Zack!

Eigentlich wollte ich dem Mandanten schon die Ohren lang ziehen, als er mir den Strafbefehl zuschickte und mich beauftragte, Einspruch einzulegen und einen Freispruch anzustreben.

Er hätte es eigentlich wissen sollen, daß er ein wenig spät kommt. Denn bisher hat er mir die jeweiligen Mitteilungen der Polizei (§ 163 a StPO) immer brav übermittelt, sobald sie bei ihm im Postkasten lagen. Damit ich früh- und rechtzeitig mit der Verteidigung beginnen kann. Je früher, desto besser sind die Aussichten für den Beschuldigten. Das ist bekannt. Und jetzt scheint der Mandant das glatt vertrödelt zu haben.

Nagut, ist ja nicht meine Strafsache … dachte ich mir, legte Einspruch ein und beantragte Akteneinsicht.

Heute kam die Akte. Die schriftliche Strafanzeige der Geschädigten füllt Blatt 2 bis 17. Blatt 18 ist die Abschlußverfügung der Polizei. Dann kommen zwei Seiten mit internen Verfügungen und auf Blatt 21 folgt der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlaß eines Strafbefehls. Auf Blatt 24 bis 25 hat der Richter diesem Antrag entsprochen und 50 Tagessätze zu 50 Euro verhängt.

Keine Möglichkeit der Stellungnahme, keine Anhörung, kein Garnichts. Noch nicht einmal der Versuch! Ja, hallo? Lieber Staatsanwalt, lieber Richter. Geht’s noch?? Gibt es jetzt einen Subsumtionsautomat, der von einer dahergelaufenen Anzeigeerstatterin gefüttert wird und unten kommt dann der Strafbefehl raus?!

Ich werde nun die Akte zurückschicken mit der Bitte um Vereinbarung eines Termins zur Hauptverhandlung. Dann klären wir im Termin, warum das Verfahren mit einem Freispruch zu enden hat. Die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen wird die Justizkasse des Landes Sachsen-Anhalt tragen. Die hamms ja.

Und ich freue mich auf eine anregende Veranstaltung vor einem kleinen Amtsgericht.

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft veröffentlicht.

10 Antworten auf Zack!

  1. 1
    Kampfschmuser says:

    15 Blätter ist die schriftliche Strafanzeige der Geschädigten lang? Hat man da eine unausgelastete Schriftstellerin erwischt?

    Andererseits bei 15 Seiten muss das doch die Wahrheit sein. Eine Anhörung des Beschuldigten ist dann sowieso hinfällig. ;)

  2. 2
    Renate says:

    Da sieht man einmal mehr, weshalb Verteidiger höchst überflüssig sind. Bei solch verantwortungsvollen Staatsdienern, die vom Polizeibeamten über den Staatsanwalt bis zum Richter alles richtig machen und sich nur streng dem Gesetz verpflichtet fühlen, gibt es wirklich nichts zu bemängeln.

    Tragisch ist immer, wenn man eine bereits rechtskräftig abgeschlossene Akte auf den Tisch bekommt, in der alles falsch gemacht wurde. Angefangen von der unterlassenen Pflichtverteidigerbestellung bis zur fehlerhaften Bejahung eines tatsächlich gar nicht erfüllten Straftatbestandes.

  3. 3
    RA Neldner says:

    Es ist doch immer wieder erstaunlich, wie schnell der Rechtsstaat versagen kann. Dass allerdings gleich Polizei, StA und Gericht so versagen…

    Nach Lage der Dinge kann doch so gut wie gar nicht ermittelt worden sein. Ich kann mir zwar im Ausnahmefall vorstellen, dass eine Anzeige mit 16 (!) Seiten eine Art lückenlosen Urkundenbeweis enthält (z.B. bei Prozessbetrug oder Insolvenzverschleppung). Aber selbst dann sollte das hinterfragt werden und in jedem Falle muss dem Beschuldigten rechtliches Gehör gewährt werden.

  4. 4
    RA JM says:

    Ähnliches kommt aber auch in größeren Städten vor, z.B. in Hamburg“.

  5. 5
    Ref.iur. says:

    Unglaublich. Meine Ausbilder bei der StA haben mir schon kräftig Punkte abgezogen, wenn ich mal vergessen habe §§ 4, 104 JGG in die Normenkette bei einer Anklage vor dem Jugendrichter reinzuschreiben.

    In der Praxis darf man aber immer wieder so einen Mist erleben, der eigentlich völlig unnötig ist. Insbesondere müsste es wohl JEDEM Juristen, selbst dem Zivilrichter mit Mietrechtsabteilung, der nur aushilfsweise Strafrecht macht, weil alle Strafrichter krank sind, auffallen, dass es schlichtweg nicht sein kann, dass einem Angeschuldigten keine Gelegenheit zur verantwortlichen Vernehmung gegeben wurde. Dann aber noch einen Strafbefehl zu erlassen, wenn die Akte nichts substantielles außer einer Strafanzeige enthält, ist echt die Krönung.

    Erinnert mich an einen sonntags von einem Zivilrichter erlassenen Haftbefehl, den ich mal in einer Akte hatte: „Gründe: Der Handel mit Marihuana verstößt gegen § 29 BtMG. Der Beschuldigte ist diesen Taten dringend verdächtig, da die Ermittlungen dies ergeben haben.“

  6. 6

    Und was war der Haftgrund? „Macht der Alte immer so?“

  7. 7

    […] This post was mentioned on Twitter by corax, KanzleiHoenigBerlin. KanzleiHoenigBerlin said: Kanzlei-Hoenig-Info: Zack! http://bit.ly/8d2Dmy […]

  8. 8
    Peter says:

    Aber, aber, bei 15 Seiten Text hat doch die Geschädigte sicher auch entlastende Argumente vorgebracht. Da ist doch ein Verteidiger überflüssig :-P

  9. 9
    RA Neldner says:

    Wenn mein erster Beitrag nicht noch moderiert werden müsste, wäre klar, dass es 16 Seiten sind ;-)

  10. 10
    Ref.iur. says:

    @ RA Handschumacher

    Mangels näherer Ausführung im Haftbefehl vermute ich Verdunkelungsgefahr. Meine Ausbilderin meinte nur, schauen sie da gar nicht drauf, dass ist ganz furchtbar, da haben wir gleich Außervollzugsetzung beantragt als sich der Wahlverteidiger hier gemeldet hat…