Die Sachkunde und der Vollrausch

In der ersten Instanz ging das Gericht davon aus, daß Wilhelm Brause zur Tatzeit zwar eingeschränkt schuldfähig war, eine Strafmilderung gleichwohl nicht in Betracht komme:

Da bei dem Angeklagten eine Blutentnahme nicht durchgeführt wurde, konnte es das Gericht nicht mit Sicherheit ausschließen, dass er die Taten im Zustand der verminderten Schuldfähigkeit gemäß § 21 StGB begangen hat, denn immerhin muß aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte alkoholisch beeinflusst war.

Eine Strafmilderung hat das Gericht insoweit aber nicht durchgeführt, da der Angeklagte seit vielen Jahren Alkoholmißbrauch betreibt und er um die Wirkungen bei ihm durchaus weiß.

Die Verteidigung wollte zur Frage der Schuldfähigkeit ein Sachverständigengutachten einholen lassen; schließlich war/ist Brause schwerst alkoholkrank und zudem Konsument von Betäubungsmitteln. Das hat der Richter abgelehnt. Eigene Sachkunde und die Zeugenberichte wären ausreichend, lies man verlauten; daher brauche man keinen Gutachter.

Als die Akte dann auf dem Tisch des Berufungsgerichts lag, reichte ein knappes Telefonat zwischen dem Vorsitzenden Richter und dem Verteidiger, um einen Sachverständigen noch vor der Berufungsverhandlung mit der Beantwortung der Frage zu beauftragen, die in der ersten Instanz überaus „sachkundig“ bereits vom Richter beantwortet wurde.

Das schriftliche Vorgutachten dieses Sachverständigen endet mit den folgenden Worten:

Somit kann zusammenfassend gesagt werden, dass Herr Wilhelm Brause zwar einsichtsfähig in das Strafbare des angeklagten Handelns ist, seine Steuerungsfähigkeit aber trunkenheitsbedingt zumindest erheblich gemindert war. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass sogar eine dem Vollrausch gleichzusetzende Mischintoxikation vorlag.

Übersetzt in eine verständliche Sprache heißt das: Brause war vermutlich so knüppel-dicht, daß er nicht wußte was er tat. Das läuft darauf hinaus, daß das Berufungsgericht vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 StGB ausgehen wird. Brause wird dann nicht wegen der angeklagten Tat verurteilt werden können.

Schauen wir mal, was in der Berufungsinstanz herauskommt. Ich rechne mit einer Verurteilung wegen vorsätzlichem Vollrauschs gem. § 323a StGB. Und mit einer Halbierung der in erster Instanz verhängten Freiheitsstrafe.

Das wird dann wieder nichts mit der Generalprävention.

Dieser Beitrag wurde unter Gericht, Verteidigung veröffentlicht.

7 Antworten auf Die Sachkunde und der Vollrausch

  1. 1
    Scharnold Warzenegger says:

    Toll. Ich baller mich mit Alkohol und ein paar Tabeletten zu und schon kann ich ungestraft jemanden „platt“ machen. Und weil ich (angeblich) gar nicht geschnallt habe, was ich da gemacht habe, gibt es nur einen erhobenen Zeigefinger.

    Der Gesetzgeber sollte mal darüber nachdenken, ob man Straftaten unter Alkoholeinfluss nicht strafverschärfend auslegt. Saufen macht man vorsätzlich. Und es ist allgemein bekannt, daß man besoffen seine Mitmenschen gefährden kann (z.B. im Auto) bzw. oftmals die Aggressivität erhöht wird. M.E. ist das genauso, als ob man sich ein Messer in die Tasche steckt.

  2. 2
    David says:

    Mich als Studenten würde mal interessieren, wie oft die a.l.i.c. in der Praxis angewandt wird? Und wie die Vorgehensweise als Verteidiger in solchen Fällen dann in etwa aussieht?

  3. 3
    Gerd says:

    Die a.l.i.c. kommt in der Praxis sogut wie nie vor. Das heißt: eigentlich kommt sie schon vor, ist dem gemeinen Amtsrichter jedoch völlig unbekannt. Als ich sie kürzlich mal wieder ins Gespräch brachte, belehrte mich der Vizepräsident des Amtsgerichts, das eine actio libera in causa etwas ganz anderes sei und ich keine Ahnung habe.

    Sprungrevision => Zurückverweisung => 153 StPO.

  4. 4
    David says:

    Dankeschön. Liegt es vielleicht auch daran, dass man den Doppelvorsatz so schlecht bewiesen kriegt?

  5. 5
    Tom says:

    Trotzdem, wenn man so einen Fall liest und irgendwann mal irgendwas mit Jura studiert hat, blinkt sofort die „a.l.i.c.“-Leuchte.
    Interessant jetzt zu hören, daß die der Praxis nicht so geläufig ist…!?

    Übrigens einer der wenigen lateinischen Juristenbegriffe für den fast kein Student die Übersetzung kennt.

  6. 6
    JJ Preston says:

    Ich frage mich, ob es auch Staatsanwälte gibt, die von vornherein mal 323a anklagen. Möglicherweise ließe sich das Strafmaß ja da mal voll ausschöpfen…

  7. 7
    Carl says:

    @Scharnold W.

    Eine Verurteilung auf Grund von §323a StGB ist kein „erhobener Fingerzeig“. Der Gesetzgeber hat bereits das, was Sie einfordern, unter Strafe gestellt. Wozu also diese Polemik?


    Zur alic – Mit §222 und §323a lässt sich doch das Gros der Taten angemessen bestrafen, da muss man ja nicht unnötig Pandoras Büchse öffnen.