Eisenbieger beim Amtsgericht

Andreas Müller arbeitet seit 1997 als Jugendrichter am Amtsgericht Bernau. Er vertritt die Ansicht:

Es bringt nichts, Skinheads die Glatze zu streicheln

In einem Interview mit Sandra Dassler vom Tagesspiegel berichtet er stolz über einen Fall, der an den Stammtischen zu Applaus geführt hat.

Also hab’ ich zum Beispiel eine ganze Gruppe aus dem Gerichtssaal heraus ins Gefängnis geschickt – vor der gesamten anwesenden Bernauer Szene.

Skinheads sind – darüber besteht ja grundsätzlich und weitestgehend Einigkeit – Menschen, die irgendwo auf dem halben Weg der Evolution stecken geblieben sind. Die Gesellschaft – und damit auch die Justiz – muß auf die Aktionen dieser Dumpfbacken reagieren; auch darüber gibt es eigentlich keinen Streit. Aber, bitteschön, unter Berücksichtigung der Spielregeln, die unsere Rechtsordnung vorgibt.

Vielleicht sollte jemand diesen Richter einmal daran erinnern, daß er an Recht und Gesetz gebunden (Art. 20 III GG) ist.

Der Abschreckungsgedanke, also die Generalprävention, hat im Jugendstrafrecht nichts verloren. Und Saalverhaftungen, bei denen kein Verteidiger die Rechte der Angeklagten gegenüber einem aus dem Ruder gelaufenen Richter vertritt, gab es sicherlich schon vor 21 Jahren in demselben Gericht, in dem Richter Müller sich heute als Eisenbieger hervortut.

Das gesunde Volksempfinden, nach dem „Nazis auf’s Maul“ gehört, ist keine Richtschnur für Richter. Auch dann und gerade dann nicht, wenn es eigentlich nicht die Falschen trifft.

Danke an HU für den Hinweis.

Dieser Beitrag wurde unter Richter veröffentlicht.

13 Antworten auf Eisenbieger beim Amtsgericht

  1. 1
    Alex says:

    Skinheads sind – darüber besteht ja grundsätzlich und weitestgehend Einigkeit – Menschen, die irgendwo auf dem halben Weg der Evolution stecken geblieben sind.

    Bitte diese Seite anschauen und verstehen:
    http://www.du-sollst-skinheads-nicht-mit-nazis-verwechseln.de/

  2. 2
    Papa Gnädig says:

    Ein „Gesetz“, das die (negative) Generalprävention – also die Abschreckung potentieller anderer Deliquenten – im Jugendstrafrecht auch als Nebenzweck der Strafe ausdrücklich ausschließt, gibt es nicht. § 2 Abs. 1 S. 2 JGG schreibt nur den „Vorrang“ des Erziehungsgedankens vor und lässt bewusst damit andere Nebenzwecke zu.

    Dass die (negative) Generalprävention im Jugendstrafrecht auch als Nebenzweck der Strafe nichts zu suchen habe, ist zwar, wie die Juristen sagen, „herrschende Meinung“, die bindet aber den Richter gerade nicht.

  3. 3
    gulliver says:

    Ich finde Sie verkürzen den Inhalt des Interview in unzulässiger Weise und stellen einen Kern heraus, den ich so nicht hineinlesen würde.

  4. 4
    Autofahrer says:

    Ich bin auch der Meinung, dass das Interview hier sinnentstellt wiedergegeben wird.

    Mit „gesundem Volksempfinden“ und „Nazis aufs Maul „hat das nichts zu tun. Im Interview wird auch die kriminelle libanesische Großfamilie erwähnt.

    Übrigens steht im dem Interview auch (bezüglich Generalprävention“):
    „Unter Jugendrichtern war viele Jahre lang der Gedanke der Generalprävention verpönt und ist es teilweise noch. Natürlich steht beim Jugendstrafrecht der Erziehungsgedanke im Vordergrund, der zur Besserung des Täters führen soll.“

  5. 5
  6. 6
    egal says:

    „Jetzt verkündet Berlins Justizsenatorin Gisela von der Aue stolz, dass es bei unerledigten Jugendstrafverfahren einen deutlichen Rückgang gibt – ja, warum denn? Das hat nicht nur mit Demoskopie, sondern auch mit Kirsten Heisig und ihren engagierten Kollegen zu tun.“

    Vielleicht, aber es hat vor allem etwas mit dem Geburtenrückgang zu tun. Inzwischen werden ja schon in Berlin Abteilungen deswegen zusammengelegt!

    Im Übrigen wird am meisten Zeit immer noch nicht bei Staatsanwaltschaft oder Gericht vergeudet, sondern bei der Polizei (Stichwort „Liegevermerke“).

  7. 7
    Der angelockte Troll says:

    Auch Jugendlich müssen durch angedrohte Strafe vor Straftaten abgeschreckt werden. Ansonsten kann man sich das (Jugend-) Strafrecht gleich ganz schenken. Die Juristen wollen sich das nur nicht eingestehen. Ein deutlicher Hinweis für die Lebensfremdheit.

  8. 8
    OOTB says:

    Im Übrigen dürfte die Generalprävention auch mit dem vorherrschenden Erziehungsgedanken in Einklang stehen.
    Zumindest in der Form, dass ein Rechtsbruch zu Konsequenzen führt

  9. 9
    Hans says:

    Man kann auch ruhig mal erwähnen, daß der besagte Richter Müller in der Vergangenheit auch anders in Erscheinung getreten ist, z.B. als er einen Cannabis-Fall dem BVerfG vorgelegt hat, weil er das Verbot für verfassungswidrig hielt (und vermutlich trotz gegenteiligen Urteils weiter hält).

    Siehe z.B. http://www.chanvre-info.ch/info/de/Kiffer-blockieren-die-Gerichte.html

    Ich würde mir mehr so engagierte Richter wünschen.

  10. 10
    MadameLaStA says:

    Wo genau im Interview ist jetzt die Stelle, aus der sich ergibt, dass kein Verteidiger anwesend war?

  11. 11
    Ernst says:

    § 177 GVG sieht keinen Pflichtverteidiger vor.

  12. 12
    Hatem says:

    Als Nicht-Jurist und Berliner wünsche ich mir, schon in meinem eigenen Interesse und in dem meiner Kinder, mehr solcher Richter.
    Es gibt – sowohl unter Nazi-Skinheads als auch unter arabischstämmigen Intensivtätern – zu viele Jugendliche, bei denen der Erziehungsgedanke reines Wunschdenken ist. Die verstehen den Erziehungsgedanken als „Mir kann nichts passieren“ und machen weiter.

  13. 13
    MadameLaStA says:

    @ernst: Was sie nicht sagen. Und wo im Text steht, wer da verhaftet wurde und warum?