Jugendstrafsache. Vier Angeklagte. Vorbesprechung vor Aufruf der Sache auf Wunsch der Vorsitzenden Richterin. Sie wollte eine einvernehmliche Lösung, weil sie als Vertretungsrichterin die Sache nicht so im Griff hat wie der eigentlich zuständige, aber erkrankte Richter.
Richterin
Wenn wir uns hier heute einigen können, brauchen wir wegen der ausgebliebenen Zeugen keinen neuen Termin. Was stellen sich die Parteien denn so vor?
Staatsanwalt
Also hier kommt ja nur ein Arrest, für eine der Angeklagten eher eine Jugendstrafe in Betracht. Das ist ja nun eine solche schwere Straftat, da muß man mit aller Härte drauf reagieren. Etwas anderes geht ja gar nicht. Sonst hätten wir ja gar nicht erst zum Jugendschöffengericht anklagen müssen. Schwere der Schuld … Schädliche Neigungen …
Alle Verteidiger
Dann müssen wir ja gar nicht mehr weiter reden. Schon ein Arrest wäre in jedem einzelnen Fall völlig unangemessen!
[…]
Die Richterin eröffnete die Verhandlung, die Personalien der vier Angeklagten wurden festgestellt.
[…]
Verteidiger
Ich möchte *jetzt* einen Antrag stellen.
Staatsanwalt
Muß das jetzt sein? Hat das nicht Zeit bis nach Verlesung der Anklage?
Verteidiger, aufstehend
Nein!
Ich beantrage die Aussetzung des Termins. Es liegt hier für alle vier Angeklagte ein Fall der notwendigen Verteidigung vor, das Verfahren wurde vor dem Schöffengericht eröffnet. Es gibt aber nur drei Verteidiger, die Angeklagte Frollein F. ist nicht verteidigt. Ich beantrage daher ferner, der Angeklagten Frollein F. einen Pflichtverteidiger zu bestellen. Eine Abtrennung des Verfahrens gegen Frollein F. ist hier nicht möglich, so daß die Verhandlung auszusetzen ist.
Richterin, zustimmend schauend
Herr Staatsanwalt, Sie erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme.
Staatsanwalt
Ich beantrage, den Antrag des Verteidigers abzulehnen und weiter zu verhandeln. Es ist nicht ersichtlich, daß die Angeklagte Frollein F. nicht in der Lage wäre, sich selbst zu verteidigen. Im übrigen ist ihr Tatbeitrag nicht so erheblich. Sie hat die Tat bereits gestanden, daher ist hier ein Verteidiger nicht erforderlich. Außerdem scheint es aus erzieherischen Gründen sinnvoll, wenn die Angeklagte …
Verteidiger, in den Tisch beißend
Hmmpf.
[…]
Richterin resolut schauend
Beschlossen und verkündet: Die Verhandlung wird ausgesetzt. Neuer Termin von Amts wegen. Die Sitzung ist geschlossen.
[…]
Verteidigungen in einer Jugendstrafsache sind doch immer wieder erhellend. Sie öffnen den Blick in die Unterwelt eines rechtsstaatlichen Strafverfahren, in dem das Prozeßrecht eine eher nachgeordnete Rolle spielt. Nota bene: Das Prozeßrecht, das die vornehme Aufgabe hat, einen Beschuldigten vor Übergriffen der Staatsgewalt zu schützen.
Die bisher nicht verteidigte Angeklagte wird sich nun an einen Verteidiger wenden, teilte sie dem Verteidiger auf dem Flur beim Hinausgehen mit.
Abgesehen davon, dass hier mal wieder dem Erziehungsgedanken ein Bärendienst erwiesen wurde: In jeder Hinsicht ein Ärgernis sind nicht zuletzt Verteidiger, die nicht einsehen mögen, dass es für den geständigen unverteidigten jugendlichen Angeklagten wenig Besseres gibt als einen Staatsanwalt, der schon zu Protokoll gegeben hat, dass das alles nicht so schlimm sei.
@Hajo Schumacher:
Vielleicht war ich nicht deutlich genug: Aber zehn Minuten zuvor hat er knapp nicht von einer 15-jährigen Freiheitsstrafe gesprochen, als um eine Absprache ging. Jetzt, wo es um die Frage der notwendigen Verteidigung geht, packt er die Wattebällchen auf den Tisch. Grad so, wie’s paßt.
Das hat wenig bis nichts mit „Erziehung“ (im Sinne von Vorbild) zu tun.
Warum sollte eine Abtrennung nicht möglich sein?
Und warum sollte das Gericht einen Antrag des Wahlverteidigers eines Mitangeklagten auf Bestellung eines Pflichtverteidigers für eine nicht verteidigte Angeklagte entgegennehmen/entscheiden?
Und warum sollte notwendige Verteidigung vorliegen? Anklage zum JSchöffG alleine reicht hierfür wohl nicht, maßgeblich ist doch die Straferwartung von ca. 1 Jahr Jugendstrafe mit/ohne Bew. Dazu gibt der Ausgangsbeitrag recht wenig her. Ob der Umstand, dass 3 Mitangeklagte einen Wahlverteidiger haben, für 140 II reicht, ist ja etwas „im Fluss“ (teils soll das nur dann ausreichen, wenn sich die Angeklagten gegenseitig die Schuld zuschieben).
ME hat die Richterin hier wohl den Weg des geringsten Widerstandes gewählt. Erst einmal aussetzen, vielleicht kommt der kranke Kollege bis zum neuen Termin ja wieder.
Es ist doch wohl eher unwahrscheinlich, dass der Staatsanwalt mit den Verteidigern eine Absprache wegen einer unverteidigten Mitangeklagten treffen wollte. Es ist deshalb ebenfalls unwahrscheinlich, dass der Staatsanwalt mit den Verteidigern über die hinsichtlich dieser Mitangeklagten in Betracht kommende Strafe sprechen wollte.
Den Unterschied zwischen „es ist unwahrscheinlich“ und „ich halte es für unwahrscheinlich“ ist Ihnen wahrscheinlich nicht bekannt, oder? crh
Es ist doch für sich genommen schon eine Frechheit dem 4. Angeklagten keinen Verteidiger zu bestellen, wenn die 3 Mitangeklagten verteidigt sind. Das hätte das Gericht schon lange vor der Verhandlung erledigen können.