Der Eiertanz und die Kosten

In einer Strafsache vor dem Amtsgericht hat es (ausnahmsweise) einmal einen Freispruch gegeben. Nicht nur, weil der Verteidiger es so beantragt hatte; nein, auch der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft meinte, der Freispruch müsse sein.

Drei Wochen später bekommt der Freigesprochene Post vom Gericht:

… teilen wir mit, daß die Staatsanwaltschaft Berufung gegen das Urteil eingelegt hat.

Drei Wochen und eine halbe Minute später ruft der Freigesprochene seinen Verteidiger an und stellt die Drei-D-Frage: Dürfen die das?

Es schließt sich eine umfangreiche Beratung über die Sach- und Rechtslage an, in der die Zulässigkeit eines solchen Eiertanzes der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, die Möglichkeiten einer Verteidigung vor dem Berufungsgericht besprochen und reichlich blank liegende Nerven beruhigt werden müssen.

Weiter zwei Monate bekommt der Freigesprochene erneut Post vom Gericht:

… teilen wir mit, daß die Staatsanwaltschaft die Berufung gegen das Urteil zurück genommen hat.

Und wieder eine halbe Minute später fragt der nun endlich rechtskräftig Freigesprochene, was das denn zu bedeuten habe und wie es mit den Kosten aussieht, die für die Verteidigung in der Berufungsinstanz entstanden sind.

Die schlechte Nachricht vom Gericht: Auf eine Berufung der Staatsanwaltschaft, die noch nicht begründet wurde, müsse ein Verteidiger noch nichts unternehmen. Deswegen muß die Landeskasse die Kosten auch nicht erstatten.

Der Verteidiger darf nun noch seinem Mandanten dann erklären, daß er erst freigesprochen, dann – aus seiner Sicht – verarscht wurde und dafür nun auch noch die Kosten (im Mittel 321,30 Euro) zu tragen hat.

Ich überlege, es dem Richter und dem Staatsanwalt zu überlassen, diese Erklärung zu liefern und habe das Verzeichnis mit ihren Telefondurchwahlen und Zimmernummern schon in der Hand …

Dieser Beitrag wurde unter Richter, Staatsanwaltschaft, Verteidigung veröffentlicht.

21 Antworten auf Der Eiertanz und die Kosten

  1. 1
    doppelfish says:

    Lieber nicht. Sonst entsteht neuer Verteidigungsbedarf.

  2. 2
    Bernd Schneider says:

    Nein, die Verteidigerkosten sind nicht entstanden, weil der Verteidiger es offenbar pflichtwidrig versäumt hat, den Mandanten darauf hinzuweisen, dass er, falls er nach Berufungseinlegung eine anwaltliche Dienstleistung in Anspruch nimmt, diese im Fall der Berufungsrücknahme ohne Erstattungsmöglichkeit selbst bezahlen muss.

      Ich frage mich, ob Sie die Chuzpe hätten, dem Mandanten beim ersten Anruf, mit dem er auf die Berufung reagiert, erst einmal stumpf das RVG vorzulesen. Auf welchem Stern leben Sie?
  3. 3

    gute Idee, die werde ich mal in den Gebührenkommentar aufnehmen. Der Fall zeigt anschaulich, dass die h.M. in der Frage schlicht falsch ist. Es besteht i.d.R. doch Beratungsbedarf; und wenn beraten wird, muss das honoriert werden und der ehemalige Angeklagte hat einen Erstattungsanspruch. Ziehen Sie es durch. Steter Tropfen höhlt den Stein (vielleicht).

  4. 4
    Reizzentrum says:

    Ich überlege, es dem Richter und dem Staatsanwalt zu überlassen, diese Erklärung zu liefern und habe das Verzeichnis mit ihren Telefondurchwahlen und Zimmernummern schon in der Hand …

    Make it this way …. Das nennt man – glaube ich – auch Produzentenhaftung oder Verursacherprinzip *ggg*

  5. 5
    RA JM says:

    @ Bernd Schneider:
    Klar, der pflichtbewusste Verteidiger denkt zunächst an die Gebühren und zuletzt an die Nöte des angesichts dieses Justizzirkusses verständlicherweise verunsicherten Mandanten.

    Dass die Rechtsfrage der Gebührenerstattung durchaus zu Recht – weil völlig systemwidrig – nicht unumstritten ist und es nicht nur gegenteilige Entscheidungen gibt, sondern auch im Zivilrecht ausnahmslos anders gesehen wird. interessiert natürlich nicht, oder?

  6. 6
    Matthias says:

    Seit wann muss denn eine Berufung begründet werden?

      Spätestens seitdem es Ziffer 156 RiStBV gibt, sofern die StA die Berufung eingelegt hat.
  7. 7
    luDa says:

    Die ham doch aber keine Aussenwirkung sondern binden allenfalls die Bediensteten.

  8. 8
    Martin says:

    Es gibt auch andere Richter. Kürzlich erhielt mein Mandant eine Mitteilung vom Amtsgericht, seine Bewährung solle widerrufen werden. Nach einiger Korrespondenz stellte sich heraus: die Urkundsbeamtin hatte in Briefkopf und Rubrum irrtümlich den Namen meines Mandanten eingesetzt. Das Schreiben sollte aber an einen ganz anderen Verurteilten gehen.

    Der zuständige Richter rief mich daraufhin an, entschuldigte sich vielmals und bot an, „das Gericht“ werde meinem Mandanten alle durch dieses Versehen entstandenen Kosten ersetzen. Das nett gemeinte Angebot hat mein Mandant abgelehnt. Ich habe mich aber gefragt, auf welche Rechtsgrundlage der Richter diese Zusage gestützt hat. Die StPO bietet keine passende Kostenentscheidung und ein telefonisches Anerkenntnis im Hinblick auf eine Amtshaftung kommt wohl auch nicht in Betracht.

    Trotzdem: immerhin jemand, der sich über entstandene Kosten Gedanken machen.

  9. 9
    Bernd Schneider says:

    @ crh: Es zwingt Sie ja keiner, den Mandanten über die gebührenrechtliche Lage aufzuklären. Sie dürfen dann halt nur kein Geld für die 3 Minuten nehmen, die Sie gebraucht haben, um dem Mandanten am Telefon zu erklären, dass die Berufungseinlegung durch die StA einstweilen nicht viel zu bedeuten hat.

  10. 10

    @ Bernd Schneider: Ssorry, aber die Frage der Dauer eines Telefonats hat doch mit der Frage, ob überhaupt Gebühren entstanden sind, nun gar nichts zu tun. Das ist doch eine Frage der Höhe der Gebühren.

    In der Sache: Ein vernünftiges Argument dafür, dass es im Zivilrecht anders gesehen/gemacht wird – auch vom BGH – gibt es nicht. Der Fall zeitg doch anschaulich, dass Beratungsbedarf besteht. Und der ist dann zu honorieren/zu erstatten. Ist m.E. ganz einfach, wird aber – aus welchen Gründen auch immer – in der Rechtsprechung anders gesehen.

  11. 11
    Bernd Schneider says:

    @ Burhoff: Ssorry, aber der Fall zeigt mitnichten, dass Beratungsbedarf besteht. Gerade angesichts der Vielzahl der im Strafprozess nur zur Fristwahrung eingelegten Rechtsmittel der StA – nebenbei ein zentraler praktischer Unterschied – kann man sich erst einmal mit der Auskunft begnügen, das habe einstweile keine große Bedeutung und alles weitere sehe man, wenn das Rechtsmittel begründet wird.

    Wenn Herr CRH es wirklich für sinnvoll hält, gleich „eine umfangreiche Beratung über die Sach- und Rechtslage, in der … die Möglichkeiten einer Verteidigung vor dem Berufungsgericht besprochen“ werden, zu veranstalten, muss halt auch die Zeit sein, über die gebührenrechtlichen Konsequenzen aufzuklären.

  12. 12
    RA Neldner says:

    @Bernd Schneider: Wenn die StA (nur) zur Fristwahrung Rechtsmittel einlegt, dann muss die Staatskasse dafür eben aufkommen. Das ist im Zivilrecht letztlich genauso: Wer Zeit schinden will, muss dafür bezahlen.

    Eine Ausnahme sind vorherige Absprachen zwischen den Parteien. Das ist aber im Strafprozess nur schwer möglich. Als Referendar und Sitzungsvertreter der StA hatte ich zwar z.T. darauf hingewiesen, dass mein Antrag auf Freispruch nicht bedeutet, dass der folgende Freispruch endgültig ist aber noch mehr und auch noch von „richtigen“ Staatsanwälten kann ich mir kaum vorstellen.

    Prozessuale Problem sind Nicht-Juristen noch wesentlich schwieriger zu erklären als das materielle Recht. „Normales Rechtsempfinden“ hilft im Prozessrecht kaum weiter und dazu kommen massive Fehlvorstellungen durch Film und Fernsehen. Taktische Feinheiten wie Rechtsmitteleinlegung zur Fristwahrung sind daher in der Regel sehr erklärungsbedürftig. Dafür sollte der Verursacher zahlen und nicht die Gegenseite (also der Freigesprochene oder der Verteidiger – durch Verzicht auf die entstandenen Gebühren).

  13. 13
    Bernd Schneider says:

    @ RA Neldner: Es geht nicht darum, was Sie und ich für rechtspolitisch angemessen halten, sondern darum, wie die gebührenrechtliche Praxis nun einmal im Moment ist. Wenn die so ist, dass es keine Kostenerstattung gibt, muss der Anwalt das dem Mandanten vorher erklären, sonst bekommt er nix, und das ist so klar wie Kloßbrühe.

  14. 14
    Jürgen says:

    @11, Schneider:
    Der Fall zeigt aus Sicht eines potentiell Betroffenen, dass sehr wohl Beratungsbedarf besteht. Wäre ich in der Situation wie der Mandant des Hr. Hönig, hätte ich auch gerne von diesem gewusst, was denn die Berufung der Staatsanwaltschaft für eine Bedeutung hat und wie ich mich dazu zu verhalten hätte. Ganz abgesehen davon, klar weiß ich, dass jeder Anruf beim Anwalt mit der Bitte um Aufklärung kostet. Da aber der Anruf bei meinem Anwalt aus dem Handeln der Staatsanwaltschaft resultiert und ich nicht just for fun deswegen meinen Anwalt kontaktiere, ist die Frage sehr wohl berechtigt, wer für die dabei entstehenden Kosten aufkommt.

  15. 15
    Till says:

    Weshalb die Beratung über die Sach- und Rechtslage Kosten von „im Mittel“ 321,30 Euro verursachen soll, erschließt sich mir nicht. Wie auch die Einlegung der Berufung durch den Verteidiger noch zum 1. Rechtszug gehört und von den dortigen Gebühren abgegolten ist, wird man dem Mandanten auch für eine noch so umfangreiche Beratung über die Bedeutung der Berufungseinlegung der Staatsanwaltschaft keine Mittelgebühr aus VV 4124 RVG in Rechnung stellen können. Selbst wenn man unterstellt, daß die Verfahrensgebühr schon dadurch entstanden ist, daß der Mandant anruft und vom Verteidiger beraten wird, dürfte die Mittelgebühr unangemessen sein.

  16. 16

    @ 11 Schneider: Es bringt nichts zu diskutieren, wenn man den Eindruck hat, dass von einer vorgefassten Meinung offenabr nicht abgewichen werden soll oder kann. Im Übrigen bin ich erstaunt, was Sie dem Bürger zumuten. Er hat sich „zu begnügen“. Sorry, aber das ist ein Formulierung, die mich an den „schönen“ Spruch der „Arroganz der Macht“ denken lässt. Wieso muss sich der Bürger begnügen, wenn die StA sich das Recht herausnimmt, zur Fristwahrung Berufung einzulegen. Im Übrigen löst schon die von Ihnen „zugestandene“ Auskunft bei richtiger Betrachtungsweise die Verfahrensgebühr aus.
    @ 15 Till: Die Frage der Höhe der Gebühr ist ein ganz anderes Problem. Wenn es wikrlich nur 3 Minuten sind, stimme ich mit Ihnen überein. Dann ist die MG unangemessen.

  17. 17
    fernetpunker says:

    Na, hoffentlich liest der Mandant hier nicht im Blog, sonst weiß er jetzt, dass er nichts zahlen bräuchte.

  18. 18

    Und dann war da noch Nr. 148 RiStBV: Nur ausnahmsweise soll ein Rechtsmittel lediglich vorsorglich eingelegt werden. Dies kann in Betracht kommen, wenn es geboten erscheint, die Entschließung der vorgesetzten Behörde herbeizuführen oder wenn das Verfahren eine Behörde besonders berührt und ihr Gelegenheit gegeben werden soll, sich zur Durchführung des Rechtsmittels zu äußern.

    Aber das interessiert niemanden so richtig.

    Lieber Carsten, hau drauf, irgendwann kippt dieser schneidergestützte Blödsinn.

  19. 19
    frage says:

    Wo ist eigentlich die Ermächtigungsgrundlage für die RiStBV geregelt?

  20. 20
    RA Neldner says:

    @Frage: Es braucht keine Ermächtigungsgrundlage. Das ist eine reine Verwaltungsvorschrift, die eigentlich keine rechtliche Außenwirkung hat. Einfach mal die Einführung zu RiStBV lesen. Wenn das eine Art Durchführungsverordnung zur StPO wäre, wäre manches aus Verteidigersicht leichter. Ist es aber nicht.

  21. 21