Die Strafprozessordung und das Jugendstrafrecht

In einer Jugendstrafsache wurden die Mandantin, 15 Jahre, und ihre gleichaltrige Freundin

angeklagt,
in Berlin
am 25. März 2009
als Jugendliche mit Verantwortungsreife
gemeinschaftlich handelnd

I.

    eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht weggenommen zu haben, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueigenen,

sowie durch zwei weitere selbstständige Handlungen

II.

    einen Menschen rechtswidrig durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung genötigt zu haben

sowie durch eine weitere selbstständige Handlung

III.

    einen Menschen rechtswidrig unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben zu einer Handlung genötigt und dadurch dem Vermögen eines anderen Nachteil zugefügt zu haben, um sich zu Unrecht zu bereichern.

[…]

Verbrechen und Vergehen, strafbar nach den
§§ 255, 253, 249, 240, 241, 22, 23, 25 Abs.2, 52, 53 StGB,
§§ 1,3 JGG

Zwei Stunden nach der Verlesung der Anklageschrift erging das Urteil.

Der Mandantin wurde aufgeben, sich für ein Jahr der Betreuung und Aufsicht einer bestimmten Person (Betreuungshelfer) zu unterstellen (Betreuungsweisung, § 10 I Nr. 5 JGG).

Die Geschädigte, ebenfalls Jugendliche, konnte sich an vieles nicht mehr erinnern. Deswegen konnten die Vorwürfe aus der Anklage zu I. und III. nicht bestätigt werden.

Die Mandantin hatte sich – meinem Rat folgend – erst nach der Vernehmung der Geschädigten als Zeugin zur Sache eingelassen. Üblich und von der Staatsanwältin ausdrücklich gewünscht war die Einlassung der Mandantin unmittelbar nach Verlesung der Anklage und vor Vernehmung der Zeugen.

Ich hatte den Eindruck, die Staatsanwältin war nicht darüber amüsiert, daß die Verteidigung die Rechte der Angeklagten aus der Strafprozeßordnung (StPO) auch im Jugendstrafverfahren wahrnimmt. „Das tut dem Mädchen nicht gut!“ mußte ich mir anhören.

Ob die Vorenthaltung von Verfahrensrechten, die die Basis eines jeden rechtsstaatlichen Verfahrens sind, dem „Mädchen“ besser bekommen wäre, wurde nicht erörtert.

Nur nebenbei sei gesagt: Der Beschleunigungsgrundsatz in Jugendstrafsachen gehört auch zum Rechtsstaat. Die Anklageschrift lag jedoch erst ein gutes Jahr nach der Tat auf dem Richtertisch. Aber dann ‚rumnörgeln, wenn die Verteidigung sich der Spielregeln bedient, die eben dieser Rechtsstaat zur Verfügung stellt …

Dieser Beitrag wurde unter Staatsanwaltschaft, Strafrecht, Verteidigung veröffentlicht.

8 Antworten auf Die Strafprozessordung und das Jugendstrafrecht

  1. 1
    Das ich says:

    Na wenn sie der Anwalt des Opfers gewesen wären, würde hier aber was anderes stehen, gelle?

      Ich bin der Verteidiger der Angeklagten. Und zu meinem Auftrag gehört es, in diesem Verfahren ihre Interessen zu vertreten, und darauf zu achten, daß ihre Rechte gewahrt werden. Die Interessen und Rechte der Geschädigten gehören nicht zu meinem Aufgabenkreis. crh

    Dann wäre das Gesetz falsch, der gegnerische Anwalt nen Arsch etc. ;-)
    Demokratie funktioniert eben nicht so wie in Russland ;) http://www.youtube.com/watch?v=CzGt_E5SIoA

  2. 2
    dw says:

    Menschenskinder, aber wenn dem Mädel die Anklageschrift vorgelesen wird, bekommt es doch nur glasige Augen. Wie sollen den 15-jährige ein derartiges Deutsch verstehen und dann ggf. Lehren aus ihren (Miß-)Verhalten und der Strafe ziehen?

  3. 3
    Gero says:

    Für die Entwicklung der Jugendlichen ist es mit Sicherheit von Nachteil, wenn das Mädchen jetzt lernt, dass sie, egal was sie angestellt hat, eine gute Chance hat, sich herauszureden. Es wäre deshalb sicher interessant zu wissen, ob die Erziehungsberechtigten Ihre Verteidigung in dieser Form gewünscht bzw. gebilligt haben. Haben Sie sich dessen vergewissert?

      Meine Mandantin lebt bei ihrer alleinerziehenden Mutter, die einen Kontakt zu mir für nicht erforderlich hielt bzw. trotz meiner Bitten nicht aufgenommen hat. Die Mandantin wurde in dem Termin von ihrer (ehemaligen) Familienhelferin begleitet.

      Das Problem, welches Sie ansprechen, ist im Jugendstrafrecht sehr oft anzutreffen: Rechtsstaatliches /-förmliches Verfahren versus Erziehungsgedanke. Im Einzelfall eine schwierige Entscheidung. Insbesondere, wenn es an der Unterstützung der Verteidigung durch ein intaktes Familienverhältnisse mangelt.

  4. 4
    Rasi says:

    @Gero:
    Sie haben wohl keine eigenen Kinder. Wenn mein Kind vor Gericht steht, dann werde ich immer zu ihm halten und nicht zum Staatsanwalt. Eltern, die anders denken, sind m. E. schwer gestört.

    Zweitens geht es hier nicht um „sich herausreden“, sondern um die Ausschöpfung der rechtsstaatlichen Möglichkeiten.

    Drittens ist der Anwalt dem Mandanten verpflichtet und nicht dessen Eltern.

  5. 5
    Das Ich says:

    Eltern die ihre Kinder nicht „Erziehen“ sind schwer gestört.
    Wenn dazu gehört, dass sie, mit absprache mit dem Staatsanwalt, eben mal Sozialstunden machen müssen, dann ist das eben so.
    Wenn ich das als Elternteil für eine gerechte Strafe halte, wird das eben so gemacht.
    Was wir von dem ganzen antiautoritären Erziehungsquatsch haben sieht man ja am 1 Mai in Berlin.
    So wie sie das ganze Theater beschreiben, werden sie die beiden irgendwann wieder verteidigen dürfen. Und wieder und wieder ….etc.

  6. 6

    Ich weiß nicht, warum, aber mich beschleicht manchmal das Gefühl, als würde man von einem Verteidiger erwarten, dass er die Welt verbessert und nicht, dass er einfach seinen Job macht.

  7. 7
    Marco says:

    @dw: Die Schilderung des vorgeworfenen Geschehensabaufs und des darin enthaltenen Unrechtsgehalts in „verständlicher“ Sprache ist in „[…]“ enthalten.

  8. 8
    JugendStA says:

    Zwei Dinge muss man sorgsam auseinanderhalten.

    1. Darf der Verteidiger das?
    2. Ist das gut für das Mädchen?

    Zu 1. Ganz sicher. Ist doch keine Frage.

    Zu 2.

    a.) Im Bezug auf das Ergebnis der Hauptverhandlung. Natürlich. Sonst hätte sie möglicherweise Taten eingeräumt die ihr so nicht nachzuweisen waren und sie wäre härter bestraft / geahndet worden.

    b.) Außerhalb des Strafprozesses gefragt, wenn sie auch die weiteren Taten begangen hat, wird es ihr geschadet haben, weil sie nun glauben könnte, ein guter Verteidiger könnte sie immer „raushauen“ und sie könnte weiter Verbrechen begehen. Und das wird nicht nur ihren Opfer wehtun, sondern spätestens mit 21 auch ihr. Die Mindeststrafe der Tat zu III ist für Erwachsenen immerhin 1 Jahr Gefängnis.

    Es ist aber tatsächlich so, dass es Aufgabe des Verteidigers im Strafprozeß als Organ der Rechtspflege ist den staatlichen Strafanspruch von seinem Mandanten abzuwenden bzw. abzuwehren.

    Man brauch nicht viel Fantasie, um festzustellen, dass das mit dem Interesse des Gerichts und der Staatsanwaltschaft an Wahrheitsfindung eher selten gut zusammenpassen wird.

    Unter diesem Gesichtspunkt dürfte die Äußerung der Kollegin von der StA zu sehen sein.

    @ Rasi: Sie verstehen offensichtlich nicht, dass es im Jugendstrafrecht um Erziehung geht. Durch Staatsanwaltschaft und Gericht sollen Jugendliche dazu gebracht werden in Zukunft keine Straftaten mehr zu begehen. Zum einen im Interesse der Allgemeinheit, aber doch auch gerade im Interesse des Jugendlichen. Der verbaut sich mit Straftaten nämlich seine Chancen im Leben. Sich immer auf die Seite seines Kindes zu stellen ist daher insoweit töricht.