Ein Tor von der Größe des Eingangs der Halle, in der der A 380 gewartet wird, rannte die Richterin bei mir ein.
Es ging um einen psychisch erkrankten Mann, den man bei drei Versuchen erwischt hat, aus Kaufhäusern eine Mütze, zwei Zeitungen, eine Deospray, eine Packung Papiertaschentücher, eine Dose Erbsen mittelfein und ein paar Schokoladenkekse mitzunehmen, ohne sie zu bezahlen. Der in den drei Anklagen addierte Gesamtschaden lag deutlich unter 50 Euro.
Die Vita des 32 Jahre alten Mannes war klassisch, sie führte am Ende über Alkohol und Betäubungsmittel in einen Suizidversuch, der eine 9 Monate lange stationäre Behandlung nach sich zog. Es folgten die bekannten Probleme, sich in der Welt zurecht zu finden. Und eben die gescheiterten Ladendiebstähle, einer davon unter Alkohol-Einfluß.
Was macht man mit so Menschen, der bislang „strafrechtlich nicht in Erscheinung getreten ist„?
Der übliche Reflex der Staatsanwaltschaft: „Empfindliche Geldstrafe zur Einwirkung auf den Täter.“ Nicht nur ich fasse mich dabei an den Kopf und frage mich, was in der Vita des Staatsanwalts wohl schief gegangen ist.
Die Richterin deklinierte statt dessen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit durch und stelle die beiden ausschließlichen Möglichkeiten in den Raum, die das Strafrecht vorhält: Geld- oder Freiheitsstrafe.
Ist eine solche Sanktion geeignet, im konkreten Fall eine Wiederholung zu verhindern? Wohl kaum. Das lernen Psychiater im ersten Semester ihrer Ausbildung.
Ist sie erforderlich? Wohl auch nicht. Eine Therapie und eine professionelle sozialarbeiterische Unterstützung wären erfolgversprechender als eine Geldstrafe, die im Zweifel in einer Ersatzfreiheitsstrafe mündet.
Ist sie angemessen? Diese Frage stellt sich bereits nicht mehr, da es bereits an der Geeignetheit und an der Erforderlichkeit mangelt.
Also straffrei? Geht auch nicht, da die Voraussetzungen des § 20 StGB hier nicht erkennbar vorlagen.
Und jetzt? Ist unser Sanktionssystem (im Erwachsenenstrafrecht) teilweise verfassungswidrig, weil es keine Möglichkeiten zur Verfügung stellt, auch auf die Taten psychisch kranker Menschen mit gerade noch vorhandener Schuldfähigkeit zu reagieren?
Verwarnung mit Strafvorbehalt unter der Auflage sich einer ambulanten Heilbehandlung oder einer ambulanten Entziehungskur zu unterziehen? (Auch wenn § 59 I 1 Nr. 1 StGB vermutlich nicht ganz einschlägig ist, aber § 59 StGB gerne gedehnt wird).
Keine gute Idee … meinte der Staatsanwalt im Termin und kündigte Rechtsmittel an. :-( crh
§ 59 StGB?
Oh, da ist jemand noch schneller draufgekommen :-)
Was aber voraussetzt, dass der Strafzweck allein die Individualprävention ist. Generalprävention und Objektive Theorien haben da keine Probleme. Im Übrigen gibts neben 59 auch noch 21, der hier allerdings nicht viel hilft.
Mein erster Gedanke war auch die Verwarnung mit Strafvorbehalt.
Der zweite Gedanke, vor allem bei einem renitenten Staatsanwalt, wäre eine nicht berufungsfähige Geldstrafe. 5 Tagessätze zu 5 EUR= 25 EUR. Das dürfte die Hemmschwelle für eine Berufung erhöhen, ohne großen Schaden anzurichten.
Sicher ist das Verfahren natürlich auch nicht. Kommt schließlich oft genug vor, dass der Sitzungsvertreter der StA in der Berufungsverhandlung nach dem (erstmaligen) Lesen der Akte so einen Was-soll-ich-hier-überhaupt-Blick aufsetzt und versucht sich gesichtswahrend aus der Affäre zu ziehen.
Ich frage mich generell, wieso das Gesetz in solchen Fällen keine Möglichkeit Abbildet, diesen Menschen wirklich zu helfen – sie schaden sich ja am Ende nur selbst. Womöglich liegt es daran, dass sich so ein Gesetz auch wunderbar missbrauchen lassen könnte.
Nun ja, psychisch krank ist nicht gleich psychisch krank. Und ob die Voraussetzungen des 20,21 bei Tatbegehung vorlagen, kann man dem Ausgangsbeitrag auch nicht entnehmen.
ME wäre 59, 59 a II Nr. 4 wohl die adäquate Reaktion (§ 153 wegen der Wiederholungen eher nicht mehr), oder aber wenn die StA flexibel genug wäre 153 a mit Anweisung, gemeinnützige Leistungen (I 2 Nr. 3) zu erbringen (falls er trotz seiner Vita so weit zuverlässig ist, dass man sich nicht nach Ablauf von 6 Monaten wieder treffen muss…).
Das Instrumentarium wäre also da.
Dass der Mandant trotz BtM-Konsums (wie Sie schreiben) „strafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten“ ist, ist halt auch wieder Glückssache (oder Tilgungsfristsache…).
§§ 63, 64 StGB analog. ;-)
§§ 63, 64 StGB sprechen aber von „erheblichen Straftaten“. Ob das hier der Fall ist…
Jedenfalls fällt mir zum Thema Staatsanwalt auch nix ein. Außer vielleicht das Folgende:
Kopf -> Tisch
Hat der Mann eigentlich bei Verhandlungsbeginn seine Merkbefreiung vorgelegt?
Ja und nu? Was hat er bekommen?