten zu schmerzen: Da profitieren Menschen vom derzeitigen Wirtschaftssystem, und anstatt sich satt und zufrieden zurückzulehnen und mit dem Finger auf die zu zeigen, die nicht dieses Glück hatten, weisen sie den Rest der Welt auch noch darauf hin, dass es diese anderen Leute auch noch gibt! Pfui! Nestbeschmutzer, Moralisten, Gutmenschen!
    „Dass man darüber nicht offen sprechen darf, ist der eigentliche Skandal.“
    Darf Herr Henkel das nicht? Darf Herr Sinn das nicht? Darf die INSM das nicht? Dürfen die keine ganzseitigen Zeitungsanzeigen mehr schalten, nicht mehr in Talkshows palavern, keine Beiträge mehr plazieren und keine Gastkommentare mehr schreiben? Müssen sie sich womöglich mit versteckter Lobbyarbeit begnügen und (Ex-)Politiker wie Herrn Clement, Herrn Metzger oder den greisen Herrn Schmidt für sich sprechen lassen? Ist es tatsächlich schon so weit gekommen? Oder haben sie es nur immer schwerer, ernst genommen zu werden, wenn immer mehr Menschen zu spüren beginnen, wie unsozial die soziale Marktwirtschaft sein kann? Das wäre zumindest ein gutes Zeichen, ein Zeichen für Demokratie.
    „Denjenigen, die das zu Verteilende erst geschaffen haben, wird der Erfolg allzu oft geneidet“
    Diejenigen, die das zu Verteilende erst geschaffen haben, also die Arbeiter, haben immer weniger Grund, beneidet zu werden. Die Frage ist doch inzwischen längst, wie lange man sich den Verzicht auf die vollständige Entkoppelung von Arbeit und Einkommen noch leisten kann. Einigen wenigen mittels Subventionen für eine gewisse Zeit ihre Arbeitsplätze zu sichern, dürfte jedenfalls kaum dauerhaft tragfähig sein. Und gegen die Rationalisierung anzukämpfen, ist ebenso aussichtslos wie widersinnig.
    Der „eigentliche Skandal“ ist tatsächlich, wie hier einmal mehr versucht wird, sozial schlecht gestellte Gruppen gegeneinander auszuspielen. Warum muss denn die Suppenküche der Maßstab sein? Und warum soll sich denn nicht die Armutsgrenze am Median des Einkommens orientieren? Nur weil Herrn Henkel das Ergebnis nicht passt, muss ja die Rechnung nicht falsch sein. — Dass er mal wieder Median und Durchschnitt verwechselt, zu den statistischen Tricks bei den Arbeitslosenzahlen schweigt und auch sonst einige Passagen mit objektiv recherchierbaren Fakten nur schwer in Einklang zu bringen sind, ändert daran ja auch nichts.

  10. 10
    Tom Paris says:

    Das Problem ist nicht, daß die Nichtarbeitenden zuviel haben, sondern daß die Arbeitenden zu wenig bekommen.

  11. 11
    Pandur2000 says:

    Ist man nicht arm, weil es noch ärmere Menschen gibt?

  12. 12
    heschkie says:

    Stimme Preston und at absolut zu.Es kann doch auch nicht darum gehen,ob man mit den Leistungen auskommt,sondern darum,das keiner mehr leistungen nötig hätte wenn man für Arbeit sorgen würde.

  13. 13
    Kand.in.Sky says:

    [Schimpfwort gelöscht. crh].

    Und mit dieser Titulierung kommt Henkel noch verdammt gut weg.

    #k.

      Vorsorglich: Ich diskutiere nicht über die Frage, was erlaubt ist und was nicht. crh
  14. 14
    Kand.in.Sky says:

    nein, da gibt es nichts zu diskutieren, hat der BGH auch nicht.

    da sind andere weiter.

    geschenkt.

    #k.

    #k.

  15. 15
    anett says:

    Ich weiß ja nicht woher Herr Hoenig diese Infos hat.
    Die Fahrkarten, Fernseher, und anderen Sachen gibt es für Hartz IV Empfänger nicht kostenlos. Beim Amt gibt es diese wenn überhaupt nur als Darlehen und selbst das nicht mal, weil sie mit 2,45 € im Regelsatz enthalten sind.
    Ich möchte ihn mal sehen, wie er auch nur einen Monat nur mit dem Regelsatz von 359 € auskommt und davon Strom, Telefon, Fahrkarte , Essen, Bekleidung und Arzt ect. bezahlt.
    Es gibt Leute die gehen auch 8 h am Tag 6 Tage die Woche arbeiten und verdienen soviel , das sie einen Zuschuß vom Amt brauchen um überhaupt auf diesen Regelsatz zu kommen.
    Reden ist immer einfach, aber mal was dagegen tun. Das wäre schön

  16. 16

    Ich möchte ihn mal sehen, wie er auch nur einen Monat nur mit dem Regelsatz von 359 € auskommt

    Anfang der Achtziger lag der Sozialhilfesatz bei ca. 220 DM (110 Euro). Ich hab’s überlebt.