Der BGH und das Brechmittel

Das Landgericht Bremen hat den zur Tatzeit 41-jährigen Angeklagten von dem Vorwurf freigesprochen, fahrlässig als Arzt den Tod des 35 Jahre alten C., eines Staatsangehörigen der Republik Sierra Leone, im Rahmen einer Exkorporation von Drogenbehältnissen (sog. „Brechmitteleinsatz“) am 27. Dezember 2004 verursacht zu haben.

So lautete die Pressemitteilung Nr. 86/10 vom 23.4.2010 des Bundesgerichtshofes, in der ein Hinweis auf den heutigen Verhandlungstermin gegeben wurde.

Frauke Böger schreibt dazu in der taz:

Im Dezember 2004 hatte der Arzt Igor V. dem Sierra-Leoner Laya Condé Brechmittel eingeflößt, weil Polizisten ihn verdächtigten, Kokainkügelchen verschluckt zu haben. Condés Zustand war während der Maßnahme so kritisch geworden, dass ein Notarzt hinzugerufen werden musste, um Condé zu stabilisieren. Anschließend flößte Igor V. dem 35-jährigen Afrikaner per Nasensonde Wasser ein, damit er seinen Mageninhalt restlos hervorwürgte. Condé fiel ins Koma und starb wenige Tage später.

Zwei Sachverständige hatten erklärt, Condés sei „still ertrunken“, weil das Wasser in die Lunge gelaufen war. Zwei weitere Gutachter hatten im Laufe des Prozesses vor dem Landgericht Bremen diese Diagnose bestätigt. Die Verteidigung brachte jedoch vier weitere Sachverständige ein, die einen „toxischen Herzmuskelschaden“ als Todesursache ausmachten. Staatsanwältin und der Verteidiger des Arztes forderten daraufhin einen Freispruch.

Zwar habe sich der Arzt „mehrerer objektiver Pflichtverletzungen“ schuldig gemacht, urteilten die Landesrichter im Dezember 2008, aber er habe diese wegen „mangelnder Ausbildung und Erfahrung mit Brechmittelvergabe subjektiv nicht erkennen“ können. Den Arzt treffe keine Schuld, weil er weder über klinische Erfahrung verfügt habe noch für die zwangsweise Brechmittelvergabe qualifiziert gewesen sei, sagte der Richter Bernd Asbrock damals zur Urteilsbegründung. Kritik übte Asbrock an der Leitung des rechtsmedizinischen Instituts der St.-Jürgen-Klinik: „Es war ein genereller organisatorischer Mangel, dass ein Arzt auf dem Ausbildungsstand des Angeklagten diese Behandlung vorgenommen hat.“

Ich kenne die Details nicht. Aber mich macht das Argument des Richters stutzig. Wenn ich keine Ahnung von dem habe, was ich machen soll, dann lasse ich es bleiben. Entscheide ich mich wider besseres Wissen, das – von wem auch immer – Verlangte trotzdem zu tun, muß ich für die Konsequenzen die Verantwortung übernehmen. Im Falle des Polizeiarztes bedeutet Verantwortung dann Verschulden.

Hoffentlich wurde da nicht mit zweierlei Maß gemessen. Nur weil es ein Polizeiarzt gewesen ist. Auf die Entscheidung des BGH bin ich gespannt.

Dieser Beitrag wurde unter Polizei, Strafrecht veröffentlicht.

9 Antworten auf Der BGH und das Brechmittel

  1. 1
    Doc says:

    Könnten dann nicht die Personen, die den Arzt für den Einsatz ausgewählt haben, zur Verantwortung gezogen werden? Scließlich war der Arzt ja nach Aussage des Gerichts offensichtlich für den Einsatz ungeeignet.

  2. 2
    Kand.in.Sky says:

    Wenn man keine Ahnung hat wird man Sachverständiger und/oder geht zum öffentlichen Dienst.

    #k.

  3. 3
    Kampfschmuser says:

    @Kand.in.Sky
    In meiner Bekanntschaft ist eine junge Dame (30) mit leichter Profilneurose, die seit 9 Jahren studiert, studiert und studiert. Erst zwei Studienabbrüche, dann doch Jura, was sie mehrere Jahre hinter sich brachte. Nun ist sie zweimal durch das 2. Staatsexamen gerasselt. Aua.

    Jetzt ist sie bei der Polizei und joggt täglich durch unseren Wald. Sie ist erst 6 Monate in der Ausbildung dabei, aber immer mit Polizei-T-Shirt unterwegs.

    Da kommt einem schon der Gedanke, dass die Polizei und Co. das Auffangbecken der Versager ist.

  4. 4
    furier says:

    Dieses ist in Bremen bei Angeklagten mit ausländischem Namen normal.
    Hier auch für sorgfältig geplante schwere Körperverletzung mit einer Eisenstange und anschliessendem Einsperren des Opfers nur eine Verwarnung für Muzaffer Cibuk.

    Milde Strafe für Bremer Kioskbesitzer
    Er kommt mit einer Verwarnung davon, muss aber dem Einbrecher 1000 Euro Schmerzensgeld zahlen.
    http://www.weser-kurier.de/Artikel/Bremen/Vermischtes/154446/Milde+Strafe+fuer+Bremer+Kioskbesitzer.html

    . 20 bis 25 Mal soll er das Opfer mit der Vierkantstange getroffen haben, heißt es in der Anklageschrift.

    Bei dieser Straferwartung
    Dem Angeklagten droht nun eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren.
    http://www.radiobremen.de/nachrichten/kurz_notiert/kunoprozesskioskselbstjustiz100.html

  5. 5
    Adren says:

    Kurze Anmerkung zur organisatorischen Seite:
    Füttert man die große Suchmaschine mit dem vollen Namen, so findet man zumindest einige Seiten, die statt von Polizeiarzt von einem Pathologen sprechen. Nimmt man nun an, dass dies der üblichen synonymen Verwendung von Pathologie und Rechtsmedizin geschuldet ist, so kann man vermuten, dass der betreffende zum fraglichen Zeitpunkt als (Assistenz?)arzt am (privatisierten) rechtsmedizinischen Institut gearbeitet hat und damit wohl zur Teilnahme am ärztlichen Beweissicherungsdienst verpflichtet war. Die Weiterbildungsordnung schreibt für Rechtsmediziner neben der Weiterbildung im Institut lediglich 6 Monate Pathologie und 6 Monate Psychatrie vor. Da somatische Kenntnisse hier nicht vermittelt werden und Weiterbildungszeiten aus somatischen Fächern auch nicht anrechnungsfähig sind ist die fehlende klinische(sic!) Kenntnis systemimmanent und die fehlende Qualifizierung ein Ausbildungsmangel, den der Weiterbildungsermächtigte(=Institutsleiter) verantworten muss, schließlich hat er den Facharztstandard zu gewährleisten.
    Über die Tatsache, dass das Herbeiführen des Erbrechens unter Fixation ohne Herz-Kreislaufmonitoring und Atemwegssicherung nicht lege artis ist, insbesondere bei vorheriger Instabilität des Patientenzustandes, wird nicht zu streiten sein.

  6. 6
    Gerrit says:

    Ob ich als Anwalt von der Justiz auch so gnädig behandelt werde, wenn ich die Forderung eines Mandanten verjähren lasse und mich damit verteidige, von Zivilrecht überhaupt keine Ahnung zu haben?

  7. 7
    RA Neldner says:

    Der BGH hat das Urteil aufgehoben. Bin auf die Begründung der Entscheidung gespannt. Die Argumentation mit der die Fahrlässigkeit verneint wurde, ist aber m.E. unvertretbar.

    http://juris.bundesgerichtshof.de/cgi-bin/rechtsprechung/document.py?Gericht=bgh&Art=en&Datum=Aktuell&Sort=12288&nr=51782&linked=pm&Blank=1

  8. 8
    Lutz says:

    Jetzt geht’s zurück – sogar vor eine Schwurgerichtskammer.

    Peinlich Aufttritt für die Staatsanwaltschaft, die auf Freispruch plädierte.

  9. 9

    […] des BGH v. 29.04.2010 werden die Befürchtungen des Kollegen Hoenig, es werde mit zweierlei Maß gemessen, widerlegt: Den unerfahrenen und mit einem solchen Eingriff stark überforderten Angeklagten […]